# taz.de -- Referendum in Australien: Aboriginal-Voice droht Debakel | |
> Australien stimmt über eine Verfassungsänderung ab, die Ureinwohnern zur | |
> beratenden Stimme im Parlament verhelfen soll. Rechte mobilisieren | |
> dagegen. | |
Bild: Yes23 Kampagne in Brisbane | |
Canberra taz | Eigentlich wäre es einfach: Australiens Ureinwohner sollen | |
mehr politische Mitspracherechte erhalten in sie besonders betreffenden | |
Belangen wie etwa Gesundheitsversorgung, Wohnungsbau und Beschäftigung. | |
Seit der Invasion des Kontinents durch britische Sträflinge und Siedler | |
1788 hätten Politiker und Behörden viel zu lange über die Köpfe und oft | |
gegen Interessen der ersten Australier entschieden, sagen Kritiker seit | |
Jahren. | |
Eine entsprechende Vorlage, über die das Volk am Samstag abstimmt, soll | |
[1][dem Parlament] erlauben, eine Beratungskommission aus indigenen | |
Vertretern zu schaffen. Deren Mitglieder würden die Ureinwohner selbst | |
bestimmen. | |
Das Gremium könnte vom Parlament um Stellungnahmen gebeten werden, bevor es | |
über wichtige Fragen abstimmt. Ob sie darauf hören, bliebe aber den | |
Volksvertretern überlassen. | |
Da die sogenannte „Voice to Parliament“ in der Verfassung verankert werden | |
soll, würden die seit 65.000 Jahren auf dem roten Kontinent lebenden | |
Aboriginal und Bewohner der Torres Meeresstraße im Fall der Annahme zum | |
ersten Mal im Grundgesetz von 1901 erwähnt. | |
## Rechte Kampagne drehte die Stimmung | |
Im Gegensatz zu vergleichbaren Ländern wie etwa Neuseeland hat Australien | |
keinen Vertrag mit seinen Ureinwohnern. Erst 1967 bekamen sie Bürgerrechte. | |
900.000 Menschen bezeichnen sich heute als indigen, etwa vier Prozent der | |
Bevölkerung. | |
Die Abstimmungsvorlage basiert auf jahrelangen Verhandlungen zwischen den | |
heute noch rund 300 indigenen Völkern und Stämmen Australiens. Mit der | |
sogenannten „Uluru-Deklaration“ reichten die Aboriginal der nicht indigenen | |
Bevölkerungsmehrheit „die Hand in Freundschaft und Versöhnung“, so eine d… | |
Architektinnen des Vorschlags, Jennie Gordon, zur taz. | |
Doch kurz vor dem Referendum zeigen jetzt alle Umfragen, dass die Vorlage | |
scheitern dürfte. Eine Kampagne der Oppositionsparteien unter ihrem Chef | |
Peter Dutton hat mit Unterstützung konservativer Denkfabriken und | |
Meinungsmacher in nur wenigen Monaten ein klares Ja der Bevölkerung in ein | |
wahrscheinliches Nein verwandelt. | |
Mit dem Slogan „If you don’t know, vote No“ – wenn man nichts wisse üb… | |
die Vorlage, solle man Nein stimmen – schürten die Gegner Angst, dass man | |
der Vorlage nicht trauen könne. | |
## Nein-Kampagne nährte auch rassistische Übergriffe | |
Hinzu kam eine Medienkampagne voller Fehl- und Falschinformationen zu Sinn | |
und Zweck der „Stimme“. So wurde behauptet, das indigene Gremium könne | |
künftig vorschreiben, wie Landwirte ihre Äcker bewirtschaften oder wie | |
Bergbauunternehmen ihre Minen betreiben dürfen. | |
Gewarnt wurde auch vor Steuererhöhungen und Massenarbeitslosigkeit, da | |
Unternehmen „gezwungen werden“, Aboriginal zu beschäftigen oder | |
„Kompensationszahlungen zu leisten“. Solche Behauptungen entbehren laut | |
Verfassungsexperten aber jeder Grundlage. | |
Die Nein-Kampagne führte inzwischen auch zu einem Anstieg rassistisch | |
motivierter Übergriffe. [2][In den sozialen Medien werden prominente | |
Indigene beschimpft.] Kommentatoren sowie Vertreter der Aboriginal zeigten | |
sich vergangene Woche schockiert über eine Meinungsumfrage, wonach ein | |
wesentlicher Teil der Bevölkerung an der Benachteiligung der Aboriginal | |
zweifelt. | |
Dabei sind die Statistiken klar: Indigene Australierinnen und Australier | |
leiden unter höheren Arbeitslosenraten, mehr Suiziden, mehr Gewalt und mehr | |
Verwahrlosung als die nicht indigene Mehrheit. Gesundheitsprobleme sind | |
endemisch – Aboriginal sterben im Schnitt acht Jahre früher als nicht | |
Indigene. | |
Führende Indigene sagen, ein Grund für die Situation sei, dass Aboriginal | |
kaum politische Entscheide beeinflussen können, die sie direkt betreffen. | |
Stattdessen seien sie einer paternalistischen, oft politisch beeinflussten | |
und gelegentlich rassistischen Bürokratie ausgeliefert. Ein Gremium wie die | |
„Stimme“ könne das ändern, so die indigene Rechtsprofessorin Megan Davis. | |
13 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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