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# taz.de -- Kremlkritischer Rapper aus Russland: Designer-Alien gegen Putin
> Der russische Rapper Face hat sich gewandelt. Vom hohlen HipHop-Meme zum
> Kremlkritiker und „ausländischen Agenten“. Ein Porträt.
Bild: Da war er noch ein HipHop-Meme: Face, 2019
Ein Bär kämpft gegen den Comichelden Captain America. Die US-Flagge brennt,
und aus den Augen des russischem Rappers Face schießen Blitze auf
Wolkenkratzer. Dazu rappt er immer wieder: „Я роняю запад“ – i…
Westen fallen. Der Videoclip zum gleichnamigen Song von 2017 stellte sich
die Frage: Will da wirklich gerade einer den Westen brennen sehen? HipHop
aus Russland ist seinerzeit so erfolgreich und kreativ wie nie zuvor.
Androgyne Rapper mit langen Haaren, Gesichtstattoos, lackierten
Fingernägeln wie Pharaoh und Face, der eigentlich Iwan Timofejewitsch
Driomin heißt, bedienen sich der US-Trap-Ästhetik und spinnen sie weiter.
Oder, sie parodieren sie, wie im Falle von „Я роняю запад“. Der …
Face wird bereits Mitte der zehner Jahre zum wandelnden Meme und Star.
Damals reimt er, wie er den Gucci-Store in St. Petersburg ausräumt.
Im Text „Я роняю запад“ repetiert er „Esskeetit“, die Signat…
damals angesagten US-Rappers Lil Pump. Natürlich hasst Face den Westen
nicht. Seine Künstleridentität ist an US-Lifestyle orientiert. Ihm geht es
lediglich darum zu provozieren. Mit seiner direkten Sprache eckt er zwar
an, und mit seinem Style bricht er mit männlichen Stereotypen, ansonsten
wirkt Face politisch unbedarft; obwohl in Russland schon damals Rapper
wegen vulgärer Texte bestraft werden und der Kreml kein Fan dieser Musik
ist. [1][Man solle, sagte Putin einmal sinngemäß, die Inhalte von Rappern
regulieren].
Im März 2022 entfernt Face seine Musik von allen russischen
Musikplattformen. Er wird zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich
öffentlich gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht. Bald danach wird Face
von der russischen Regierung als „ausländischer Agent“ eingestuft. Er
verlässt das Land, verschwindet aus der Öffentlichkeit, spielt nur
gelegentlich Konzerte. Nun, im September 2023 veröffentlicht er das neue
Album „Ничего хорошего“ („Nichts ist gut“). Darin rappt F…
zurück nach Russland kommen und Molotowcocktails auf den Kreml werfen will.
Musik und Texte von Face klingen nun reflektierter und eigenständiger. Er
schreit seine Texte nicht mehr manisch ins Mikrofon, sondern singt zu
Gitarren, rappt auf brachiale Beats. Er spricht über postsowjetische
Zerrissenheit in Großstädten, über seinen Vater, der in seiner Jugend
abwesend war, über das Gewaltpotenzial der Adoleszenz. Auch wenn sich Face
in seiner Musik einen gewissen Größenwahn erhält, wird er immer ernster.
## Öffentlich gegen den russischen Angriffskrieg
Das Image als Alienwesen mit Designerfimmel ist ihm zunehmend egal. Er
rasiert sich die Haare ab, positioniert sich öffentlich gegen den
russischen Angriffskrieg. Die Einstufung als „ausländischer Agent“ macht
das Künstlerdasein in Russland für ihn unmöglich, mittlerweile reist Face
mit Touristenvisum um die Welt. Und „Ничего хорошего“ beschre…
acht Songs diese innere Zerrissenheit. Er gibt sich wütend auf den Staat,
auf die Scheinheiligkeit der Mitläufer, auf die Kriegsunterstützer und die
Schweigenden. „Das Problem ist, dass der Staat nicht nur nervt, sondern
auch beißt“, rappt er an einer Stelle und [2][umschreibt damit die Angst,
die viele russische Künstler*innen davon abhält, sich kritisch zu
äußern.] Face beißt mit seiner Musik immerhin zurück.
Andererseits ist da die Trauer über den Verlust des engen sozialen Umfelds,
das Fehlen eines Zuhauses, einer Heimat, hinter der er auf keinen Fall mehr
stehen kann. Face macht auf „Ничего хорошего“ auch klar, dass
Fünfsternehotels im Westen denjenigen nichts bringen, die nicht mehr
wissen, wo sie hingehören. Wut in seiner Musik wechselt sich ab mit
Ohnmacht, depressiven Episoden, die sogar in Suizidgedanken münden.
Spannend klingt dabei, wie die Wut, Ohnmacht und Trauer in den Texten oft
dem Sound antagonistisch gegenüberstehen. Während Face erzählt, säuseln im
Hintergrund Soulsamples, erklingen ruhige Gitarren und E-Pianos. Dieser
Sound wirkt so, als solle er mit rhythmischen Bewegungen Hörer:Innen in
den Schlaf wiegen. Er beruhigt, und wahrscheinlich war dieser Kontrast für
Face ein wichtiger Kniff, um sich zu öffnen. Systemkritik umhüllt von Watte
funktioniert bei ihm sehr gut.
Allerdings findet seine Musik in Russland nur als Randnotiz in HipHop-Blogs
Beachtung. Den Kreml in Brand zu setzen, wie er in einem Song rappt, ist
dort im Vergleich zu brennenden US-Flaggen ein Wagnis. Faces
Funrapperdasein endete eigentlich schon 2017 mit seiner Antiwestenparodie.
Die PR-Leute der russischen Regierung fanden das Video nämlich so gut, dass
sie es für ihre Zwecke vereinnahmen wollten. Putin sollte auf dem Bären im
Video reiten, der gegen Captain America kämpft. Face lehnte ab – und legte
damit – vermutlich, ohne es zu wissen – den Grundstein für seinen Wandel
zum subversiven Musiker. „Ничего хорошего“ ist die logische K…
dieser Entwicklung und ein Dokument der inneren Zerrüttung.
21 Sep 2023
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## AUTOREN
Johann Voigt
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