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# taz.de -- Die Wahrheit: Arielle von Orcas versenkt
> Mörderwale rammen inzwischen nicht nur Schiffe im Meer, sondern bedrohen
> neuerdings auch ganz menschlich Lebendiges. Killerwhaling ist in der
> Welt.
Killerwhaling ist wie Mermaiding, nur als Vollkontaktsport“, keucht Steffi
Lehleitner begeistert, nachdem die Atlantikwellen sie an den Strand einer
Felsbucht bei der portugiesischen Kleinstadt Albufeira gespült haben.
Mühsam dreht sich die Kraftsportlerin auf den Bauch, dumpf blubbert ihre
Stimme aus dem schwarz-weißen Latexkostüm mit der großen Rückenfinne. Ohne
Hilfe ist die Sachbearbeiterin aus Unterschleißheim an Land ebenso hilflos
wie ihre maritimen Vorbilder.
Lehleitner ist Anhängerin einer neuen Extremsportart, die ähnlich wie das
Mermaiding Elemente von Cosplay, Schwimmsport und Realitätsverweigerung
verbindet. Doch anders als die Meerjungfrauen und Meermänner, die sich mit
schuppenbesetzten Monoflossen das Aussehen von Fabelwesen geben, eifern die
kostümierten Killerwhaler den Orcas nach, sehr realen Spitzenprädatoren der
Weltmeere, die in den letzten Jahren mit Schiffsangriffen vor iberischen
Küsten Furore gemacht haben.
Bislang rätselt die Wissenschaft, warum die südeuropäischen Schwertwale
begonnen haben, Yachten zu rammen. Manche Verhaltensbiologen vermuten einen
Kampf um Nahrungsressourcen, dagegen spricht, dass Fischerboote ungeschoren
davongekommen. Andere glauben, dass ein ranghohes Weibchen das Verhalten
nach einem traumatischen Erlebnis initiiert hat. Wieder andere Biologen
sehen das komplexe Sozialverhalten der hochintelligenten, aber chronisch
verhaltensauffälligen Schwertwale verantwortlich. Immer wieder kreieren die
Tiere idiotische Moden und Trends, um die Aufmerksamkeit ihrer Artgenossen
oder der Weltpresse zu erregen.
1987 setzten sich Orcas im nordwestamerikanischen Puget Sound tote Lachse
als Hüte auf, 1991 ertränkte der in Gefangenschaft lebende Schwertwal
Tilikum aus einer depressiven Laune heraus seine Trainerin. „Das ist nur
eine Phase, das legt sich von selber wieder“, nahm die
SeaWorld-Geschäftsleitung damals an und sah keinen Grund, auf Shows mit dem
drolligen Tier zu verzichten. Vor der südafrikanischen Küste beißen Orcas
neuerdings friedfertige weiße Haie in die Leber, weil sie den tumben
Fischen das Killerimage missgönnen, das ihnen seit ihrem Auftritt im
Spielberg-Streifen „Jaws“ von 1975 weltweite Aufmerksamkeit sichert.
## Obszöne Walgesänge
„Orcas schrecken vor nichts zurück, wenn es darum geht, Rollen in Dokus zu
ergattern“, erzählt ein renommierter Tierfilmer, der anonym bleiben will.
Seit er bei einem lukrativen Netflix-Deal kostengünstigeren Schweinswalen
den Vorzug gab, wird er von den Raubtieren belästigt. „Mitten in der Nacht
rufen Orcas mit teuren R-Gesprächen aus dem Nordatlantik an“, beklagt er
sich, „und traktieren mich dann mit obszönen Walgesängen. Neulich lag sogar
eine tote Robbe vor meiner Haustür.“
Angeblich sollen die Zahnwale sogar gedroht haben, das Remake von „Arielle,
die Meerjungfrau“ an der Kinokasse zu versenken, weil Orcas in dem Streifen
nur eine Statistenrolle eingeräumt worden war. Die Vermutung liegt also
nahe, dass es den Schwertwalen auch beim Schifferammen um mediale
Aufmerksamkeit geht, doch womöglich können die Beobachtungen der
Killerwhalerin Lehleitner Aufschluss geben. Nachdem wir die Kampfsportlerin
mit einem Schuhlöffel aus dem Orca-Suit gepellt haben, zeigt sie uns die
Aufnahmen ihres neuesten Unterwasserabenteuers.
