# taz.de -- EU-Jurist über Ukraine-Ermittlungen: „Es ist ein fortlaufender P… | |
> Ladislav Hamran weiß als Eurojust-Präsident, wie die Ermittlungen zu | |
> Kriegsverbrechen in der Ukraine laufen: Sie sind eine besondere | |
> Herausforderung. | |
Bild: Lyman, Ukraine, 07.10.2022: Kriminaltechniker untersuchen ein Massengrab | |
taz: Herr Hamran, Sie haben im Juli das International Centre for the | |
Prosecution of the Crime of Aggression against Ukraine ([1][ICPA]) | |
mitbegründet. Das Zentrum soll Beweise zur Verfolgung russischer | |
Kriegsverbrechen in der Ukraine sammeln und Anklagen gegen Täter | |
vorbereiten. Wie sind Sie vorangekommen? | |
Ladislav Hamran: Verantwortlichkeit beginnt mit Beweisen. [2][Das Sammeln | |
von Beweismaterial] ist daher essenziell. Wir sind mehrere Länder, die die | |
Situation aus verschiedenen Perspektiven beobachten. Dabei ist es sehr | |
wichtig, diese Länder, unsere Partner, zusammenzubringen und zu verstehen, | |
wer was tut, welche Dimension die Ermittlungen haben, was ihre rechtliche | |
Grundlage ist, wie weit sie fortgeschritten und was ihre Ziele sind. Dies | |
ist eine fragmentierte Ausgangssituation, Beweise sind weltweit verstreut. | |
Meinen Sie digitales Beweismaterial? | |
Richtig. Wir sehen einen Trend, dass dieses Material Zeugenberichten, | |
Aussagen von Opfern und physischen Beweisen den Rang abläuft. Digitale | |
Beweise sind an verschiedenen Orten vorhanden, daher ist eine gute | |
Kommunikation und Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU essenziell, | |
genauso wie mit Servern und Internet-Diensten. Diese sitzen teilweise in | |
den USA. Das erklärt, warum die USA am ICPA teilnehmen. | |
Was bedeutet das konkret? | |
Dass Staatsanwälte und Ermittler, Experten, Polizisten und | |
Geheimdienstmitarbeiter entweder nach Den Haag kommen oder permanent im | |
ICPA-Standort sind und über rechtliche, praktische und logistische Aspekte | |
des Verbrechens eines Angriffskriegs diskutieren. | |
Welche Herausforderungen bringt das ICPA mit sich? | |
Am Anfang mussten wir eine übereinstimmende Definition zum Verbrechen eines | |
Angriffskriegs finden. Dann braucht man Fachleute, die den Ermittlern | |
neutrale, objektive und solide Expertise zur Verfügung stellen können. | |
Hinzu kommt die starke Fragmentierung: Wir haben nationale Ermittlungen, | |
aber weltweit verbreitetes Beweismaterial, das zum Teil auch geheim sein | |
kann. Wenn der Zugang über Nachrichtendienste, Militär oder | |
Sicherheitskräfte verschiedener Länder führt, müssen wir herausfinden, ob | |
sie ihr Material mit uns teilen wollen. Zum Teil muss | |
nachrichtendienstliches Beweismaterial in zulässiges umgewandelt werden. Da | |
gibt es unterschiedliche nationale Anforderungen. | |
Zur Koordinierung der Ermittlungen wurde eine Gemeinsame Ermittlungsgruppe | |
gegründet, das Joint Investigation Team (JIT). Wer ist dabei? | |
Die Ukraine, Lettland, Litauen, Estland, Polen, Slowakei und Rumänien. Nur | |
drei Wochen nach Beginn des Konflikts im Februar 2022 riefen die Ukraine, | |
Polen und Litauen das JIT ins Leben – die anderen Länder kamen nach und | |
nach dazu. Es gibt auch eine Vereinbarung (ein Memorandum of Understanding) | |
mit den USA, um schnell Informationen und Beweismaterial auszutauschen. | |
Welche Art von Beweisen konnten Sie bisher sammeln? | |
Zunächst liegen uns aus den Nachbarländern der Ukraine viele Interviews mit | |
Geflüchteten vor, die verschiedene Verbrechen direkt miterlebten und | |
darüber aussagen konnten – darunter Opfer von Gräueltaten. Dazu haben wir | |
Fotos und Videos von ihnen oder Verwandten bekommen, die noch in der | |
Ukraine sind, Audio-Aufnahmen abgehörter Gespräche zwischen russischen | |
Soldaten und Kommandanten sowie zahlreiche Satelliten- und Drohnen-Bilder. | |
Es gibt viel militärisches Beweismaterial und das sogenannte battlefield | |
evidence von der Front. Dazu kommen IP- und E-Mail-Adressen oder | |
Telefonnummern über ukrainische Telekommunikation und weitere elektronische | |
Kommunikation zwischen Soldaten und ihren Angehörigen in Russland. | |
Lassen sich daraus schon Schlüsse ziehen? | |
Zum jetzigen Zeitpunkt kennen wir bereits Truppenstandorte und wissen, | |
welche militärischen Abteilungen in bestimmten Regionen operieren. Die | |
ukrainischen Partner haben viel medizinisches, forensisches und | |
militärisches Expertenwissen. | |
Wie verfahren Sie weiter? | |
Wir brauchen Analysten, nicht nur für Daten, sondern auch Rechtsexperten, | |
die Videos und Fotos auswerten. Unser Anspruch ist, nicht nur ein | |
Speicherplatz für die jeweiligen nationalen Behörden zu sein. Wir wollen | |
verstehen, was darauf aus rechtlicher Perspektive festgehalten ist. Es ist | |
eine weitere Herausforderung, dieses fragmentierte Beweismaterial in einer | |
Datenbank zu zentralisieren, die wir dafür eingerichtet haben: die Core | |
International Crime Evidence Database (CICED). Sie sammelt das | |
Beweismaterial der einzelnen nationalen Behörden an einem gemeinsamen Ort, | |
was neben rechtlicher und Daten-Expertise auch sichere Übertragungstools | |
und Speicherplatz benötigt. Aber das Sammeln von Beweismaterialien geht | |
nicht immer mit Ermittlungen einher. | |
Über wie viele Beweisstücke sprechen wir? | |
Es geht um Tausende. | |
Was geschah in Ihrem Sitz in Den Haag seit der Gründung des ICPA? | |
Die Mitgliedsländer sind sehr engagiert. Die Staatsanwaltschaften haben | |
auch in den Sommerferien in Den Haag hart daran gearbeitet, das erste | |
ICPA-Treffen vorzubereiten, das im Spätsommer bei uns stattfand. Es gibt | |
Länder, deren Staatsanwaltschaft hier permanent vertreten ist, und solche, | |
die regelmäßig hier hinkommen. Das ist ein fortlaufender Prozess. | |
Gibt es ein Zwischenfazit? | |
Um diese Art von Verbrechen zu dokumentieren, braucht es erhebliche | |
internationale Anstrengungen und viel Engagement verschiedener Akteure. Ein | |
Land allein kann eine solche Ermittlung nicht leisten. | |
Sie sind seit 2017 Eurojust-Präsident. Was bedeutet Ihnen das Projekt ICPA? | |
Mich ermutigt, dass wir als internationale Gemeinschaft von Staatsanwälten | |
länderübergreifend diese Kriegsverbrechen ermitteln und dokumentieren. | |
Diese Initiativen gehen in die richtige Richtung, um internationale | |
Verantwortlichkeit zu gewährleisten. | |
17 Nov 2023 | |
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[1] /Strafverfolgung-im-Ukraine-Krieg/!5941799 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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