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# taz.de -- EU-Verbot von Kunstrasen: Das Ende des Plastikfußballs
> Wird Fußball bald auf zerkleinerten Olivenkernen gespielt? Nach dem
> EU-Verbot von Plastikgranulaten ab 2031 braucht es einen alternativen
> Kunstrasen.
Bild: Kunststoffkügelchen werden bei Unwetter in die angrenzende Natur gespült
Eigentlich gehört für Frank Dreher der Duft nach frisch geschnittenem Rasen
zum Fußball wie der Ball, um den sich auf dem Platz alle streiten: „Ein
Spiel auf Kunstrasen kommt an eines auf echtem Rasen nicht heran“, sagt der
Vorstand Jugend des badischen Landesligisten VfB Bühl. Und das nicht nur
aus ästhetischen Gründen, wenngleich die neuesten [1][Kunstrasenplätze]
auch in dieser Hinsicht nicht mehr mit den ersten Generationen zu
vergleichen seien: „Aber wenn Sie bei einem Tackling fünf Meter über den
Platz schlittern, sieht Ihr Oberschenkel auch heute noch aus wie bei einer
Brandwunde.“
Dennoch haben sie auch beim Siebtligisten seit über zwei Jahren einen
hochmodernen Kunstrasenplatz, der mit Kork-Pellets aufgefüllt wurde. Und
Dreher ist sich sicher, dass genau das die Zukunft für die gesamte Branche
sein wird: „Der Trend ist eindeutig. Auf Kunstrasen kann ich bei jeder
Witterung spielen. Und er braucht so gut wie keine Pflege.“ Vor allem
Letzteres ist ein großer Vorteil für die Vereine im unterklassigen Fußball,
bei denen es an allen Ecken und Enden an Ehrenamtlichen fehlt. „Früher“,
weiß Dreher, „hatte man ein altgedientes Vereinsmitglied, das sich darauf
gefreut hat, die Plätze neu einzukreiden und den Rasen zu pflegen.“ Heute
macht das bei den verbliebenen Rasenplätzen auch in Bühl ein Minijobber.
Der [2][Kunstrasenplatz] hingegen hat Markierungen, denen weder Regen noch
Sonne etwas anhaben können. Und er muss nicht gewässert werden. Im Sommer,
wenn nicht nur im heißen Südwesten die Temperaturen oft wochenlang über der
30-Grad-Marke liegen, werden Tag für Tag Unmengen an Wasser benötigt, um
das Austrocknen der Plätze zu verhindern.
In Zeiten des Klimawandels ist das ein Luxus, der nur schwer zu
verantworten ist. Einerseits. Andererseits ist die Umweltbilanz der
Kunstrasenplätze mit Plastik- oder Gummigranulat noch viel verheerender.
Die ein bis drei Millimeter großen Plastik-Kügelchen sollen Erschütterungen
abfedern und dafür sorgen, dass der Ball zumindest ähnlich wie auf einem
Rasenplatz abspringt und rollt. Mehrere Tonnen von diesen
Kunststoffkügelchen liegen auf einem einzigen Platz. 30.000 davon soll es
in der EU geben – jahrelang gefördert von der Politik: Nachdem die EU die
Ablagerung von Altreifen auf Mülldeponien verboten hatte, landeten diese –
zu Granulat geschreddert – verstärkt auf [3][europäischen
Kunstrasenplätzen].
Die Mikroplastik-Problematik-wurde dabei lange ignoriert. Die Deutsche
Umwelthilfe schätzt, dass aus Kunstrasen 10.000 Tonnen Plastik pro Jahr
freigesetzt werden und schließlich selbst in den entlegensten Regionen der
Erde und der Ozeane nachgewiesen werden. In Freiburg sorgte im Sommer 2021
ein Unwetter dafür, dass von einem Trainingsgelände am Möslestadion des
Bundesligisten SC Freiburg grünes Kunstrasen-Granulat die angrenzenden
Parkauen überschwemmte. Am Ufer des nahe gelegenen Baches bildeten sich
Teppiche aus erbsengroßem Plastikgranulat.
Gerade eben hat die EU-Kommission nun [4][beschlossen], dass
Kunststoffgranulate bei Kunstrasenplätzen mit einer Übergangsfrist von acht
Jahren verboten werden sollen.
## Auslaufmodell Kunstrasen
Der Stadtstaat Hamburg hat die öffentliche Förderung von Kunstrasenplätzen
mit Gummigranulat derweil bereits vor drei Jahren eingestellt, berichtet
Frank Fechner, der Geschäftsführer des Eimsbütteler Turnverbandes, dem mit
19.000 Mitgliedern drittgrößten Hamburger Sportverein, dessen erste
Mannschaft in der viertklassigen Regionalliga Nord spielt.
Vor zwölf Jahren haben sie beim ETV den ersten Kunstrasenplatz gebaut. Der
galt damals als neuester Schrei, auch ökologisch. Dass das eine
Fehleinschätzung war, weiß man auch in Hamburg längst. „Der Platz ist
mittlerweile durchgespielt“, berichtet Fechner. „Und dass Gummi- und
Kunststoffgranulate ein Auslaufmodell sind, hat sich natürlich längst
herumgesprochen.“ Nur, wenn es um mögliche Alternativen geht, herrscht
Ratlosigkeit. In Eimsbüttel. Und im Rest der Republik.
Grundsätzlich wäre geschredderter Kork, ein reines Naturprodukt, eine gute
Alternative. Doch der kann ebenso weggeschwemmt werden, wie es jüngst nach
Starkregen im Hamburger Norden und in Eitorf (Rhein-Sieg-Kreis) passierte.
Vor allem taugt auch Kork nicht flächendeckend als Alternative zu
Kunststoffen.
„Kork ist ein endlicher Rohstoff“, sagt der ehemalige Leiter des
Fraunhofer-Instituts für chemische Technologie, Peter Eyerer. „Wenn man
weiß, dass man etwa zehn Tonnen Kork pro Platz braucht, braucht man nicht
lange zu rechnen, um zu wissen, dass das keine flächendeckende Alternative
ist.“ Eyerer setzt große Hoffnungen auf ein anderes Naturprodukt:
Zerkleinerte Olivenkerne oder Kerne von Steinobst könnten eine Alternative
sein. Die Forschung läuft.
30 Sep 2023
## LINKS
[1] /Experte-zur-Kunstrasen-Debatte/!5203392
[2] /DFB-Elf-auf-Kunstrasen/!5154968
[3] /Gummigranulat-in-Kunstrasen/!5612927
[4] /Europaeischer-Umweltschutz/!5959784
## AUTOREN
Christoph Ruf
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Fußball
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Umweltverschmutzung
Mikroplastik
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