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# taz.de -- Spektakel bei der Schach-WM: Was für ein Fest!
> Ian Nepomniachtchi und Ding Liren legen anders als der fehlende
> Titelverteidiger wenig Wert auf Kontrolle. Die Folge ist ein mitreißender
> Titelkampf.
Bild: Eine Nervenschlacht: Ian Nepomniachtchi (r.) und Ding Liren erleben bei d…
Wer hätte geahnt, dass das so fantastisch werden würde? Viel war vorab die
Rede davon gewesen, dass dem Weltmeisterschaftsmatch zwischen Ian
Nepomniachtchi und Ding Liren [1][im Grunde die Berechtigung fehle], weil
der eindeutig beste Schachspieler derzeit, Magnus Carlsen, auf eine
Titelverteidigung verzichtete. Da spiele, so der Tenor, jetzt der Rest vom
Fest. Das stimmt gewissermaßen auch, aber was für ein Fest das nun ist!
Von den sieben gespielten Partien endeten bisher nur zwei Unentschieden,
fünfmal sah man den König fallen. Zum bereits dritten Mal ist [2][Ian
Nepomniachtchi] jetzt in Führung gegangen, nachdem beim letzten
Aufeinandertreffen Ding Liren in arger Zeitnot schlicht eingefroren ist. Es
war der vorläufige Höhepunkt eines Matchverlaufs, den man nur als eine
Nervenschlacht bezeichnen kann.
Insbesondere Ding Liren macht überhaupt keinen Hehl daraus, wie anstrengend
die Situation für ihn ist: Nach seiner ersten Niederlage sprach er sehr
offen von Schlafstörungen, Angstzuständen und der angespannten Nervosität,
die ihn umtrieben. Als es ihm in der vierten Partie gelang, Nepo komplett
einzuwickeln, bis jener gequält aufgab, wurde schon gemutmaßt, dass jetzt
der Zusammenbruch Nepos dräuen könnte; schließlich war er in seinem letzten
Weltmeisterschaftsmatch [3][gegen Magnus Carlsen] auch nach einer
unglücklichen und unnötigen Niederlage schlechterdings kollabiert.
Aber keineswegs! Stattdessen spielte er bei ihrem nächsten Zusammentreffen
seinen Kontrahenten derart vor sich her, dass wiederum jetzt endgültig alle
Hoffnung für Ding Liren vergebens schien. Und so wogt seither das Match hin
und her zwischen diesen beiden Spielern, die in dieser Situation offenbar
gar nicht anders können, als sich die Züge um die Ohren pfeifen zu lassen.
Sie spielen nicht nur mit offenem Visier, nein, sie haben beide die Helme
abgenommen.
## Grundverschiedene Kontrahenten
Das ist außergewöhnlich nach der Ära Carlsen, der in seinen Titelkämpfen
sein Spiel auf maximale Kontrolle auslegte, um dann in langwierigen
Endspielen die Stellung so lange auszupressen und zu -wringen, bis er
minimalste Vorteile zu einem Sieg umgemünzt bekam. Das Match gegen Fabiano
Caruana beispielsweise ging nach zwölf Unentschieden in den Tiebreak. Auch
diese Art Schach hat seinen Reiz, aber spektakulärer und mitreißender ist
diese Schleuderstrecke, die Ding Liren und Nepo gerade fabrizieren,
allemal.
Das liegt auch daran, dass beide nicht nur auf dem Brett grundverschiedene
Stärken haben. Was sie eint, ist ein gewisses Unwohlsein angesichts des
Rampenlichts. Ihr Umgang aber ist von fast filmischer Gegensätzlichkeit.
Während der Pressekonferenzen drückt sich Nepo, die Schultern bärbeißig
nach oben gezogen, so tief es eben geht in seinen Sessel, vermutlich um
sich davon abzuhalten, bei der nächsten Frage einfach aufzustehen und dem
Fragesteller einfach den Kopf abzubeißen.
Währenddessen beantwortet Ding Liren selbst die abwegigsten Fragen mit
einer Offenherzigkeit, die bisweilen ins kindlich Naive dreht. Wenn Fragen
derart unsinnig sind, dass sie schlechterdings nicht zu beantworten sind,
schaut er ganz hilflos und verlegen, es ist herzzerreißend. Ich glaube
nicht, dass es aktuell noch eine*n andere*n Weltklassesportler*in
derart reinen Herzens gibt.
Die Chancen stehen gut, dass es in der zweiten Hälfte so spektakulär
weitergeht, weil die Zermürbung bei beiden zunehmen wird. Es gibt viel,
worauf sich Schachfreund*innen die nächsten Tage freuen können, und man
muss Magnus Carlsen dankbar sein, dass er durch seinen Verzicht dieses
Match möglich gemacht hat. Wer weiß, am Ende wird Nepo noch ein Kings
Gambit spielen, es ist nichts mehr ausgeschlossen.
19 Apr 2023
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## AUTOREN
Frédéric Valin
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