# taz.de -- Nach Springer-Enthüllungen: Vom Clickbait-Boulevard gelernt? | |
> In einem Interview verteidigte Autorin Nora Bossong das Recht auf | |
> „Polemik“ und Privatsphäre – und griff die taz scharf an. Hier erläut… | |
> sie ihre Kritik. | |
Bild: Dahinter steckte schon immer ein kluger Kopf: auf dem CDU-Bundesparteitag… | |
Eine Karikatur, in der ein FDP-Minister als Nazi dargestellt wird, kann man | |
witzig oder geschmacklos finden. Als FDP-neutral lässt sie sich kaum | |
bezeichnen. Nun gab es, soweit bekannt, vor Veröffentlichung dieser | |
Karikatur in der taz Ende März keine Whatsapp-Nachricht aus der Chefetage, | |
die eine Schwächung der FDP wünschte. Offensichtlich gab es aber auch keine | |
Nachricht, die den Abdruck untersagte, und man muss sich schon naiv geben, | |
will man behaupten, öffentliche Diffamierungen von Parteien nähmen nicht | |
auch ihre Wahlschädigung in Kauf. Lediglich die Irrelevanz der taz für | |
FDP-Klientel wird die Wirkung minimal gehalten haben. | |
Die taz-Redaktion entschuldigte sich im Nachhinein für die Karikatur, „sie | |
hätte so nicht erscheinen dürfen“, solche NS-Vergleiche verböten sich. | |
Entschuldigt hat sich auch [1][Springer-Chef Mathias Döpfner] für | |
durchgesickerte interne Chatnachrichten, die ihm letzte Woche um die Ohren | |
geflogen waren. Er zog darin verächtlich über Ostdeutsche und Angela Merkel | |
her und wollte die FDP auf 15 Prozent hochgeschrieben haben. In einem | |
Interview zur Affäre stichelte ich, ob es nicht auch Whatsapp-Chats von | |
taz-Redakteuren gäbe, die die FDP unter 5 Prozent wünschten, aktuell kein | |
hochgestecktes Ziel. Die Entrüstung war groß. Natürlich war meine Bemerkung | |
überspitzt. Aber dass die taz ebenso parteipolitisch tendenziös ist wie die | |
Welt, halt links statt rechts, kann nur bestreiten, wer seine eigene | |
Weltsicht für objektiv hält. Eine solche Blindheit aber wäre das | |
eigentliche Problem, nicht die parteipolitischen Tendenzen. | |
Die Geschichte der Medien ist eine der politischen Einflussnahme. Zeitungen | |
entstanden eng gekoppelt an politische Vereine, erst mit Aufkommen der | |
Massenblätter lösten sie sich von den Parteien, ohne aber völlig ihre | |
parteipolitischen Nähen aufzukündigen. Und das ist gar nicht mal so | |
schlecht, denn es stärkte auch die Meinungspluralität. Lediglich [2][die | |
Öffentlich-Rechtlichen] sind klar der Überparteilichkeit verpflichtet, | |
privatwirtschaftliche Medienhäuser nicht. | |
Die Medienlandschaft um den gefallenen Engel Döpfner malte die Zeit in | |
ihrem „Enthüllungsartikel“ dann aber paradiesischer, als es glaubwürdig | |
ist. Die Ideale Friede Springers, Journalismus müsse Politik begleiten und | |
erklären, nie machen, parteiischer Journalismus wäre eine Rückkehr ins 19. | |
Jahrhundert, wirkten wie eine allgemeinverbindliche Resolution, die | |
obendrein von allen eingehalten wird – abgesehen von Döpfner natürlich. Die | |
Jungle World überparteilich? Der Cicero nicht tendenziös? Bis vor Kurzem | |
hätte man im linken Milieu solche Zitate der Springer-Erbin für exquisite | |
Heuchelei gehalten, plötzlich strahlten sie mit Heiligenschein. | |
## Neue Heilige des Journalismus | |
Es geht gewiss nicht darum, die Springer-Unternehmensführung als | |
vorbildlich oder Döpfner als duften Typen zu verteidigen, sondern um die | |
Frage, welche Art der Berichterstattung wir künftig wollen. | |
Erregungsjournalismus zielt auf reflexhafte Empörung der eigenen Klientel | |
und drapiert Altbekanntes mit twittertauglich provokanten Zitaten. | |
Natürlich kann man sich über die in der Zeit veröffentlichten internen | |
Döpfner-Chats aufregen. Nichts leichter als das – und genau das ist Teil | |
des Problems. Das Allzuleichte ist selten das mit dem größten | |
Erkenntnisgewinn. Bild, BamS, Glotze galten schon vor zwanzig Jahren als | |
Instrumente der politischen Machtgewinnung. Ist das toll? Nein. Ist es eine | |
Neuigkeit? Genauso wenig. | |
Sollte die Zeit vom Clickbait-Boulevard lernen? Lieber nicht. Gerade weil | |
die sozialen Medien, allen voran Twitter, Erregung pushen, sollten die | |
seriösen Printmedien dagegenhalten. | |
Dazu gehört auch, nicht jeden internen Chatverlauf, der einem zugespielt | |
wird, freudestrahlend zu veröffentlichen. Ganz abgesehen von der Frage, ob | |
man hier sensationsdoof den Rachefeldzug Julian Reichelts mitspielt, darf | |
man die Verschiebung der Berichterstattung immer weiter in die Privatsphäre | |
hinein nicht zu leicht nehmen. Die Gedanken sind frei, hieß es mal. Das | |
muss dann auch für Leute mit rechtskonservativen und libertären Ansichten | |
gelten. Oder wollen wir jede Bemerkung, die nie für eine Öffentlichkeit, | |
sondern für vertraute Adressaten bestimmt war, einer Gesinnungsprüfung | |
unterziehen? Ich persönlich wünsche mir das nicht. Wenn etwas | |
strafrechtlich relevant wird, muss ermittelt werden, aber nicht, wenn | |
jemand einfach ein Arsch ist. Bei aller Empörung über andere lohnt es sich | |
vielleicht, mal auf sich selbst zu schauen. Immerhin eine Gewinnerin der | |
Schlammschlacht gibt es: Friede Springer, die neue Heilige des | |
Journalismus. | |
18 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Enthuellung-ueber-Springer-Chef-Doepfner/!5924617 | |
[2] /60-Jahre-ZDF/!5922942 | |
## AUTOREN | |
Nora Bossong | |
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