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# taz.de -- Jugendliche mit Nebenjob: Prägendes Beispiel
> Jeder zweite 17-Jährige aus einer reichen Familie jobbt neben der Schule.
> Arme Jugendliche machen das seltener. Warum? Und muss das so bleiben?
Bild: Der Ferienjob in der Kantine: Lebenserfahrung
Meinen ersten Ferienjob hatte ich mit 14. Ab 6 Uhr morgens reichte ich
Salamibrötchen und Kaffee durch die Küchenluke der Kantine einer
Großbaustelle in Ostberlin, mittags packte ich Fleisch, Kartoffeln und Soße
auf die Teller der staubbeklebten Bauarbeiter, nachmittags wusch ich ab und
wischte die Küche. Zwei Wochen lang, Ferienarbeit.
Wenige Monate zuvor kamen irgendwelche Menschen irgendwelcher staatlicher
Institutionen zu uns in die Schule und warben für die freiwillige
Ferienarbeit. Fanden wir super, und fast alle machten mit, sowohl Kinder,
deren Eltern in einer Fabrik arbeiteten, als auch
Professor:innensprösslinge. Endlich eigenes Geld verdienen und damit
machen können, was man will.
Das ist immer noch so. Wie eine frische [1][Studie des Instituts der
Wirtschaft in Köln] (IW) zeigt, hatten in den Jahren 2018 bis 2020 knapp 42
Prozent der 17-Jährigen in den vergangenen Jahren einen Nebenjob. Kellnern,
Betten aufschütteln im Hotel, Wettscheine ausgeben, Babysitten, so was.
Kurz: Während der Schulzeit oder der Ferien arbeitet fast jeder zweite
17-Jährige nebenher, manche von ihnen schon seit sie 13 waren.
Aber im Gegensatz zum Sozialismus, in dem es bei der Ferienarbeit keinen
Unterschied bei der Herkunft gab, stellte das IW nach Auswertung von
[2][Daten des Sozio-oekonomischen Panels] fest, dass mittlerweile rund 52
Prozent Kinder von Besserverdienenden jobben, aber nur rund 32,5 Prozent
der Jugendlichen aus einkommensschwächeren Familien. Dabei brauchen noch
immer alle Schüler:innen immer Geld, egal, ob ihre Eltern
Lehrer:innen sind, selbstständige Journalist:innen oder
Paketzusteller:innen. Warum aber begeben sich vor allem jene jungen
Menschen schon frühzeitig in den Arbeitsmarkt, von denen man annimmt, dass
sie es aufgrund ihres gut betuchten Elternhauses gar nicht nötig haben? Und
nicht vor allem die, die von Hause aus weniger Geld haben?
## Anerkennung und Netzwerke
So verwunderlich, wie das vielleicht erst mal anmutet, ist das gar nicht.
Denn auch bei Ferienjobs – so wie bei vielen anderen Bereichen des Alltags
– bricht sich die soziale Herkunft Bahn. Oder anders formuliert: Was Eltern
vorleben, prägt das Leben ihrer Kinder. Wenn beide Eltern berufstätig sind,
möglicherweise beide in Vollzeit, erleben die Kinder dieses Arbeitsmodell
als Normalität. Hinzu kommen Gespräche beim Abendessen: „Meine Fresse, wat
für’n Tag heute – zwei Kollegen krank, ich musste einspringen, aber hat
alles super geklappt.“ Die Kinder Besserverdienender sehen, wie sich
Erfolge im Job auswirken können: soziale und finanzielle Anerkennung,
berufliche Netzwerke, erweiterter Bekannten- und Freundeskreis.
Und nicht wenige Eltern, für die der Beruf ein Lebenselixier ist, animieren
ihre Kinder frühzeitig, zu arbeiten und eigenes Geld zu verdienen. „Du
Merle, die Tochter meines Kollegen braucht Mathe-Nachhilfe. Willst du das
nicht machen?“ „Wenn du einen neuen Computer willst, Emil, musst du den
selber bezahlen. Die Müllers nebenan suchen jemanden, der ihren Hund
zweimal in der Woche ausführt. Gibt 10 Euro die Stunde.“ So ungefähr. Das
zahlt sich in ihrer Jugend nicht nur finanziell aus, sie profitieren davon
auch später im „richtigen“ Job. Denn sie ahnen rechtzeitig, was auf sie
zukommt.
Und die anderen? Denen niemand einen Tipp für einen Ferienjob gibt? Deren
Eltern über ihre schlecht bezahlten und körperlich anstrengenden Jobs eher
klagen? In deren Nachbarschaft niemand mit kleinen Kindern und
Babysitterbedarf wohnt?
Sie sind weder faul noch unfähig, sondern schlicht benachteiligt. Sie haben
keine gut vernetzten Eltern, die ihren Kindern nicht selten Ferienjobs (und
später möglicherweise sogar eine feste Stelle) vermitteln. Sie sollten sie
aber bekommen. Wie wäre es, wenn Jobagenturen in die Schulen gingen? Wenn
Firmen gezielt Ferienjobs in sogenannten „Problemkiezen“ ausschrieben? Wenn
sie nicht nur mit dem Salär, sondern auch mit positiven Zukunftsaussichten
lockten? Das kann klappen. Ich hab es erlebt.
7 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/IW-Trends/PDF/2023/IW-…
[2] https://www.diw.de/de/diw_01.c.615551.de/forschungsbasierte_infrastrukturei…
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Schwerpunkt Armut
Eltern
Beruf und Familie
Schule
Jugend
IG
Serien
Schwerpunkt Korruption
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