# taz.de -- Deutschland in der U21-EM: Ein einziges Trauerspiel | |
> Die U21-EM endet für das deutsche Team bereits in der Vorrunde. Zwischen | |
> Selbstanspruch und Realität klafft eine gewaltige Lücke. | |
Bild: Angelo Stiller schmerzt die Niederlage gegen England | |
BATUMI taz | Mit einem interessanten Begriff verabschiedete sich der | |
Torhüter Noah Atubolu am Mittwochabend nach einer endgültig | |
desillusionierenden Leistung der deutschen Mannschaft aus dem | |
Europameisterschaftsturnier der U21-Junioren. | |
Das Team sei in „so einen Rausch“ hineingeraten und aus diesem Zustand | |
während all der Tage an der georgischen Schwarzmeerküste „nicht mehr raus“ | |
gekommen, sagte Atubolu nach dem 0:2 gegen England, an dessen Ende | |
Deutschland als Gruppenletzter ausgeschieden war. | |
Wer weder die Spiele noch die Ergebnisse kannte, hätte in diesem Moment | |
glauben können, der Profi des SC Freiburg berichte von einem positiven | |
Erlebnis, das Gefühl eines beflügelnden Turnierrausches hat schließlich | |
schon viele große Erfolge möglich gemacht. Aber in diesem Fall handelte es | |
sich eher um einen nicht enden wollenden Horrortrip, den die DFB-Delegation | |
in Batumi erlebte, und der viele offene Fragen hinterlässt. | |
Mit einer sagenhaften Verletzungsserie, zwei verschossenen Elfmetern im | |
ersten Spiel gegen Israel, einer für zwei, drei Tage [1][hell | |
aufleuchtenden Rassismusdebatte] nach Beleidigungen gegen die Spieler | |
Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam in den sozialen Netzwerken nahm das | |
Unglück Fahrt auf. | |
## Der Selbstanspruch der U21 | |
Es folgte ein schmerzliches Gegentor im Duell mit den Tschechen, als die | |
Mannschaft endlich begonnen hatte, druckvoll und intensiv Fußball zu | |
spielen, „grundsätzlich ist es so, dass diese ganzen Rückschläge schwer zu | |
verkraften sind“, sagte der Rechtsverteidiger Kilian Fischer. Es war | |
einfach zu viel für diese junge Mannschaft und ihren Trainer Antonio Di | |
Salvo, der es nicht schaffte, diese Dynamik zu bremsen. | |
So geht die eine Erzählung dieses Misserfolges, der auch deshalb so | |
gravierend erscheint, weil er auf drei U21-Europameisterschaften folgt, bei | |
denen das Team jeweils das Finale erreicht und zweimal sogar gewonnen | |
hatte. Im Verlauf der trostlosen Tage von Georgien hat dann offenbar auch | |
der im Trainingslager in Südtirol noch lautstark beschworene Teamgeist | |
Schaden genommen, deutete Yannik Keitel an: „Es hat an dem einen oder | |
anderen Ende gefehlt, an Intensität, vielleicht auch dann an Zusammenhalt, | |
daran, füreinander Gas zu geben.“ | |
## Die Realität des Turniers | |
Aber es gibt auch noch eine andere Perspektive auf dieses kleine sportliche | |
Desaster. Genau wie die A-Nationalmannschaft bei der WM in Katar klaffte | |
eine gewaltige Lücke zwischen Selbstanspruch und Realität, zwischen der | |
irgendwie aus vergangenen Erfolgen zusammengezimmerten Vorstellung von der | |
eigenen Stärke und der wahren Leistungsfähigkeit. | |
„Das ist einfach zu wenig, wenn du Europameister werden willst, wenn du | |
dich für die Olympischen Spiele qualifizieren willst“, sagte Joti | |
Chatzialexiou, der Leiter des [2][Nationalmannschaftsfußballs beim | |
Deutschen Fußball-Bund]. „Wenn Du diesen Anspruch hast als Fußballnation, | |
dann musst du anders auftreten, dann musst du mit einem gewissen Punch auch | |
die Spiele gewinnen wollen.“ | |
In der Realität des Turniers brachte das Team eine ordentliche Halbzeit | |
gegen Israel zustande und eine weitere gegen Tschechien, an den Olympischen | |
Spielen in Paris wird das Team damit nicht teilnehmen. Nie wurde diese U21 | |
dem Bild von einem Turnierfavoriten gerecht, und die Idee, sich als | |
Außenseiter zu betrachten und eine entsprechende Haltung zu kultivieren, | |
hatte offenbar niemand. Dabei wird immer deutlicher, dass die deutschen | |
Auswahlteams derzeit viel eher Underdog sind als Favoriten. | |
## Die bittere Erkenntnis | |
Den Engländern „in allen Belangen unterlegen“ sei die deutsche Mannschaft | |
gewesen, sagte Chatzialexiou am Mittwoch. Schon nach drei Minuten hatte es | |
1:0 gestanden, und das nachlässige Verteidigungsverhalten, das zu diesem | |
frühen Rückstand führte, bescherte den Engländern bald einen zweiten | |
Treffer. | |
Die bereits als Gruppensieger feststehenden Engländer, deren Startelf auf | |
acht Positionen verändert worden war, wirkten wacher, schneller im Kopf und | |
auf den Füßen, freudvoller, einfach besser, sodass Chatzialexiou am Ende | |
grundsätzlich wurde: „Es sind genau die Themen, die wir seit Längerem im | |
deutschen Fußball immer wieder anprangern: Spieltempo und die | |
Eins-gegen-Eins-Situationen, da sind uns andere Nationen einfach voraus.“ | |
Das ist die bittere Erkenntnis, die von diesem missglückten Turnier hängen | |
bleiben wird, in dessen Verlauf der DFB immerhin eine überfällige Reform | |
der A- und B-Jugendbundesligen beschlossen hat. Die Ausbildungsteams der | |
Bundesligavereine können künftig nicht mehr absteigen, was mutige Spieler | |
fördern und Misserfolgsvermeidungsfußball verhindern soll. Aber bis das | |
Früchte trägt, werden noch einige Jahre ins Land ziehen. | |
29 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Theweleit | |
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