| # taz.de -- DFB-Elf auf Kunstrasen: Der Ball springt anders | |
| > Weil das entscheidende WM-Qualifikationsspiel gegen Russland auf | |
| > Kunstrasen ausgetragen wird, übt die DFB-Elf in Mainz auf ungewohntem | |
| > Geläuf. | |
| Bild: Der Kunstrasen im Moskauer Luschniki-Stadion erhitzt die Gemüter. | |
| Normalerweise kickt die deutsche Elite auf Weidelgras, Wiesenrispe oder | |
| Rotschwingel, auf natürlich gewachsenem Grund. Aber wie spielt es sich auf | |
| Plastik? Skeptisch blickt Joachim Löw auf das Spiel am Samstag im | |
| Luschniki-Stadion. Denn dann treten seine Spieler im nächsten | |
| Qualifikationsspiel um die Weltmeisterschaft 2010 gegen Russland an. Auf | |
| Kunstrasen. Angeblich muss dafür die Spielweise modifiziert werden: "Im | |
| Grunde genommen entsteht auf Kunstrasen ein komplett anderes Spiel. Die | |
| Bälle springen anders, es entwickeln sich ungewohnte Situationen", sagte | |
| der Bundestrainer. | |
| Um ein Gefühl für den Kunstrasen in Moskau zu entwickeln, findet sich die | |
| Nationalmannschaft heute in Mainz ein. Dort liegt ein dem Moskauer | |
| Untergrund sehr ähnlicher Rasen. Unter den 40 bis 50 Millimeter langen | |
| Halmen befindet sich eine Elastikschicht, darunter eine weitere dämpfende | |
| Ebene aus Gummigranulat und Quarzsand sowie wasserfilternde Schichten. | |
| Im Vergleich zu den in Deutschland verwendeten Produkten sind die Halme in | |
| Moskau länger, es fehlt die Elastikschicht, stattdessen wird mehr Granulat | |
| verwendet, erklärt Udo Heiler, Sportplatzbauer. Er baut mit seiner Firma | |
| Kunstrasenplätze, etwa den in Mainz. Entscheidend ist die Elastizität des | |
| Untergrunds. Stürzt ein Spieler, dämpft der Kunstrasen die einwirkende | |
| Kraft des Körpers. Der Sportler fällt wie auf Naturrasen. "Der heutige | |
| Kunstrasen wird dem Naturrasen immer ähnlicher, optisch und spielerisch", | |
| sagt Heiler. | |
| Heiler bezieht sich auf die sogenannte dritte Generation der Plastikbeläge. | |
| Berüchtigt sind die harten und bei Reibung zu Verbrennungen führenden | |
| Plätze aus den 70er- und 80er-Jahren. Heute ist das anders. Der | |
| Vertriebsleiter der französischen Firma Fieldturf Tarkett, die die Rasen | |
| für die Stadien in Moskau und Mainz produzierte, sagt: "Der Halm ist | |
| gewölbt und rippenverstärkt, steht wie ein natürlicher Halm. Dadurch | |
| entsteht ein gleiches Roll- und Springverhalten des Balles wie bei | |
| Naturrasen." | |
| Indes stellt Sportstättenbauer Heiler einen signifikanten Unterschied | |
| heraus: "Der Spieler schafft es auf dem Kunstrasen, schneller zu stoppen, | |
| schneller die Richtungswechsel hinzukriegen." Mit Noppenschuhen hätten die | |
| Spieler einen besseren Stand, die Bremskräfte seien größer. Anderer Meinung | |
| ist Thomas Tuchel. Der Trainer des 1. FSV Mainz 05 moniert den fehlenden | |
| Halt bei bestimmten Bewegungen. "Die Stollen vom Naturrasen fehlen. Deshalb | |
| sind schnelle Richtungsänderungen wie in der Halle nur schwer mitzunehmen." | |
| Der Coach bestätigt die Annahmen Löws. Das Spiel sei ein anderes auf | |
| Kunstrasen. Der Ball verhalte sich anders und auch die Spielgeschwindigkeit | |
| sei höher. | |
| Profitieren könnten die jüngeren Spieler. Während Fifa und Uefa grünes | |
| Licht für grünen Gummi schon ab der Saison 2004 beziehungsweise 2005 | |
| gegeben haben, stemmte sich der DFB mit Ausnahmeregelungen gegen den neuen | |
| Kurs. Kunstrasen war nur bei witterungsbedingten Spielausfällen vorgesehen. | |
| Inzwischen verordnet der DFB pro Bundesligaverein einen Kunstrasenplatz - | |
| im Jugendbereich. "Viele der jungen Spieler haben in ihren | |
| Nachwuchsleistungszentren auf Kunstrasen gespielt und haben so bei der | |
| Umstellung vielleicht Vorteile gegenüber denen, die nur auf Naturrasen | |
| spielen", sagt Tuchel. | |
| Haben nun also die deutschen Nationalspieler um Michael Ballack und Per | |
| Mertesacker einen deutlichen Nachteil in Moskau? Schenkt man Studien | |
| Glauben, dann nicht. Die von der Fifa beauftragten Forschungsfirmen ProZone | |
| und F-MARC registrierten in einer mehrjährigen Untersuchung keine | |
| besonderen Veränderungen. Weder in der effektiv genutzten Spielzeit mit dem | |
| Ball noch im Passverhalten oder in der Anzahl der Verletzungen. Wolfgang | |
| Potthast, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln, | |
| beobachtete indessen mehr kurze, flache Pässe und weniger lange Pässe in | |
| den Lauf. Die Spieler hätten überdies Probleme, auf dem glatten Kunstrasen | |
| "mit dem Fuß unter den Ball zu kommen". Flanken auf die Flügelposition | |
| werden demnach seltener gespielt. Potthast sagt: "Kunstrasen heißt | |
| schließlich nicht, dass grundsätzlich anders gespielt wird." | |
| In einer Welt aus Plastik plädiert Udo Heiler derweil für den Naturrasen im | |
| Profibereich, denn "erst die Unwägbarkeiten machen das Spiel attraktiv". | |
| Etwa wenn der Ball in der Pfütze liegen bleibt oder der Pass wegen eines | |
| ausgerissenen Rasenstücks abgefälscht wird. | |
| 5 Oct 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Janine Engeleiter | |
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