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# taz.de -- Hard Rock Cafe in Spanien: Downtown Marbella
> In Andalusiens Luxus- und Korruptionshochburg hat ein Hard Rock Hotel
> eröffnet. Eine Reise zu Paillettenkleidern und Gattinnen von
> Golf-Urlaubern.
Bild: Inspiration für Gattinnen britischer Golf-Urlauber: Pailletenkleider von…
Das vor einem Jahr eröffnete Hard Rock Hotel in Marbella hat zu einem
Besichtigungswochenende geladen, und der Chronist in der Camouflage des
Hoteltesters sagt sich: Nehmen wir mit. Nur kein puritanischer „Würd ich
nie machen“-Snobismus.
Auch wenn es schwierig werden würde, für [1][das
Millionärs-Milliardärs-Marbella,] auch genannt „Luxus- und
Korruptionshauptstadt Spaniens“ einen progressiven Dreh zu finden. Außer,
denkt der Chronist, ich spiele – zwecks späterer Literarisierung – wieder
mal Spion. Hatte das nicht bereits in Lateinamerika funktioniert?
## Koks, Knast und Korruption
Die Jeunesse doréein El Salvador-Panama-Nicaragua-Kolumbien, die dir dort
doch immer wieder, angetrunken oder bekifft, entsprechend rückhaltlos von
den Schandtaten ihrer Macho-Väter erzählt hatte, von Koks, Knast und
Korruption, von verschobenen Millionen, Orgien-Jachten und dergleichen
mehr.
Weshalb also nicht auch hier unter den Palmen an der Costa del Sol, an den
innerstädtischen Sandstränden von Marbella oder – man zoomt sich heran – …
den noch immer fleißig frequentierten zwei Außenpools des im maurischen
Stil erbauten Hard Rock Hotels, im Sound der eher gedämpften als dröhnenden
Dance- oder Lounge-Musik, in der Space-Atmosphäre der riesigen schneeweißen
Lobby, im abgeschiedenen Spa, in all den Bars und Terrassenrestaurants oder
gar aufm Zimmer-mit-Balkon, dessen Tür während der Dauer des Aufenthaltes
mittels eines winzigen Magnets an einem schmalen magentaroten
Stoffarmbändchen zu öffnen ist?
Wenn es denn stimmt, dass das weiträumige Hotel aufgrund seines Namens und
Star-Touchs bis in den milden Winter hinein der hiesige place to be ist, in
dem sich außer Auswärtigen auch locals zum Partywochenende einmieten, dann
müsste sich doch irgendwas erspitzeln lassen – quasi ein paar individuelle
Gossip-Tupfer zur Marbella-Historie schwerreicher Saudis, ultrasolventer
Russen und jenes Korruptionsreigens im hiesigen Rathaus, der 2006 durch
eine der größten Polizeirazzien Spaniens zumindest unterbrochen worden war;
zu Dutzenden waren die Stadträte damals im Knast gelandet.
Das entspannte Ambiente müsste also zum Plaudern einladen, logischerweise
über den musikalischen Umweg und erstem noch unverfänglichem „Warst du auch
beim Konzert?“-Geplänkel. Immerhin wandeln hier genug junge Leute entlang
der Lobby-Vitrinen, in denen die vom Headquarter in Miami zur Verfügung
gestellten Originaldevotionalien gezeigt werden: Church of Pop!
Ein Paillettenjackett von Beyoncé, ein rosa Glitterkleid von Shakira und
dazu ein ebenso funkelndes Top, gleich zwei Jennifer-Lopez-Hosen, eine
Lenny-Kravitz-Gitarre. Interessanterweise bricht jedoch selbst in den
Stunden kurz vor Mitternacht, an denen im ledercouch-umzirkelten Rund
gegenüber der Rezeption eine Solistin [2][„Private Dancer]“ röhrt, keiner
der Gäste, die hier mit Cocktailgläsern in der Hand unterwegs sind, in
verzückte Rufe oder gar Schreie aus. Liegt es der Transformation ins
unbewegt Stoffliche hinter Glas, wo in der Erinnerung doch vor allem Moves
und Sounds und Bytes und Songs und Schweiß gespeichert sind?
Und schau dir die Gäste genauer an: Vom Habitus anscheinend weder freakige
Concert-Aficionados noch verwöhnte Golfstaaten-Oberschicht-Früchtchen, ja
noch nicht einmal auf wochenend-cool machende Jungchef-Arschlöcher in
weiblicher Schmollmund-Begleitung. (Dem graumeliert Ridikülen, den wir
tagsüber am Pool, fersenwippend auf seiner Liege, in einem Taschenbuch der
nicht minder bekloppten Ayn Rand blättern gesehen hatten, geben wir hiermit
nur einen Randauftritt in Klammern.)
## Oberhalb von H&M
Alles in allem also: Einigermaßen sympathisch, wenn auch nicht megaspannend
ausschauende Leut’ in beige bis hellblauem Outfit – etwas oberhalb von H&M,
wahrscheinlich Höhe Zara. Ein paar von ihnen ergoogeln mit ihren
Smartphones, was in den Infokästchen unter dem Vitrinen-Fummel nicht steht
und erzählen es einander: Die Hard Rock Hotels/Cafés gehören seit 2006 dem
„Seminole Tribe of Florida“, der zu recht stolz darauf ist, von weißen
Siedlern niemals besiegt worden zu sein und sich inzwischen mit den
Einnahmen aus Kasinos und eben jenen Hotels finanziert. Native Americans
feat. Capitalism – oder vice versa.
Vielleicht ja eine Art lebensweltlicher Appendix zum 1971 in Bulgarien und
auf Kuba gedrehten DDR-Defa-Film „Osceola – Die rechte Hand der
Vergeltung“, in welcher der Serbe Gojko Mitic als kämpferischer
Seminolen-Häuptling noch mittellos aus Florida hatte fliehen müssen.
