# taz.de -- Bündnis Sahra Wagenknecht: Vernunft und Gerechtigkeit | |
> Niedriglöhne, Umverteilung nach oben, öffentliche Daseinsvorsorge kaputt | |
> gespart oder privatisiert, neues Wettrüsten – es kann so nicht | |
> weitergehen. | |
Bild: Sahra Wagenknecht sieht Deutschland als ziemlich kaputtes Land | |
Unser Land befindet sich in einer tiefen Krise. Viele Menschen machen sich | |
Sorgen um ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder. Das Vertrauen in die | |
Ampel-Regierung ist auf einem Tiefstand, doch nur eine Minderheit glaubt, | |
dass die Union es besser machen würde. Aus Wut und Verzweiflung [1][wählen | |
viele AfD]. Dafür gibt es Gründe: Unser Rentenniveau gehört zu den | |
niedrigsten in Westeuropa. Statt in einen kompetenten Staat zu investieren, | |
haben Politiker die Wünsche einflussreicher Lobbys bedient und die | |
öffentliche Infrastruktur kaputt gespart und privatisiert. | |
Statt Leistung zu belohnen, werden viele Arbeitnehmer mit Niedriglöhnen | |
abgespeist. In wichtigen Bereichen fehlen Fachkräfte, weil unser | |
Bildungssystem, für das [2][wir seit Jahren weniger Geld ausgeben als der | |
Durchschnitt der OECD-Staaten], immer mehr junge Menschen ohne gute | |
Ausbildung ins Leben schickt. Jetzt kürzt die Regierung auch noch die | |
Mittel für die dringend nötige Qualifizierung von Arbeitslosen. Viele | |
hatten die Hoffnung, dass die Ampel den Stillstand beenden und | |
gesellschaftliche Probleme – von Wohnungsnot bis Kinderarmut – anpacken | |
würde. Dass sie nach Jahrzehnten, in denen die Infrastruktur auf Verschleiß | |
gefahren wurde, wieder in die Zukunft investiert. | |
Doch statt einer „Fortschrittskoalition“ kam mit der „Zeitenwende“ ein | |
Rückfall in die Epoche des Wettrüstens und der Konfrontationspolitik. Mit | |
Sanktionen, die uns vor allem selbst schaden, wurde unser Land von | |
preisgünstiger Energie abgeschnitten. Stattdessen importieren wir nun | |
teures Frackinggas aus den USA oder beziehen russische Energie teuer und | |
klimaschädlich über Umwege wie Indien und Belgien. Im Ergebnis drohen die | |
Abwanderung wichtiger Industrien und der Verlust hunderttausender | |
gutbezahlter Arbeitsplätze. | |
Die Wohnungsnot in den Städten ist dramatisch, Krankenhäuser werden | |
geschlossen, menschenwürdige Pflege wird mehr und mehr zum Privileg einer | |
reichen Minderheit. Vor allem in ärmeren Wohngebieten verschärft die hohe | |
Zuwanderung die Probleme an den Schulen. Das Aufstiegsversprechen der | |
sozialen Marktwirtschaft gilt nicht mehr, der persönliche Wohlstand hängt | |
längst wieder vor allem vom sozialen Status der Eltern ab. Konkurrenzdruck, | |
Egoismus, Aggressivität und Intoleranz im Umgang miteinander nehmen zu. Wir | |
erleben eine zunehmende Verengung des Meinungsspektrums, in der kritische | |
Stimmen ausgegrenzt und diffamiert werden. | |
[3][Ich bin gemeinsam mit anderen zu dem Schluss gelangt], dass es so nicht | |
weitergehen darf. Dass es einer politischen Kraft bedarf, die für eine | |
Politik der wirtschaftlichen Vernunft, für soziale Gerechtigkeit, für | |
Frieden und Diplomatie und eine offene Diskussionskultur einsteht. Wir | |
wollen nicht länger zusehen, wie man uns in Kriege verwickelt, wie Unmengen | |
an Waffen exportiert und Konflikte importiert werden. Wie unsere Industrie | |
und unser Mittelstand aufs Spiel gesetzt werden. Wie von den Fleißigen zu | |
