# taz.de -- Serie „I’m a Virgo“ auf Amazon Prime: Cooler Kommunismus | |
> Der linke Filmemacher Boots Riley ist wieder da: Seine Serie „I’m a | |
> Virgo“ folgt einem fünf Meter großen Teenager bei Abenteuern im | |
> Spätkapitalismus. | |
Bild: Teenager Cootie langt mal über den Zaun in Oakland | |
Nach fünf langen Jahren ist [1][Boots Riley] endlich zurück. Der Rapper von | |
The Coup aus Oakland, Kalifornien ist erstmals 2018 unter die Filmemacher | |
gegangen. „Sorry to Bother You“ war ein solch kritisch hochgelobtes, | |
absurdistisches und kapitalismuskritisches Schmankerl, dass man seitdem | |
kaum erwarten konnte, was Riley als Nächstes so anstellt. | |
In „Sorry to Bother You“ steigt LaKeith Stanfield im Callcenter rasant die | |
Karriereleiter empor, denn er kann ausgezeichnet eine „white voice“ | |
vorspielen. Auf dem Weg nach oben trifft er gierige Kapitalisten und den | |
psychopatischen weißen Bourgeois Armie Hammer, der ihn wie alle Schwarzen | |
in ein Pferd verwandeln will, Sinnbild der verdinglichten Arbeit, die der | |
amerikanische Kapitalismus Schwarzen Körpern zuweist. | |
Der Verquickung von magischem Realismus und satirischer Groteske bleibt | |
Riley auch in seinem neuen Projekt treu. Doch es ist kein Film, sondern | |
eine Serie: „I’m a Virgo“. Erstaunlicherweise für einen laut Wikipedia | |
„kommunistischen Aktivisten“, läuft die Serie bei Amazon Prime. Statt zu | |
fordern, die Widersprüche unserer Welt individuell durch Entsagung | |
aufzulösen, kann man begrüßen, dass ein linker Kulturmacher eine große | |
Bühne bekommt. | |
Und es geht dann auch um die ganz großen Dinge: Rassismus, Kapitalismus, | |
Polizeistaat, Liebe, supersize Burger. Der Protagonist ist auch nicht | |
gerade klein: 5 Meter hoch ist der Teenager Cootie (Jharrel Jerome, der | |
schon als junge Version des Schwarzen Schwulen im oscar-premierten Film | |
„Moonlight“ brillierte). Cootie wächst versteckt in einem auf seine | |
Riesengröße angepassten Haus im Garten seiner Tante und seines Onkel in – | |
wie könnte es bei Riley anders sein – Oakland auf. | |
## Giftige Burger | |
Die Schwarze arme Zwillingsstadt des Tech-bro-Paradieses San Francisco | |
dringt jedoch bald über den Zaun und durch die Hecke. Cootie bekommt mit, | |
wie eine Gruppe Teenager auf der Straße kifft; und so bahnt sich ein erster | |
Kontakt mit Gleichaltrigen an. | |
Durch seine lebenslange Abschottung hat Cootie keine Ahnung von der Welt, | |
er ist ein sozial wenig beschlagener Nerd. Sein einziger Freund war bisher | |
der Fernseher und die Werbung, die darauf läuft. So sehnt Cootie sich nach | |
den Burgern einer lokalen Fast-Food-Kette, obwohl und vielleicht gerade | |
weil sein Onkel sie als pures Gift bezeichnet. Durch einen Nachbar erfährt | |
Cootie, dass sein Onkel diese Burger mal geliebt hat. Eine Welt bricht für | |
ihn zusammen. Was ist, wenn alles, was seine Verwandten ihm über die | |
Gefahren der Außenwelt für ihn als Schwarzen und gigantisch großen Mann | |
erzählt haben, falsch ist? | |
Dass will er rausfinden und büxt mit den kiffenden Jugendlichen aus. Stellt | |
sich raus: Die sind nicht nur cool mit ihren ganzen Partys, illegalen | |
Straßenrennen und fetten Subwoofern, sondern auch politisch höchstgradig | |
aktiv. | |
In allerlei Abenteuern und fröhlichen Montagen erkunden sie das nächtliche | |
Oakland und in weniger erbaulichen Szenen die Abgründe, die sich im Leben | |
der Schwarzen Arbeiterklasse auftun. Riley verwebt dabei gekonnt | |
Mietrechtskämpfe, die horrenden Kosten des US-Gesundheitssystems oder die | |
schwierige Entscheidung, zwischen legal wenig oder gesetzeswidrig bisschen | |
mehr Knete zu machen, mit der Geschichte einiger hipper junger Leute, die | |
durch die Stadt turnen. Sogar Monologe über Kommunismus und warum der cool | |
ist, sind relativ harmonisch in die Szenen eingebettet. | |
## Rebellion als Abendunterhaltung | |
Cooties Riesengröße stellt Riley mit allerlei Tricks dar, jedoch wenig | |
plumper Computeranimation. Vielmehr erinnert „I’m a Virgo“ an die | |
verspielten cineastischen Träume des französischen Filmemachers und | |
Tüftlers [2][Michel Gondry.] | |
Miniaturen, Stop-Motion und allerlei andere Basteleien geben der Serie | |
einen hemdsärmligen Charme. Es gibt auch Comic-Einschübe, denn „I’m a | |
Virgo“ ist in Teilen eine Satire auf das Superheldenformat. Cootie ist Fan | |
eines Musk-esken Superreichen, der Nachts in Heldenuniform die Straßen | |
patrouilliert. Um sie sicherer zu machen, ist Cootie überzeugt. Doch seine | |
neuen Freunde zeigen ihm, dass die polizeiliche Bestrafung individueller | |
Verfehlungen an den Dilemmata vorbeizielt, vor denen Arme und | |
Marginalisierte stehen. Das wird zum Glück nie moralinsauer, sondern bleibt | |
immer leichtfüßig. | |
Am witzigsten ist jedoch,wie uns Amazon die Rebellion gegen das System als | |
Abendunterhaltung verkauft. | |
24 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Caspar Shaller | |
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