# taz.de -- Nachruf auf Frauke Schirmbeck: Die Macherin aus dem Maschinenraum | |
> Frauke Schirmbeck hat fast 32 Jahre bei der taz verbracht, als | |
> Fotoredakteurin, Seite-eins-Macherin und Chefin vom Dienst. Nun ist sie | |
> gestorben. | |
Bild: Frauke Schirmbeck, 1964–2024 | |
Die allermeisten von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, werden ihren Namen | |
noch nie gehört haben. Frauke Schirmbeck, die am 2. Januar viel zu früh | |
nach langer schwerer Krankheit verstorben ist, war in der taz das, was man | |
eine Maschinistin nennen kann. | |
Ach was, Maschinistin, das ist viel zu niedrig gegriffen. Frauke war | |
Meisterin im Jonglieren mit Zeilenzahlen, Überschriften und Unterzeilen, | |
Bildunterzeilen, Zwischenüberschriften, nicht zu vergessen in der | |
kompetenten Auswahl von Fotos und Illustrationen sowie in der Gestaltung | |
von Seiten und ganzen Seitenstrecken und, ganz wichtig, in der | |
Themenfindung und Platzierung, der Betreuung von Korrespondenten, | |
Redakteuren und Autoren, der Entwicklung origineller Herangehensweisen an | |
altbekannte Themen, im Hinterfragen wiederholter Behauptungen, der | |
Aktualisierung nach dem Eingang wichtiger Nachrichten, im Trösten | |
niedergeschlagener Autoren. Eine Taktgeberin, und was für eine. | |
Und doch eine ziemlich Unbekannte. | |
Es ist nämlich so, dass sich nur ein kleinerer Teil der Mitarbeiterinnen | |
und Mitarbeiter eines Medienhauses wie der taz mit ihren Namen in Texten | |
wiederfindet. Der größere Teil sorgt dafür, dass das Geschriebene anständig | |
präsentiert wird, ob online auf taz.de, digital oder im Print, dass die | |
Rechnungen bezahlt werden, dass das Licht nicht ausgeht und die Computer | |
laufen. Solche Menschen verfallen nicht dem Glauben, sich selbst für | |
berühmt zu halten. Sie machen ihren Job, sie lachen und weinen, haben Spaß | |
oder auch mal schlechte Laune. | |
Frauke zählte zu diesen Menschen, und sie hatte ziemlich viel Spaß bei der | |
Arbeit, das können Sie uns glauben. Wir wissen es, weil wir das Vergnügen | |
hatten, jahrelang eng mit ihr zusammenzuarbeiten und nicht nur zu arbeiten. | |
Frauke Schirmbeck, geboren 1964, stieß vor fast 32 Jahren zur taz. Die | |
Lohnbuchhaltung verzeichnet ihren Eintritt zum 1. April 1992 auf einer | |
halben Stelle in der Fotoredaktion. Zuvor hatte sie beim Berliner | |
Lette-Verein eine Ausbildung zur Fotografin absolviert und danach die | |
Bebilderung des Greenpeace Magazins verantwortet. | |
In der Fotoredaktion einer Tageszeitung kommt man selten selbst zum | |
Fotografieren. Es geht dort vor allem darum, die richtigen Bilder aktuellen | |
Themen zuzuordnen, den Kontakt mit freien Fotografen und Agenturen zu | |
halten und im Idealfall dazu beizutragen, dass die taz eine eigene | |
Bildsprache verfolgt. Frauke war jemand, der das alles gelang. Und weil sie | |
zugleich eine bemerkenswerte Sicherheit in der Gewichtung von Nachrichten | |
bewies, endete nach rund zehn Jahren ihr Job bei den Fotos. | |
Sie wechselte in die Textredaktion, hin zur Produktion der Seite eins und | |
der wichtigsten Nachrichtenseiten – nett formuliert ins Herz der Zeitung, | |
ehrlicher gesagt ins Stahlbad, dorthin, wo es qualmt, dampft und zischt. Wo | |
Stress und Zeitnot dein ständiger Begleiter sind, wo ergebnislose | |
Seite-eins-Konferenzen den Blutdruck gefährlich steigen lassen – aber auch, | |
wo die taz zu dem gemacht wird, was sie ist: ein unberechenbares, mal | |
bitterböses und mal albernes, immer originelles linkes Blatt. Diese Zeit | |
bei den „Aktuellen“ habe sie am meisten geprägt, sagt Fraukes Sohn Lucas | |
heute. „Wie Arsch auf Eimer“ habe Frauke in diese Redaktion gepasst. | |
Frauke wurde dort unverzichtbar, als Chefin vom Dienst wie als | |
Titelmacherin. Legendär ihre Schlagzeilen wie das immer wieder kopierte „Es | |
ist ein Mädchen“ nach der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin. | |
Frauke, die nie studiert hatte, setzte sich durch gegen philosophielastige | |
Autoren, denen bisweilen vor lauter Verliebtsein in die eigenen Worte die | |
These abhanden kam. „Locken auf der Glatze drehen“, hat sie dies mal auf | |
einer Konferenz genannt. | |
Wieder rund zehn Jahre später wollte Frauke Schirmbeck es künftig etwas | |
