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# taz.de -- Gedenken an Gernot Reinstadler: Spektakel mit Restrisiko
> Vor 30 Jahren starb ein junger Abfahrer beim Lauberhornrennen von Wengen.
> Seither wurden die Sicherheitsvorkehrungen massiv erhöht.
Bild: Schön und ganz schön gefährlich: der Hundschopf am Lauberhorn
An diesem Wochenende hätte das Lauberhornrennen im Schweizer Wintersportort
Wengen stattfinden sollen. Coronabedingt mussten es abgesagt werden. Hätte
das Rennen stattgefunden, so hätte die Abfahrt auch im Zeichen der
Erinnerung an Gernot Reinstadler gestanden. Vor 30 Jahren, am 18. Januar
1991, hatte der talentierte 20-jährige Nachwuchsfahrer des Österreichischen
Skiverbandes aus dem Bergdorf Jerzens in Tirol beim Qualifikationsrennen
für die Abfahrt schon das Ziel-S erreicht.
Seine Skier verkanteten und er flog mit hoher Geschwindigkeit in das
grobmaschige Fangnetz, das im steilen Zielhang befestigt war. Eine
Skispitze verfing sich dabei im Netz, es kam zu einer Beckenspaltung,
Reinstadler erlitt erhebliche Gefäßverletzungen und verlor sehr viel Blut.
Sein rechtes Bein wurde ihm dabei fast abgerissen. Trotz der sofortigen
Ersthilfe durch Rettungsärzte, Helikoptertransport und einer sechsstündigen
Notoperation mit zahlreichen Bluttransfusionen im Spital in Interlaken,
erlag Reinstadler kurz nach Mitternacht seinen schweren Verletzungen.
Die Abfahrtsstrecke in Wengen ist mit rund 4.500 Metern die längste im
Weltcupzirkus. Die Oberschenkel der Athleten brennen in den letzten Kurven
nach zweieinhalb Minuten Fahrtzeit. Jeder noch so kleine Fahrfehler kann da
fatale Folgen haben, so wie bei Reinstadler.
Das Rennen in Wengen wurde nach Reinstadlers Tod umgehend abgesagt. Es ist
bis heute der schlimmste Unfall in der 91-jährigen Geschichte der
Lauberhornrennen. Reinstadler war der erste und bisher einzige, der in
Wengen sein Leben verlor und zugleich das 15. Todesopfer im Skirennsport
seit 1959, dem Jahr, in dem die systematische Erfassung begann. Bis heute
sind noch mehrere dazugekommen. Der alpine Rennsport ist gefährlich und
wird es wohl immer bleiben, da selbst die bestmöglichen Sicherheitskonzepte
nicht alle eventuell möglichen Sturzverläufe abfangen können.
## Neue Sicherheitskonzepte
Nach Reinstadlers folgenschwerem Sturz verbesserten die Organisatoren und
der Internationale Skiverband (FIS) auch auf Druck der Skiindustrie, die
einen Imageverlust befürchtete, ihre Sicherheitskonzepte. Der Zielhang in
Wengen, Jahre später auch der Zielsprung in Kitzbühel, wurden entschärft.
Vor der Hausbergkante auf der Streif wurde eine zusätzliche Kurve gesetzt,
um das Tempo vor dem Sprung in die Tiefe zu reduzieren.
[1][Es wurden bessere, engmaschigere Fangnetze entwickelt], die ein
Einfädeln mit den Skiern verhindern sollen. Sogenannte schnittfeste
Abweisplanen aus Kunststoff kamen zum Einsatz. An besonders gefährlichen
Stellen entlang der Weltcup-Rennpisten werden seit Jahren Drei- bis
Vierfachzäune und auch Spezialmatten und mit Kompressoren aufgeblasene
Luftkissen aufgestellt.
Für die Schlüsselstellen gibt es die A-Netze, die an Masten hängen und vier
Meter hoch sind, um einen Skirennfahrer, der mit über 100 Stundenkilometer
stürzt, abbremsen zu können. Die Netze müssen eine gewisse Dehnelastizität
haben, dürfen indes nicht reißen. Mehr als 1,5 Millionen Schweizer Franken
kostet das gesamte, verbaute Sicherheitsmaterial, was heutzutage beim
Lauberhornrennen zum Einsatz kommt. Vor der Rennabsage Anfang der Woche war
all das schon installiert.
## Gedenktafel in Wengen
„Es muss eben immer erst was passieren, bevor sich die Menschen Gedanken
machen und Dinge verbessern“, sagt Traudl Reinstadler (79), die Mutter von
Gernot. Sie ist eine starke Frau. Ende Januar begeht sie ihren
80.Geburtstag. Noch immer betreibt sie mit ihrem Mann Adi, der früher
Skilehrer ausgebildet hat – zeitweise sogar in Japan und in Australien –,
im 1.000-Einwohner-Ort Jerzens im Pitztal eine kleine Ferienpension.
Tochter Indra mit Familie wohnt im selben Ort. „Mit den drei Enkelkindern
und der Tochter Ski fahren zu gehen am Hochzeiger“, der fast vor der
Haustür liegt, ist für Traudl und Adi, „ein großes Glück“. Am Telefon s…
man dies förmlich, als sie darüber spricht. Dennoch sind beide froh, dass
die Tochter und die Enkel keine Skirennen fahren wollten.