den oberen Zehntausend umverteilt wird. Wir wollen den Zerfall des | |
gesellschaftlichen Zusammenhalts stoppen und die Politik wieder am | |
Gemeinwohl ausrichten. Um den wirtschaftlichen Abstieg unseres Landes zu | |
verhindern, sind preiswerte Energie sowie mehr Investitionen in unser | |
Bildungssystem, unsere öffentliche Infrastruktur und in kompetente | |
Verwaltungen notwendig. | |
Die Veränderung des Weltklimas und die Zerstörung unserer natürlichen | |
Lebensgrundlagen sind ernste Herausforderungen, die die Politik nicht | |
ignorieren darf. Aber undurchdachte Maßnahmen helfen dem Klima nicht; sie | |
untergraben nur die öffentliche Akzeptanz sinnvoller Klimaschutzpolitik. | |
Der wichtigste Beitrag, den ein Land wie Deutschland zur Bekämpfung von | |
Klimawandel und Umweltzerstörung leisten kann, ist die Entwicklung | |
innovativer Schlüsseltechnologien für eine klimaneutrale und | |
naturverträgliche Wirtschaft der Zukunft. Genau da fallen wir aber | |
international zurück. | |
## Mindestlohn von 14 Euro | |
Unser Land braucht milliardenschwere Zukunftsfonds zur Förderung | |
innovativer heimischer Unternehmen und Start-ups, nicht | |
Milliardensubventionen für hochprofitable Konzerne. Wir wollen für fairen | |
Wettbewerb sorgen, indem wir marktbeherrschende Unternehmen entflechten und | |
Dumpingkonkurrenz unterbinden. Notwendig ist ein gerechtes Steuersystem, | |
das verhindert, dass große Unternehmen und reiche Privatpersonen sich ihrem | |
angemessenen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens entziehen können. | |
Notwendig sind eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeit von | |
Tarifverträgen und ein Mindestlohn von 14 Euro. | |
Zugleich braucht unser Land einen guten Sozialstaat, der zuverlässig vor | |
dem sozialen Absturz im Falle von Krankheit oder Arbeitslosigkeit und im | |
Alter schützt. Statt 10 Milliarden Euro Steuergeld in eine spekulative | |
Aktienrente zu versenken, sollte das deutsche Rentensystem nach dem | |
Vorbild Österreichs umgebaut werden, wo ein langjährig Versicherter im | |
Monat fast 800 Euro mehr zur Verfügung hat. | |
## Keine Sanktionspolitik | |
Die Privatisierung und Kommerzialisierung existentieller Dienstleistungen – | |
Gesundheit, Pflege, Wohnen – muss gestoppt werden. Da private | |
Wohnungsunternehmen im heutigen Zinsumfeld kaum noch bauen, müssen | |
kommunale und gemeinnützige Anbieter übernehmen und durch zinsgünstige | |
KfW-Darlehen unterstützt werden. | |
In der Außenpolitik streben wir eine Rückkehr zur Entspannungspolitik an. | |
Als rohstoffarmes und exportstarkes Land sind wir auf gute | |
Handelsbeziehungen zu möglichst vielen Ländern angewiesen. Auch deshalb | |
lehnen wir die einseitige Sanktionspolitik ab. Zur Lösung drängender | |
globaler Probleme braucht es mehr Diplomatie und internationale Kooperation | |
sowie die Akzeptanz einer multipolaren Weltordnung – keinen Kurs der | |
Aufrüstung und erneuten Blockkonfrontation, der Konflikte und Kriege | |
anheizt und damit unser aller Zukunft aufs Spiel setzt. | |
30 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /AfD-Waehler-in-Bayern-und-Hessen/!5965710 | |
[2] https://www.oecd.org/berlin/presse/kampf-gegen-chancenungleichheit-erforder… | |
[3] /Wagenknechts-neuer-Verein/!5965283 | |
## AUTOREN | |
Sahra Wagenknecht | |
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