weniger hektisch angehen und wechselte in die Wochenendredaktion, wo sie | |
erneut als Chefin vom Dienst arbeitete. | |
Frauke wollte von den überfallenen Menschen im Donbass erfahren, als Putin | |
in Deutschland noch als ehrenwerter Gaslieferant galt, wollte von den | |
Frauen, Kindern, Männern im Flüchtlingslager auf Lesbos lesen, von den | |
Zuständen in brandenburgischen Dörfern, dem Leben, dem Wasser und dem | |
Schlamm im Ahrtal. „Das muss man ganz anders einordnen“, sagte Frauke dann. | |
„Das muss man in einen größeren Zusammenhang stellen“, sagte sie und | |
ratterte die Fragen runter, die sich ihr stellten, wie es zum Krieg, zum | |
Brand, zur Flut kommen konnte. | |
Die ewige Skepsis der Journalistinnen und Journalisten trieb Frauke | |
Schirmbeck an, ebenso die Lust auf gut geschriebene und aufgebaute | |
Geschichten, die sie lesen wollte und ausgiebig lobte in der Redaktion wie | |
gegenüber den Autorinnen und Autoren. Viel zu häufig gilt in Redaktionen | |
der Grundsatz, dass nicht gemeckert schon genug des Lobes sei. Frauke hatte | |
ein großes Herz und fühlte mit den Menschen, sah, welcher Kollege sich | |
aufrieb und unterstützt werden musste, welcher einen herzlichen Zuspruch | |
oder einen kleinen Frauke-Wortwitz brauchte, der zu einem spontanen | |
Lachanfall führte. | |
„Sie gehörte zu den Kolleginnen, die für uns Korrespondenten im Ausland | |
besonders angenehm waren: Sie war freundlich, klar, ermunternd, pragmatisch | |
und klug“, erinnert sich eine frühere Asienkorrespondentin. Frauke hatte | |
diesen norddeutschen Humor, manchmal hart und glasklar, aber nicht | |
unmenschlich, und sie zügelte sich selbst oder andere bei | |
Wortwitzüberschuss mit einem lang gezogenen „Uiiihhh“ und schrägem Blick. | |
Und Frauke erwies sich ganz außerhalb der taz als eine wunderbare | |
Gastgeberin. Selten war eine Redaktion so des Lobes voll wie nach den | |
Spargelessen in ihrer Wohnung. | |
Frauke Schirmbeck hatte noch so viele Dinge vor, freute sich auf ihren | |
zweiten Enkel im Frühjahr 2024, wollte mit den Kindern an die Ostsee | |
fahren, endlich reisen, reisen, reisen und mit Mann und Hund die guten | |
Seiten Berlins genießen. „Perspektivisch“, sagte sie oft und entwickelte | |
dann mit präzisen Worten das Bild einer größeren Geschichte, die sich vor | |
ihren blauen Augen schon am Horizont abzeichnete, während man selbst noch | |
im Alltag kniete und den Wald nicht hinter den gerade vom Sturm | |
umgeworfenen Bäumen sah. | |
Nicht alle von uns dreien haben in den letzten Monaten den Kontakt zu ihr | |
gehalten. Es kam halt immer etwas dazwischen, die Arbeit, die Familie, das | |
Leben. | |
Ulrike Fokken aber blieb Frauke Schirmbeck eine Begleiterin. Die letzten | |
Jahre haben sie sich oft im Grunewald oder an einem der Havelseen | |
getroffen, sind stundenlang mit den Hunden spazieren gegangen, haben über | |
sich, die Politik, die Welt, die Bücher geredet. Im Lockdown versorgten sie | |
sich mit den neuesten Entdeckungen. Bernardine Evaristo, Fernando Aramburu, | |
Louise Erdrich, Christopher McDougalls „Das Glück ist grau“. Und weil | |
Treffen unmöglich waren, schickte Frauke im Frühjahr des zweiten Lockdowns | |
ihr exzellentes Bärlauchpesto eben mit der Post an Ulrike. „Mir ist noch | |
ganz viel eingefallen, worüber ich mit dir sprechen wollte“, schrieb Frauke | |
nach dem letzten Spaziergang im September. | |
Zehn Jahre lang ist Frauke von einer heimtückischen Krankheit gequält | |
worden. Vielleicht wusste sie schon viel länger, als sie durchblicken ließ, | |
dass die immer wieder in tsunamiartigen Wellen durch ihren Körper | |
strömenden Schmerzen sie umbringen. Vielleicht wusste sie beim letzten | |
Telefonat vor Weihnachten, dass sie dem Tod schon nah war. Und wie so oft | |
in ihrem Leben hat sie erst an die anderen gedacht, hat ihre eigene | |
Geschichte zurückgehalten und hat die Geschichte der anderen gesehen, | |
vorausgeschaut und an das Weihnachtsfest gedacht, das sie nicht mit der | |
unfassbar traurigen Geschichte ihres eigenen Todes verderben wollte. | |
5 Jan 2024 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Fokken | |
Klaus Hillenbrand | |
ISABEL LOTT | |
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