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# taz.de -- Strenge Visabestimmungen: Eintrittskarten zur Welt
> Für Afrikaner:innen ist ein Visum für westliche Länder wie ein
> Lottogewinn. Umgekehrt spazieren Westler:innen unbeschwert über die
> Grenzen.
Bild: Für viele Afrikaner:innen fühlt sich der Erhalt eines Visums wie ein L…
Hallo Mutti, ich habe das Visum, ich gehe nach Amerika!“
„Was, Du hast es bekommen? Gelobt sei der Herr!“
Mein erstes Telefonat, nachdem ich mein US-Visum erhalten hatte, führte ich
mit meiner Mutter aus der Walter Carrington Street in Lagos, ein paar
Gebäude vom US-Konsulat entfernt. Ich vergewisserte mich, dass ich außer
Hörweite war, als ob sie mir mein Visum wieder wegnehmen würden, wenn sie
mein Gespräch hören sollten.
Ich hatte drei Stunden in der Schlange gestanden und zugesehen, wie vielen
Menschen die Chance auf Bildung, [1][Familienzusammenführung] oder einen
[2][Weg aus dem nigerianischen Chaos] und der Armut verwehrt wurde. Einige
hatten ihre besten Kleider angezogen, andere hatten ihre Antworten
auswendig gelernt, sichtlich nervös, weil ihr Schicksal in den Händen
Fremder lag. Einige der Interviewer waren unhöflich und ungeduldig. Es
überraschte mich nicht, als ich später, in Amerika, Beschwerden an die
US-Botschaft über das unprofessionelle Verhalten ihrer Mitarbeiter in Lagos
las.
Für Nigerianer:innen fühlt sich der Erhalt eines Visums [3][wie ein
Lottogewinn] an. Während die Privilegierten des globalen Nordens über
Grenzen spazieren, müssen wir unzählige Hürden überwinden. Würde ein
Deutscher Gott und alle seine Vorfahren preisen, wenn er ein Visum für die
USA erhält? Kaum.
## „Keine Bindungen“ zum Heimatland als Verweigerungsgrund
Die Visabestimmungen sind oft so streng, dass man meinen könnte, die Länder
wetteifern darum, wer der Härteste ist. Die finanziellen Anforderungen sind
teils so hoch, dass Menschen ihre Angehörigen nicht wiedersehen können und
Familien auseinandergerissen werden. Bereits zugelassene Studierende müssen
teils enorme Geldsummen, mitunter die gesamten Studiengebühren, auf ihren
Konten nachweisen.
Unverheiratete oder Wohneigentumslose werden bei der Visavergabe
diskriminiert, weil sie angeblich „keine Bindungen“ zu ihrem Geburtsland
haben. In dieser Welt ist Freizügigkeit ein Privileg, kein Recht.
Unsichtbare Zäune aus Reisebeschränkungen, getarnt als
Sicherheitsmaßnahmen, sperren die Ausgegrenzten in ihren Ecken des Globus
ein, während die Mächtigen des Globalen Nordens ungehindert Grenzen
überschreiten.
Um ein Visum für den Abschlussworkshop der taz Panter Siftung 2024 in
Berlin zu bekommen, mussten zwei Journalistinnen aus Liberia und Sierra
Leone nach Ghana reisen. Das kostete sie Zeit und Geld, auch für die
Einreise nach Ghana wurden Gebühren fällig.
## Der Hürdenlauf zu internationalen Konferenzen
Jahrzehntelang wurden afrikanische Journalist:innen von westlichen
Nachrichtenmedien an den Rand gedrängt. Heute fordern sie ihren
rechtmäßigen Platz beim Erzählen ihrer eigenen Geschichten in der globalen
Medienlandschaft. Dabei haben sie noch immer erhebliche Hürden beim Zugang
zu internationalen Konferenzen oder Stipendien zu überwinden. Solche
Veranstaltungen, die für ihre westlichen Kolleg:innen oft leicht
zugänglich sind, können für Weiterbildung, Vernetzung und den Aufbau ihrer
Karriere entscheidend sein.
Ein aktuelles Beispiel ist die Global Investigative Journalism Conference
im September 2023 in Schweden. Mehreren afrikanischen Journalisten,
darunter Nneoma Benson aus Nigeria wurde das Visum verweigert – trotz
umfangreicher Vorbereitungen, der Zahlung der Konferenzgebühren, der
Buchung von Reisen und des Nachweises früherer Reiseerfahrungen. „Sie
sagten: ‚Nigeria ist nicht sicher, also könnten Sie nach Schweden reisen,
weil Sie nicht zurückkehren wollen.‘ ‚Sie nutzen das Stipendium als
Gelegenheit, Ihr Land zu verlassen.‘ ‚Sie scheinen keine Bindung an ihr
Heimatland zu haben‘“, sagt Benson. Dabei war sie gerade von einer
Dienstreise nach Deutschland zurückgekehrt.
