# taz.de -- Para-WM in der Leichtathletik: Mit dem Kind große Sprünge machen | |
> Vanessa Low will bei der Para-Leichtathletik-WM ihren Titel im Weitsprung | |
> verteidigen. Zugleich nimmt sie Anlauf für die Paralympics 2024. | |
Bild: Dynamisch: Vanessa Low landet nach einem weiten Satz in der Sandgrube | |
Seitdem Vanessa Low bei den Paralympics in Tokio mit Gold und Weltrekord | |
im Weitsprung auftrumpfte, hat sich so einiges im Leben der beidseitig | |
oberschenkelamputierten Sportlerin getan. Der Grund sitzt auf ihrem Schoß, | |
knabbert an einer Banane und grinst beim Interview in die Kamera: Söhnchen | |
Matteo, ein Jahr alt. | |
Bei [1][der Para-Leichtathletik-Weltmeisterschaft], die derzeit in Paris | |
stattfindet, möchte sie nun ihr Comeback feiern. Zwar hält Low eine | |
Medaille im Finale am Samstag für möglich. „Aber mir ist schon bewusst, | |
dass ich noch nicht auf dem höchsten Leistungsniveau angekommen bin. Mir | |
geht es darum, Spaß zu haben. Die WM ist eher ein Zwischenziel auf dem Weg | |
zu den Paralympics nächstes Jahr“, so die Titelverteidigerin gegenüber der | |
taz. | |
Diese werden ebenfalls in Paris stattfinden, dort könnte Low zum dritten | |
Mal in Folge Gold gewinnen. 2016 in Rio de Janeiro tat sie das noch für | |
Deutschland, bei den Spielen in Tokio vor zwei Jahren ging sie für ihre | |
neue Heimat Australien an den Start. Dorthin war sie gewechselt, nachdem | |
sie ihren heutigen Ehemann und Trainer Scott Reardon, selbst ehemaliger | |
Para-Leichtathlet, kennenlernte. | |
Dass Low noch einmal nach der Geburt zurückkehren würde, wusste sie selbst | |
nicht so richtig. Zwar trainierte sie bis zur 30. Schwangerschaftswoche | |
durch, Druck habe sie sich jedoch nicht gemacht. „Ich musste erst einmal | |
schauen, ob es mir noch Spaß bringt und mein Körper das alles überhaupt | |
mitmacht. Das ist ja auch nicht selbstverständlich“, so Low, die in ihrer | |
Startklasse als eine der wenigen Athletinnen auf zwei Prothesen unterwegs | |
ist. Der Körper hat aber mitgemacht. Und am Ende habe sie den Sport auch | |
einfach zu sehr vermisst. | |
## Andere Prioritäten | |
Nun ist Matteo immer mit dabei, auch bei der WM in Paris. Das Reisen mit | |
Baby, Akkreditierungen, aber auch das Stillen während einer großen | |
Meisterschaft. Das alles sind neue Herausforderungen, die Low und ihr | |
Ehemann nun meistern müssen – ohne das Ziel einer Medaille aus den Augen zu | |
verlieren. | |
Die größte Herausforderung ist allerdings das Zeitmanagement. Denn | |
eigentlich stehen in einem Athletenleben Training und Erholung an erster | |
Stelle. Die Zeiten sind nun vorbei. „Jetzt gibt es diesen kleinen Menschen, | |
der einfach eine höhere Priorität hat. Da muss man halt Abstriche machen | |
und sich darüber im Klaren sein, dass die Vorbereitung nicht unbedingt | |
perfekt ist. Es hat sich halt vieles verändert, aber das ist auch super | |
so“, sagt Low. | |
Überhaupt, das Streben nach Perfektion gibt es für Low nicht mehr. Das | |
Elterndasein bringe einem bei, dass Perfektion einfach nicht erreichbar | |
ist, gibt die 32-Jährige mit einem Lachen zu Bedenken. „Dadurch nehme ich | |
alles schon ein bisschen lockerer. Und grundsätzlich ist es gut zu wissen, | |
dass ich neben dem Muttersein noch etwas mache, was mir am Herzen liegt und | |
ich so etwas von mir bewahren kann.“ | |
Damit spricht sie wahrscheinlich [2][vielen Müttern im Leistungssport] aus | |
der Seele. Die gibt es mittlerweile zwar häufiger, trotz alledem sind sie | |
immer noch eine Seltenheit. Dabei möchte Low nicht nur ein Vorbild für | |
andere Athletinnen sein, sondern für Mütter generell. „Ich will zeigen, | |
dass man als Mutter auch eine Karriere haben kann und sich nicht | |
entscheiden muss.“ Natürlich sei es okay, wenn Frauen eine Pause im Job | |
nehmen und sich auf die Familie konzentrieren wollen. „Aber wenn sie beides | |
kombinieren möchten, sollte das möglich sein“, meint Low, die mit 5,28 | |
Meter den Weltrekord in ihrer Klasse hält. | |
Mut machen möchte sie auch mit ihrer Geschichte. Als Teenager stürzte Low | |
vor einen Zug. Sie verlor beide Beine, lag zwei Monate im Koma und brauchte | |
zwei Jahre, bis sie wieder gehen konnte. Der Sport rettete die damals | |
15-Jährige. Und brachte ihr eine Erkenntnis ein. „Es ist nicht unbedingt | |
das, was uns zustößt, das unser Leben bestimmt, sondern häufig die | |
Entscheidung, die wir danach treffen und wie wir damit umgehen“, so Low. | |
„Meine Behinderung ist natürlich sehr offensichtlich. Dadurch können die | |
Leute aber auch direkt sehen, dass man eine Wahl hat.“ Wenn sie andere | |
Menschen darin bestärken könne, ihr Leben trotz aller Schicksalsschläge | |
aktiv zu gestalten, sei das neben den Medaillen ein schönes Plus. | |
Eigentlich wollte die Weitspringerin bereits [3][2016 nach ihrem ersten | |
Gold-Erfolg bei den Paralympics] aufhören, der Schritt nach Australien | |
brachte jedoch noch einmal die Veränderung, die manchmal nötig ist. Nun | |
lautet das Ziel Paris 2024. Wie es danach weitergeht? Das weiß Low noch | |
nicht. „Ich schaue von Jahr zu Jahr und solange es noch Spaß macht und mein | |
Körper das alles mitmacht, mache ich weiter. Ohne Druck. Und dieses Jahr | |
hat es noch Spaß gemacht, also hängen wir nächstes Jahr noch dran. Aber | |
danach schauen wir mal.“ Söhnchen Matteo wird auf jeden Fall dabei sein. | |
14 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.paralympic.org/athletics/paris-2023 | |
[2] /Ukrainerin-bei-den-French-Open/!5936074 | |
[3] /Behindertensportlerin-des-Jahres/!5357594 | |
## AUTOREN | |
Katarina Schubert | |
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