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# taz.de -- Verkehrspolitik in Mumbai: Erstickte Träume
> Unsere Autorin besucht nach langer Zeit wieder ihre Heimat Indien. Dort
> erlebt sie viel Schönes, aber erfährt auch viel Ernüchterung.
Bild: Megabaustelle Mumbai Costal Road
Vor drei Wochen bin ich endlich wieder einmal nach Indien geflogen – nach
einer dreijährigen Pause. Da freute ich mich sogar auf einen langen
Interkontinentalflug. Mein Besuch war von den vielen Treffen mit
Freundinnen und Familie geprägt, außerdem genoss ich die vertrauten
Köstlichkeiten mit ihren vielfältigen Aromen, die meine Mutter und andere
Verwandte zubereitet hatten. Ich besuchte auch all die Orte am Ufer des
Ozeans, an denen wir als Jugendliche so viel Spaß und Ausgelassenheit
erlebt hatten.
Aber mich überkam ein böser Schock, als ich die auf einer Insel im Meer
gelegene Hadschi-Ali-Moschee besuchen wollte: Sie war nicht mehr sichtbar!
Früher führte hier am Ufer ein Boulevard entlang, auf dem wir in der kühlen
Brise unsere Haare fliegen ließen und die verschwitzte Haut abkühlten. Doch
dieses Mal war die Sicht aufs Meer von Beton blockiert.
Hier entsteht die Mumbai Coastal Road, eine viel diskutierte und von Teilen
der Öffentlichkeit abgelehnte achtspurige Autobahn, die den südlichen und
nördlichen Teil der Stadt verbinden soll. Ihr Bau begann Ende 2020, als
wichtige Bauprojekte trotz der Covid-19-Pandemie wieder aufgenommen werden
durften. Der Rest der Stadt ist, wie ich leider feststellen musste, eine
einzige Baustelle.
Mumbais Nahverkehrssystem mit 390 Kilometern Schienen, auf denen täglich
2.342 Zugverbindungen mehr als 7,5 Millionen Pendler befördern, reicht
nicht aus, um den 20 Millionen Einwohnern gerecht zu werden. Und so hat der
laufende Infrastrukturausbau dazu geführt, dass viele Teile der Stadt
aufgebuddelt werden. Ich musste schmunzeln, als ich einen Wohnkomplex mit
dem Namen Lakeside View sah, obwohl die Bauarbeiten nur einen riesigen
Krater hatten entstehen lassen. Dieser Krater wird im Monsun zweifellos
volllaufen, was man dann nur mit viel Ironie „Seeblick“ nennen kann.
Die Begründung, mit der das Großprojekt der Coastal Road der Stadt verkauft
wurde, war ein besseres Verkehrsmanagement. Aber aus der Erfahrung mit der
2010 eröffneten Sealink-Brücke weiter im Norden Mumbais wissen wir alle,
dass auch die Coastal Road nur der wohlhabenden Bevölkerung im südlichen
Teil der Stadt nutzen wird.
Der Bau der 11,5 Kilometer langen Sealink-Verbindung zwischen Zentral- und
Nordmumbai sollte erst 45 Millionen Euro kosten, verschlang am Ende aber
das Vierfache. Noch schockierender ist jedoch, dass diese das Stadtbild
prägende, mautpflichtige Brücke nicht von den ursprünglich anvisierten
120.000 Autos und Lkws, sondern nur von durchschnittlich 35.000 Fahrzeugen
pro Tag genutzt wird. Somit entstand eine gewaltige Lücke zwischen Kosten
und Nutzen.
Die roten Doppeldeckerbusse, die zweifellos eine Adaption der [1][Londoner
Variante] sind, wurden vor einigen Monaten von den Straßen verbannt. Eine
Freundin konnte ihr kleines Kind noch einmal auf eine der letzten Fahrten
mitnehmen, die für mich immer zu den wichtigsten Erlebnissen zählten, die
man in Mumbai haben konnte – vor allem, wenn man sich den vordersten Platz
auf dem Oberdeck sichert. So konnten die beiden noch einmal den
unvergleichlichen Blick auf die Stadt genießen, während sie durch die
verschiedenen Viertel fuhren.
Natürlich haben sich auch in Indien [2][Fahrdienste etabliert], die man
über eine App mit dem Smartphone herbeirufen kann. Deshalb sind die
Straßen, die einst voller roter Busse waren, jetzt voller weißer Taxis.
Dies ist definitiv nicht der öffentliche Nahverkehr, den eine Stadt wie
Mumbai braucht oder verdient.
Das Kind meiner Freundin wird nun leider in einer Megacity mit [3][enormer
Umweltverschmutzung] aufwachsen und möglicherweise in seinem Schulbus im
Stau stecken bleiben.
Aus dem Englischen von Stefan Schaaf
5 Nov 2023
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## AUTOREN
Priyanka Borpujari
## TAGS
Kolumne Fernsicht
Mumbai
Indien
Verkehrspolitik
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Kolumne Erste Frauen
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