| # taz.de -- Protest in Israel: Stadtbahn wird zum Politikum | |
| > Die israelische Mittelmeer-Metropole Tel Aviv hat lange auf ihre Bahn | |
| > gewartet. Doch jetzt demonstrieren Linke gegen sie. Das macht einen alten | |
| > Konflikt sichtbar. | |
| Bild: Am Tag der Eröffnung: Protest gegen die neue Stadtbahn in Tel Aviv am 18… | |
| „Dass die Bahn fährt, glaube ich erst, wenn ich drin sitze“, hörte man | |
| dieser Tage oft in Tel Aviv. Gemeint ist die Stadtbahn. An ihrem | |
| Schienensystem wird seit gut zehn Jahren gearbeitet, und die Baustellen | |
| haben die Leute lange genervt. Der Bau der Stadtbahn hat die Probleme der | |
| Stadt noch verschärft. Die Straßen sind eng, der Verkehr zur Rushhour ist | |
| zäh. | |
| Jetzt aber ist es so weit, die erste Linie der Stadtbahn ist fertig. Die | |
| Rote Linie verbindet fortan Bat Yam im Süden mit [1][Petach Tikwa] im Osten | |
| der Stadt. Das ist eine sehr gute Nachricht für die Menschen der | |
| Agglomeration. Allein im Kern der Metropolenregion Tel Aviv leben 1,5 | |
| Millionen. Stau gehört zu ihrem Alltag. | |
| Wie kommt es also, dass [2][Ron Huldai], der Bürgermeister von Tel | |
| Aviv-Yafo, schon vorher angekündigt hat, er werde bei der ersten | |
| offiziellen Fahrt der Bahn am Donnerstag nicht dabei sein? Warum | |
| demonstrierten an eben diesem Donnerstag in Yafo, wo der Zug lange stand, | |
| bevor er losfuhr, hundert Leute lautstark für „Demokratia“ und gegen | |
| „Diktatura“? | |
| Auch die Stadtbahn ist unter der neuen, von Ultrarechten dominierten | |
| Regierung Israels zum Politikum geworden. Erstens empört die Demonstranten, | |
| dass, wie sie sagen, die halbe Stadt blockiert wurde, damit sich Benjamin | |
| Netanjahu, der sich immer mehr wie ein König benehme, an diesem Tag im | |
| Glanz der Stadtbahn sonnen kann. Ihn bekamen die Protestierenden nicht zu | |
| Gesicht, nur die Transportministerin Miri Regev. Die winkte ihnen so | |
| freundlich zu, als seien sie begeisterte Fans. Die Häme ihrer Geste war | |
| nicht übersehen. | |
| ## Zugeständnis ans religiöse Lager | |
| Zweitens ist die Bahn zu einem weiteren Stein des Anstoßes im gegenwärtigen | |
| Kulturkampf geworden. Die Metropolenregion Tel Aviv ist das Zentrum des | |
| säkularen Israel – aber die Bahn wird am Schabbat nicht fahren, ein | |
| Zugeständnis ans religiöse politische Lager. Das erbost viele, zumal der | |
| öffentliche Nahverkehr dieser Tage ohnehin zum heiß diskutierten Thema | |
| geworden ist. | |
| Ein Busfahrer hatte eine Gruppe junger Mädchen angeblafft, sie sollten sich | |
| erstens züchtig bedecken und zweitens hinten im Bus Platz nehmen. Er | |
| erklärte ungeniert, die Frauen sollten froh sein, dass sie überhaupt | |
| mitfahren durften. Es ist wie überall: Wo die Rechte regiert, werden die | |
| Rechte von Frauen beschnitten. Dagegen erheben allerdings auch immer mehr | |
| orthodoxe Frauen ihre Stimme. | |
| Teile [3][der Protestbewegung] rufen wegen der Schabbatpause zum Boykott | |
| der Stadtbahn auf. Ihre Empörung ist verständlich. Ein Boykott ist jedoch | |
| kein praktikables Mittel des Protests. Auf die Stadtbahn haben die | |
| Bürger*innen lange genug gewartet. Sie werden es sich wohl nicht nehmen | |
| lassen, sie zu nehmen – wenn sie denn nun wirklich fährt. | |
| 19 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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