Im Verbund mit anderen Schwertwalen sieht man die Bayerin einen Katamaran
attackieren, bis die Yacht leckgeschlagen im Atlantik dümpelt. „Jetzt
machen wir erst einmal Brotzeit, und dann versenken wir das Ding“, freut
sich Lehleitner, die der oberbayerischen Hooligan-Szene entstammt. Doch
irgendwann war ihr die CSU einfach nicht mehr gewaltbereit genug.
„Dort gibt es einfach keine gescheiten Alphatiere, von Frauen in
Führungspositionen ganz zu schweigen“, klagt sie zudem. Deswegen hat sich
Steffi Lehleitner der Krawallherde von White Gladis angeschlossen, dem
ranghöchsten Weibchen diesseits der Säulen des Herakles. „Irgendwann hat
sie mich als Adoptivkalb akzeptiert, das war der schönste Tag meines
Lebens.“
Neben uns strandet ein weiterer Killerwhaler, ein junger Mann schält sich
aus dem Neopren. „Boote gerammt habe ich schon immer gern“, bekennt der
ehemalige Umweltschützer, der aus der Öko-Organisation Greenpeace
ausgeschlossen wurde, nachdem er nicht nur gegen Walfangboote, sondern auch
gegen Tret-, Rettungs- und Bananenboote vorgegangen war. Malte postet unter
dem Hashtag #orcauprising und träumt von einer tierischen Weltrevolution,
bei der die gesamte Menschheit ausgelöscht wird. „Another one down“, postet
er unter ein Bild der in Seenot geratenen Besatzung, die verzweifelt um ihr
Leben kämpft. Binnen Sekunden schießen die Klickzahlen in die Höhe, der
Tenor der Kommentare ist durchweg positiv, wenn auch durchweg
menschenfeindlich.
Als der dritte Orca angespült wird, raten uns Malte und Steffi, Abstand zu
halten.
„Ist der etwa echt?“, fragen wir, doch es handelt sich bloß um einen Köln…
Bestsellerautor, der sich in jedes Mikro verbeißt, das ihm vorgehalten
wird. Der angriffslustige Schriftsteller hat die Schwertwale des Plagiats
seines Ökothrillers bezichtigt, in dem Orcas schon 2004 Schiffe versenkten.
Seither beschattet er die Tiere inkognito, um sie beim Abspicken zu
erwischen.
## Leckere Makrele für Frank Schätzing
Nachdem wir Frank Schätzing mit einer leckeren Makrele abgelenkt haben, der
er ein dreistündiges Interview aufdrängt, wollen wir die tierischen
Schiffsabwracker selbst kennenlernen. Wir zwängen uns in die schwarz-weiße
Pelle und lassen uns von tierlieben Touristen ins Meer schubsen. Einige
Meilen vor der Küste stoßen wir tatsächlich auf White Gladis und ihre
Bande. Nach einigen Püffen, Knüffen und schmerzhaften Probebissen
akzeptiert uns die Herde. Wir fühlen uns wie Günter Wallraff in sehr
unvorteilhafter Kleidung, doch immerhin stehen, vielmehr schwimmen wir kurz
davor, das Wissenschaftsrätsel der schiffeversenkenden Wale zu lösen.
„Slup auf E4!“, gibt White Gladis den Tagesbefehl aus, die Herde macht sich
auf den Weg, wir paddeln hinterher. Plötzlich fühlen wir einen stechenden
Schmerz wie von einer Harpune. Als wir aus der Ohnmacht erwachen, finden
wir uns mit in einem Bassin vor begeistertem Publikum wieder. Auch Aquarien
und Delfinshows, erklärt uns eine freundliche Trainerin, hätten das
Orca-Cosplay für sich entdeckt und jagten nun Killerwhaler statt
Killerwale. Menschen seien zwar viel dümmer als Orcas, aber weniger
verfressen und nicht so bissig. Bei guter Führung würden wir in ein paar
Jahren wieder ausgewildert, sagt sie und wirft uns ein paar rohe
Heringsköpfe zu.
15 Jul 2023
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Die Wahrheit
Wale
Phänomene
Strand
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