| # taz.de -- Podcast über Mesut Özil: Projektionsfläche und Akteur | |
| > Warum hat Fußballstar Mesut Özil seinem Geburtsland den Rücken gekehrt? | |
| > Der Podcast „SchwarzRotGold“ geht der Frage nach. | |
| Bild: Mesut Özil im Trikot seiner vorletzten Station: Fenerbahçe Istanbul | |
| Im Jahr 2023 ist der hochbegabte Fußballer Mesut Özil, 35, das, was er | |
| angeblich nie sein wollte: eine politische Figur. Deswegen gibt es jetzt | |
| einen achtteiligen Podcast von Undone und RTL+ über ihn. „Das ist ein Typ, | |
| der will einfach nur spielen“, erzählt der Fußballjournalist Andreas Bock | |
| in Folge eins über den jungen Özil. Alle hätten gesagt: „Der macht sich | |
| überhaupt keine Gedanken um irgendwelche politischen oder | |
| gesellschaftlichen Sachen.“ Heute trägt Özil ein faschistisches Tattoo auf | |
| der Brust. | |
| Moderator Khesrau Behroz („Cui Bono“) und Autor Karim Khattab erklären in | |
| den ersten vier Folgen von „SchwarzRotGold: Mesut Özil zu Gast bei | |
| Freunden“ nachvollziehbar, wie ein Nachkomme türkischer Gastarbeiter zu | |
| Beginn seiner sportlichen [1][Karriere eine politische Projektionsfläche | |
| wurde]. Zentral ist das zweite Halbjahr 2010: Bis hierhin hatte Özil | |
| tatsächlich einfach nur Fußball gespielt, im Sommer gar so gut, dass er bei | |
| der Weltmeisterschaft in Südafrika den Ausfall von Michael Ballack | |
| wettmachte und dann zu Real Madrid wechselte. | |
| Doch in einem Jahr, in dem „Multikulti“ wahlweise für „gescheitert“ (A… | |
| Merkel) oder „tot“ (Horst Seehofer) erklärt wurde und Thilo Sarrazin mit | |
| einer rassistischen Hetzschrift Millionen verdiente, entschied sich die | |
| deutsche Mehrheitsgesellschaft, Mesut Özil zum Vorbild zu erklären – für | |
| Integration. Dass Özil in Gelsenkirchen geboren, aufgewachsen, ausgebildet | |
| und sozialisiert wurde, schien dabei niemand zu hinterfragen. Im November | |
| 2010 bekam er den Integrationsbambi, Nazan Eckes hielt eine Laudatio, in | |
| der sie erklärte, dass dank Özil „deutsche Stammtische und türkische | |
| Teestuben“ gemeinsam jubelten. Mesut Özil, der Vorzeigetürke. | |
| Wenige Wochen zuvor war [2][Özil bei einem Länderspiel gegen die Türkei im | |
| Berliner Olympiastadion] ausgepfiffen und beleidigt worden, einige Fans | |
| skandierten: „Özil, du Arschloch“. Es waren in Deutschland lebende Anhäng… | |
| der türkischen Nationalmannschaft, die ihm übel nahmen, dass er nicht für | |
| das Heimatland seiner Eltern auflief. | |
| ## Ausrede, die nicht mehr zieht | |
| Nach der Partie entstand ein Bild, das um die Welt ging: Özil, | |
| oberkörperfrei, schüttelte der Bundeskanzlerin die Hand. Özil war stolz auf | |
| das Foto, ließ es vergrößern und aufhängen. Aber als die deutsche | |
| Nationalmannschaft zwei Jahre später bei der Europameisterschaft 2012 im | |
| Halbfinale an Italien scheiterte, halfen Özil weder Bambi noch Merkel. Die | |
| deutsche Mehrheitsgesellschaft brauchte Schuldige und fand sie in Özil, | |
| Khedira, Boateng; jenen, die bei der Nationalhymne schwiegen. | |
| Hier enden die ersten vier aktuell verfügbaren Folgen von „SchwarzRotGold“. | |
| Sie helfen zu verstehen, warum der sensible Mesut Özil seinem Geburtsland | |
| schon vor vielen Jahren den Rücken gekehrt hat. | |
| Doch längst ist der 35-Jährige selbst zum politischen Akteur geworden: Seit | |
| Jahren ist Özil bekennender Unterstützer des türkischen Präsidenten Recep | |
| Tayyip Erdoğan, unterstützte dessen Wahlkampf im Mai öffentlich. Und vor | |
| einigen Wochen sorgte der Instagrampost seines Fitnesstrainers für | |
| Entsetzen: Özil posierte mit einem Tattoo der rechtsextremen türkischen | |
| Bewegung Graue Wölfe auf der Brust. | |
| Aus der Pressemitteilung der Produktionsfirma geht hervor, dass Letzteres | |
| passierte, als das Team gerade „mitten in den Recherchen“ steckte, das | |
| Tattoo werde in der letzten Episode besprochen. Zuvor sollen Özils Vater | |
| und sein langjähriger Berater zu Wort kommen, mit ihrem Protagonisten | |
| selbst haben die Macher nicht gesprochen. Der Hörer muss sich mit Auszügen | |
| eines Interviews begnügen, das älter ist als [3][Özils heftig kritisiertes | |
| Foto mit Erdoğan] vor der Weltmeisterschaft 2018. Nach dem Turnier trat | |
| Özil aus der Nationalelf zurück, Rassismusvorwürfe inklusive. | |
| Umso wichtiger ist daher eine kritische Auseinandersetzung mit seinen | |
| Äußerungen und Handlungen seitdem. „Der will einfach nur Fußball spielen“ | |
| ist jedenfalls eine Ausrede, die schon lange nicht mehr zieht. Hoffentlich | |
| macht der Podcast das in seiner zweiten Hälfte deutlich. | |
| 10 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Kulessa | |
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