Ein paar Jahre nach dem furchtbaren Unglück hat die Familie eine
Gedenktafel für ihren Sohn am Zielhaus in Wengen angebracht. Darauf steht:
„Gottes Wille kennt kein Warum.“ Drei- oder viermal ist die Familie seither
nach Wengen gereist. Es tat jedes Mal weh, doch den dortigen Veranstaltern
macht Traudl Reinstadler keine Vorwürfe. „Ein Prozess gegen die
Lauberhorn-Organisatoren hätte nichts gebracht und uns den Gernot nicht
wieder lebendig gemacht.“ Ohnehin hätte sie „in der schweren Trauerphase
nicht die Nerven dafür gehabt“. Gefreut hat sie sich „über die bis heute
andauernde, aufrichtige Anteilnahme mehrerer Skifunktionäre aus Wengen“,
die sie auch schon in Jerzens besucht haben.
Es vergeht kein Tag, an dem sie nicht an Gernot denkt. Ihr Glaube an Gott
hat ihr „die Kraft gegeben für das Weiterleben“. Weiter sagt sie: „Der T…
unseres Sohnes hat das Leben vieler anderer junger Athleten gerettet. Wenn
er damals nicht durch das Fangnetz zerrissen worden wäre, hätten sich die
Sicherheitsvorkehrungen bei Abfahrtsrennen nicht so schnell verbessert und
auch die Versicherungsmodalitäten für Kaderathleten wurden danach erst
angepasst.“ Und die damals von der FIS getestete Qualifikationsabfahrt in
Wengen, um die besten 30 Rennfahrer für das Weltcuprennen auszusortieren,
was die Nachwuchsfahrer unter einen besonders großen Leistungsdruck setzte,
wurde auch rasch wieder abgeschafft.
## Ärger über den Skiverband
In den 1950er und 1960er Jahren war Traudl Reinstadler unter ihrem
Mädchennamen Traudl Eder selbst eine gute Rennfahrerin im österreichischen
Nationalteam und 1964 als Ersatzfahrerin und Vorläuferin bei den
Olympischen Spielen in Innsbruck dabei, was für sie „auch ein
unvergessliches Erlebnis“ war. Skifahren ist für sie „bis heute eine große
Leidenschaft geblieben“.
Enttäuschend war für sie jedoch in der Rückschau, das Verhalten des
Österreichischen Skiverbandes nach dem Unfall ihres Sohnes. „Als damals
einige Wochen danach die große Krankenhausrechnung vom Spital in Interlaken
bei uns ankam, wollte der ÖSV diese zunächst nicht begleichen. Erst als die
Tiroler Landesregierung Druck machte, lenkte der ÖSV ein“, erinnert sich
Traudl Reinstadler an jene schlimme Zeit. Interessant in diesem
Zusammenhang ist, dass seit dem Sommer 1990 bis heute [2][Peter
Schröcksnadel] der amtierende ÖSV-Präsident ist.
Der seit je umstrittene, einflussreichste Sportfunktionär Österreichs sowie
Multiunternehmer, der mehrere Skigebiete sowie Liftanlagen besitzt, hat
ohnehin keinen guten Ruf. Erinnert sei nur an die groteske Floskel von ihm
nach den aufgeflogenen Blutdopingaktivitäten bei Austrias Biathleten und
Langläufern während der Winterspiele von Turin 2006, wo Schröcksnadel auf
einer internationalen Pressekonferenz sagte: „Austria is a too small
country to make good doping.“
Was die Familie Reinstadler verbindet, ist „die dankbare Erinnerung“ an
ihren Sohn und „die bis 1991 erlebte gemeinsame Zeit“. Schwester Indra, 48
Jahre alt, sagt: „Skirennen waren Gernots Passion, dafür hat er damals
gelebt und trainiert. Meine Eltern haben viele Gegenstände und Kleidung von
ihm bis heute aufgehoben. Meine Kinder tragen jetzt die AC/DC-T-Shirts und
Skijacken von Gernot und sind stolz auf ihn, obwohl sie ihn ja nur von den
Fotos und unseren Erzählungen her kennen. Er wird in unseren Herzen immer
weiterleben.“
Wenn am nächsten Wochenende die Hahnenkammrennen in Kitzbühel auf der
gefährlichen Streif anstehen, wo es auch schon viele schwere Stürze gab,
wenngleich zum Glück noch keinen tödlichen, dann werden automatisch auch
wieder wie jedes Jahr Debatten um die Sicherheit der Sportler geführt.
FIS-Renndirektor Markus Waldner aus Südtirol meint dazu: „Wir tun wirklich
eine ganze Menge für die Sicherheit der Athleten, aber ein Restrisiko in
einer solch rasanten Sportart wird immer bestehen bleiben. Trotz Helm,
[3][Rücken-Airbag] und Sicherheitszäunen. Das ist die Realität.“
16 Jan 2021
## LINKS
[1] /Sicherheitsdebatte-um-Ski-WM/!5073259
[2] /Skisport-in-Oesterreich/!5232761
[3] /Ski-Unfall-bei-Weltcup-Abfahrt/!5259510
## AUTOREN
Thomas Purschke
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