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# taz.de -- Sexuelle Übergriffe verjähren nicht: Alles hat seine Zeit
> Die Vorwürfe gegen den US-Schauspieler Vin Diesel zeigen: Was Menschen
> brauchen, die Opfer von Gewalt wurden, ist Geduld, Ermutigung und
> Gesetze.
Bild: Verjährt ist nichts – Vin Diesel
Es war vor ein paar Jahren, in meinen Endvierzigern, dass ich plötzlich
nachts hochschreckte. Ich saß aufrecht im Bett, mein linker Hoden
schmerzte. Und mit dem Schmerz kam die Erinnerung an eine Episode meiner
Kindheit. Oder war es andersherum? Hatte sich das Verdrängte hochgearbeitet
und den Schmerz erst ausgelöst?
Wie auch immer – ich erinnerte mich in diesen Tagen an dieses Erinnern, als
ich die Stellungnahme des Anwaltes des Schauspielers [1][Vin Diesel] las,
der von der Zeitschrift Vanity Fair zu Vorwürfen sexualisierter Gewalt
gegen seinen Mandanten befragt worden war: „Lassen Sie es mich ganz
deutlich sagen: Vin Diesel bestreitet diese Behauptung kategorisch und in
vollem Umfang. Dies ist das erste Mal, dass er von dieser mehr als 13 Jahre
alten Behauptung einer nicht länger als neun Tage bei ihm Angestellten
hört. Es gibt eindeutige Beweise, die diese haarsträubenden Behauptungen
vollständig widerlegen.“
Tatsächlich geht es um eine Sache, die lang zurückliegt. Im September 2010
arbeitete [2][Asta Jonasson] als Assistentin für Diesel bei einem Dreh in
Atlanta. Laut der Klageschrift hatte sie gerade eine Filmschule
abgeschlossen. Zu ihren Aufgaben habe es gehört, Partys zu organisieren und
Diesel bei diesen zu begleiten. Nach einer solchen Veranstaltung sei Diesel
dann übergriffig geworden, habe sie bedrängt und masturbiert, obwohl sie
sich klar ablehnend gezeigt habe.
## Ans Erinnern erinnern
Ein paar Stunden danach sei sie entlassen worden. Ihr sei klar gewesen,
dass sie gefeuert wurde, weil sie nicht mehr nützlich war. „Vin Diesel“,
heißt es in der Klageschrift, „hatte sie benutzt, um seine sexuellen
Wünsche zu erfüllen, und sie hatte sich gegen seine sexuellen Übergriffe
gewehrt.“
Da sie eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet hatte, sei es für sie
nicht in Frage gekommen, über den Vorfall zu sprechen. Mit dem von
US-Präsident Biden im Dezember 22 unterzeichneten „Speak Out Act“ und dem
kalifornischen Gesetz AB2777 hat sich die Lage bei solchen Fällen aber
geändert.
Der „Speak Out Act“ schränkt die Durchsetzung von
Vertraulichkeitsvereinbarungen in Fällen von sexuellen Übergriffen und
Belästigungen ein; AB2777 verlängert Verjährungsfristen solcher, seit 2009
geschehener Taten bis 2026. Gestärkt durch die [3][#MeToo]- und „Time’s
Up“-Bewegung, heißt es in der Klage, sei Jonasson nicht bereit, länger zu
schweigen, wolle ihre Handlungsfähigkeit wiedererlangen und Gerechtigkeit
für das Leid, das sie durch Vin Diesel und seine Firma One Race erlitten
habe, einfordern.
## Verjährung gibt es nicht
Ich fuhr wie jeden Schultag mit der U-Bahn nach Hause. Es war sehr voll,
ich war eingequetscht, plötzlich merkte ich, wie jemand meinen Hoden packte
und zudrückte, eine Station lang. Ich schrie nicht, ich zappelte nicht.
Ich schloss die Augen, hatte Tränen in den Augen, die Türen öffneten sich,
die Menschen drängten aus dem Waggon, ich ging nach Hause, sprach mit
niemandem darüber, hätte auch keine Worte dafür gehabt, dachte nicht mehr
daran, vergaß es. Bis ich Jahrzehnte später hochschreckte.
Und obwohl ich keine größeren bleibenden Schäden feststellen kann, ist die
Tatsache, dass ein Mensch sich meines Körpers mit Gewalt bemächtigt hat,
und dass mein Körper sich daran erinnert, Grund genug, dass ich anlässlich
des bevorstehenden Jahresendes ganz unjuristisch als gefühlte Gerechtigkeit
sagen kann: Verjährt ist da bei mir jedenfalls nichts.
26 Dec 2023
## LINKS
[1] https://blogs.taz.de/popblog/2021/08/30/schmaehkritik-690-fast-furious-9-un…
[2] https://www.nytimes.com/2023/12/21/movies/vin-diesel-lawsuit-asta-jonasson.…
[3] /Lena-Kampf-ueber-MeToo-Recherchen/!5964919
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Sexuelle Übergriffe
sexueller Missbrauch
#Me too
#Me too
Schauspieler
sexueller Missbrauch
Annalena Baerbock
Schwerpunkt #metoo
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