Die Ablehnung eines Visums verwehrt Journalist:innen nicht nur
wertvolle Chancen, sondern ist auch mit erheblichen Kosten verbunden. Vor
allem für Journalist:innen aus Entwicklungsländern ist das ein Problem,
während ausländische Botschaften in Afrika viel Geld mit Ablehnungen
verdienen.
Stephanie Schumann ist Gründerin der Booking-Agentur Delicious Tunes mit
Sitz in München. 95 Prozent der Auftritte von Delicious Tunes sind von
afrikanischen Künstler:innen. Schumann ist frustriert über das komplexe,
uneinheitliche Visumverfahren für afrikanische Künstler, die durch Europa
touren wollen. „Die Angst sie könnten in Europa bleiben, ist übertrieben“,
sagt Schumann. Auch wenn Reiseplan, Konzertverträge, Einladungsschreiben,
Versicherung und anderes korrekt vorgelegt werden, würden Anträge
abgelehnt. „Willkürlich und geschäftsschädigend“ nennt Schumann das –
[4][auch für die europäische Seite.] Schließlich verlieren auch begleitende
europäische Künstler:innnen Einnahmen, ebenso wie Veranstalter. Der
finanzielle Schaden komme zur verlorenen Zeit und dem Aufwand noch hinzu.
Schumann schlägt vor, Künstler:innen, die Europa regelmäßig besuchen,
längerfristige Visa zu erteilen. Das spare Zeit, Geld, Arbeit und Nerven.
„Die kolonial geprägte Einstellung, dass wir entscheiden, wohin ein Mensch
gehen darf oder nicht, muss sich ändern“, findet Schumann.
## Strenge Regeln erschweren die legale Migration
Eine Untersuchung der kandischen Regierung ergab, dass afrikanische
Student:innen in Kanada und den USA wesentlich schlechtere Chancen auf
ein Visum haben als solche aus anderen Regionen der Welt, und dass
Rassismus dabei ein wichtiger Faktor ist.
So erschweren strenge Regeln die legale Migration. Dabei könnte diese die
gefährlichen, undokumentierten Einreisen verringern. Seit Jahren versucht
Europa, die Migration durch diplomatische Initiativen mit afrikanischen
Ländern zu steuern. Sie werden unter Druck gesetzt, die Abwanderung zu
stoppen, indem sie Migranten mit militärischer Gewalt vom Mittelmeer
fernhalten. Außerdem wird von den Staaten erwartet, abgeschobene Migranten
aufzunehmen – eigene Bürger, aber teils auch andere. So entledigt sich
Europa seiner Verantwortung für die Verursachung der Krisen, die zur
irregulären Migration führen.
Die EU tritt für Mobilität ein, verschärft aber die Kontrollen an ihren
eigenen Grenzen. Sie erhebt Freizügigkeit zum Element der Demokratie,
während afrikanische Staaten, denen sie selbst Autokratie vorwirft, die
Bewegung von Menschen stoppen sollen.
Offene Grenzen erleichtern die Zusammenarbeit bei globalen Problemen wie
Klimawandel und Pandemien. Sie ermöglichen besser koordinierte Reaktionen,
die mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein werden. Für einen
gleichberechtigten Dialog müssen dabei die afrikanischen Prioritäten
berücksichtigt werden. Die Visapolitik aber spiegelt ein
Machtungleichgewicht wider, bei dem stärkere Nationen den Schwächeren
strengere Anforderungen auferlegen und Freizügigkeit ihrer Bürger:innen
einschränkt. So beeinflusst die koloniale Vergangenheit Europas die heutige
Migrationsdynamik und hält die Chancenungleichheit aufrecht.
[5][Hier] erfahren Sie mehr über den Afrika-Workshop der taz Panter
Stiftung und das 54-seitige Magazin.
22 Jan 2024
## LINKS
[1] /Migration-in-Deutschland/!5981522
[2] /Religion-in-Nigeria/!5985265
[3] /Arbeitsvisa-fuer-Menschen-aus-Afrika/!5678807
[4] /Migration-aus-Afrika/!5853561
[5] /!vn5981173/
## AUTOREN
Nelly Kalu
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