Überraschende Pointe, die den Chronisten womöglich auch darüber
hinwegtrösten wird, dass sich während seines Aufenthaltes keine pikanteren
Storys akquirieren lassen. Ohnehin, langsam wird’s klar, finden sich hier
in der Mehrheit Middle-Ager. Paare, die sich beim Anblick eines Kleides von
Gloria Esteban (inzwischen 66) sofort an [3][„Conga“] erinnern und zu
summen und zu schnipsen beginnen: Miami Zeit Machine. Dazu die begeisterten
Kommentare angesichts einer Depeche-Mode-Lederjacke, eines
Michael-Jackson-Oberteils und eines kimonoartigen Prince-Jäckchens,
lustigerweise im gleichen Purple-Ton wie das Restroomsymbol an der Wand
daneben.
Während der schwarze Langkragen eines Keith-Richard-Hemdes und die offenbar
irgendwie von Roy Lichtenstein inspirierten Ramones/Bob Dylan/Blondie/Julio
Iglesias-Porträts eher die Gattinnen der noch älteren britischen
Golf-Urlauber zu inspirieren scheinen. Und traurigerweise so gar niemand,
der vor den Lederschuhen Buddy Hollys, 1959 bei einem Flugzeugabsturz in
den USA umgekommen, zumindest ein paar Hommagezeilen summen würde. Well,
that’ll be the day/ when you say goodbye.
Schließlich wirkt der Musik-Magnetismus aber doch noch real. Angelockt von
den DJs, die – fair enough – nicht nur einen eigenwilligen Mix aus Bon Jovi
und Phil Collins auflegen, sondern auch Latino-Pop, tauchen in den mit
Ricky Martin- und Celia Cruz-Bildern drapierten Gängen Latinos auf.
Allerdings keine Obristen- und Narcoboss-Söhne, sondern junge Kolumbianer
und Venezolaner, die vor eben jener Welt hierher nach Andalusien/EU
geflohen sind und auch schnell Arbeit gefunden haben.
Kellner, Croupiers, Uber-Fahrer und Kindergärtner mit Sozialversicherung,
die nun in ihren freien Abendstunden hier reinrauschen, weder verschüchtert
noch protzend. „Disculpe amigo, aber was soll ich dir erzählen? Es gibt
eine russische, eine albanische, eine italienische Mafia, das ist inclusión
vom Feinsten, aber hier im Hard Rock (sie sprechen’s als Ard-Rocke aus)
tummeln sich andere, vermutlich harmlosere.“ Worauf ein freundliches
Gelächter folgt und dazu die ganz nützliche Info, dass auf der schwulen
Dating-App Grindr der Profilname „Fiesta“ nicht etwa den Wunsch nach
durchfeierten Nächten anzeige, sondern der Deckname sei für individuelle
Drogentransporte.
## Marbella Außerhalb der Blase
Und Marbella außerhalb der sanften Zeitmaschinenblase? In den älteren
Luxushotels hatten einst Maria Callas, Brigitte Bardot und Gunter Sachs
genächtigt, Liz Taylor und Richard Burton, Soraya und Onassis, Omar Sharif
und Sean Connery. Von Schriftstellern immerhin Paul Bowles, Jean Cocteau
und der seinerzeit berühmte Bestsellerautor Harald Robbins – auch wenn
danach keiner von ihnen einen Marbella-Roman geschrieben hatte.
Vorbei an dezent ummauerten Stadtvillen mit ihren Bougainvillea-Gärten,
Erkern und maurischen Rundbögen – immerhin ästhetisch keine protzigen
Bausünden – geht’s vormittags in die Altstadt, die einst ein
paternalistisch-korrupter Langzeitbürgermeister mit dem pathetischen Namen
Jesús Gil y Gil hatte verschönern lassen.
Palmengärten mit Kachelbänken, Dalí-Skulpuren, die Fußgängerzone mit
Marmorplatten ausgelegt, die Modeboutiquen eher für saudische Geldbörsen,
die lauschigen Restaurants dagegen mit modesten Preisen.
Und dann: Jorge Simmel! Findet sich in einem als städtisches Museum
dienenden Palais aus dem 16. Jahrhundert als prominenter Name einer
Ausstellung zu Spaniens wohl berühmtester Literaturzeitschrift. Es werden
die ersten Jahrgänge der Revista de Occidente präsentiert, 1923 als
geistiges Fenster von keinem Geringeren als José Ortega y Gasset gegründet
(und bis heute von den Nachkommen des Philosophen verantwortet) und siehe
da – von Husserl über Max Weber bis eben zu „Jorge“ Simmel ist Alemania …
nicht so schlecht vertreten.
Was also, wenn nun just hier jene Simmelsche „Zusammendrängung von Menschen
und Dingen“ stattfände, „die das Individuum zu seiner größten
Nervenleistung reizt“? Diese nämlich sei unbedingt wertzuschätzen, denn
„bei bloß quantitativer Steigerung der gleichen Bedingungen schlägt dieser
Erfolg in sein Gegenteil um, in diese eigentümliche Anpassungsleistung der
Blasiertheit“. Man könnte sich den unangepassten Jorge damit wahrscheinlich
auch ganz gut als nichtblasierten Nachsaison-Gast des Hard Rock Hotels
vorstellen.
Die Reise wurde unterstützt vom Hard Rock Hotel Marbella.
28 Dec 2023
## LINKS
[1] /Hier-esse-ich-Geld-Und-alle-schauen-zu/!202432/
[2] /Zum-Tod-von-Tina-Turner/!5933675
[3] https://www.youtube.com/watch?v=54ItEmCnP80
## AUTOREN
Marko Martin
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