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# taz.de -- Sicherheit im Skirennsport: Freie Fahrt ins Risiko
> Im alpinen Skirennsport mehren sich die Stürze. Neben der höheren Zahl an
> Wettbewerben spielt auch der erhöhte Druck auf die Athleten eine Rolle.
Bild: Von der Piste direkt ins Krankenhaus: Barnabas Szöllös erlitt an der St…
Wie schon seit Jahrzehnten lagen auch diesmal in Kitzbühel die schönen und
schlechten Seiten des alpinen Skirennsports nah beieinander. Während am
Samstag, genau sechs Jahre nach seinem spektakulären Abfahrtssieg auf der
Streif, Thomas Dreßen im Zielraum von seinen Teamkollegen mit Schampus nach
seinem letzten Weltcuprennen in die „Rente“ verabschiedet wurde, schepperte
auch ein Song der „Toten Hosen“ aus den Lautsprechern. „An Tagen wie dies…
/ wünscht man sich Unendlichkeit …“
Die gibt es jedoch auch im Skisport nicht, und nachdem das Knie von Dreßen
nach mehreren Operationen in den zurückliegenden Jahren und langer
Verletzungsmisere zu ramponiert war, um die Extrembelastungen auf den
steilen Eispisten auszutarieren („Das lässt mein Körper nicht mehr zu“),
verabschiedete sich dieser mit Tränen in den Augen mit gerade mal 30 Jahren
aus dem Profisport.
Tage zuvor hatte es im Training auf der Streif wieder schwere Stürze
gegeben. [1][Den für Israel startenden gebürtigen Ungarn Barnabas Szöllös]
hatte es nach der Mausefalle heftig nach dem Verschneiden seiner Skier
erwischt. Er prallte mit dem Kopf auf die Eispiste, woraufhin sein Helm
davonflog und er ins Fangnetz krachte. Er wurde mit dem Helikopter ins
Klinikum nach Innsbruck gebracht. Diagnose: mehrere Frakturen im Gesichts-
und Kieferbereich.
Der Kitzbüheler Rennchef Mario Mittermayer-Weinhandl erklärte, Szöllös
werde wohl keine bleibenden Schäden davontragen. Am Dienstag wurde er aus
der Klinik entlassen. Letztes Wochenende war auch die große Rivalin [2][von
Mikaela Shiffrin (USA)], die Slowakin Petra Vlhová, gestürzt. Bei ihrem
„Heimrennen“ in Jasna zog sie sich im Riesenslalom einen Kreuz-und
Innenbandriss im Knie zu. Saisonende.
## Frage der Eigenverantwortung?
Der Renndirektor des Skiweltverbandes (FIS) Markus Waldner, einst selbst
Rennläufer, sieht für die aktuelle Verletzungsmisere nicht nur [3][den
übervollen Rennkalender] als Ursache. „Der alpine Skirennsport ist schon
immer eine verletzungsanfällige Risikosportart gewesen, noch dazu in der
freien Natur bei teils schwierigen Schnee-, Eis-, Sicht- und
Windverhältnissen.“
Zudem verweist der studierte Sportwissenschaftler auch auf die
Eigenverantwortung der Fahrer und den Spagat zwischen dem Risiko, den
einzelne Athleten auf der Hatz um eine gute Platzierung eingehen.
„Individuelle Fahrfehler passieren ohnehin ständig.“ Waldner sieht aber
auch die Skiindustrie in der Verantwortung und bezeichnet einige der im
Weltcup benutzten, aggressiven „Rennlatten“ als „Waffen“. Teure
elektronische Auslösesysteme bei den Skibindungen oder ein Knie-Airbag sind
noch immer nicht marktfähig.
Der aktuelle Weltcupführende Marco Odermatt (26) aus der Schweiz, der
bisher als einer von wenigen von schweren Verletzungen verschont geblieben
ist, sagt: „Wer gewinnen will, muss ganz klar ans Limit gehen. 2023 hatte
ich mir in der Abfahrt in Kitzbühel auch eine leichte Knieprellung nach
einem Fahrfehler zugezogen.“
## Airbag pflicht wird kommen
Der Südtiroler Routinier und Super G-Weltmeister von 2011, Christoph
Innerhofer (39), fährt bereits seit 2006 im Weltcup. Kurz vor dem
Jahreswechsel beim Rennen in Bormio traf es auch ihn mal wieder, Sturz in
die Fangzäune, wo er sich eine Schnittwunde in der Wade zuzog. Innerhofer
erklärt, „dass der Leistungsdruck, sich immer möglichst weit vorne zu
platzieren, um viele Weltcup-Punkte zu sammeln, natürlich eine
Gratwanderung ist.“
Er schätzt, dass „rund 80 Prozent der Athleten nur kleine Sponsoren haben
und wenig Geld verdienen“. Auch diese müssen dann auf der Piste extrem an
ihre Leistungsgrenzen gehen. Und der norwegische Abfahrts-Olympiasieger
Aksel Lund Svindal, der seine Karriere aus gesundheitlichen Gründen
vorzeitig beendete, erklärt: „Als Profi geht man das Risiko eines Sturzes
ganz bewusst ein. Das ist die Wahrheit.“
In der kommenden Saison ist die Airbag-Sicherheitsweste für alle Athleten
Pflicht. „Rund 48 Prozent der Weltcup-Fahrer tragen aktuell einen Airbag“,
also nicht mal die Hälfte, wie ein Servicemann des italienischen
Herstellers erklärt. Einige Fahrer fühlen sich allerdings in ihrer
Bewegungsfreiheit durch den rund 1.500 Gramm schweren Airbag eingeschränkt.
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten Meldungen über verletzte
Fahrer die Runde machen.
25 Jan 2024
## LINKS
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[2] /Rekord-Skifahrerin-Mikaela-Shiffrin/!5918753
[3] /Ueberbelastung-im-alpinen-Rennsport/!5982790
## AUTOREN
Thomas Purschke
## TAGS
Ski Alpin
Verletzung
Sicherheit
Ski Alpin
Skirennen
Wintersport
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