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# taz.de -- Tiktok-Format „Unverlangt eingesandt“: Lustiger Literaturbetrieb
> Ein Mensch schickt einen Text zur Veröffentlichung an einen Verlag – und
> der stellt ihn dann öffentlich bloß. Humor ist immer so eine Sache.
Bild: Wer darf ein Buch schreiben? Regale in der Zentral- und Landesbibliothek …
Alle müssen Content machen. Auch bei deutschen Literaturverlagen, deren
Marken sich ja meist eher aus der eigenen Tradition generieren, ist
angekommen: Wer neue Zielgruppen erreichen will, muss auf Social Media. Und
zwar nicht einfach nur mit einer nüchternen Bewerbung des eigenen
Programms, sondern mit Verlosungen, Behind-the-scene-Material und witzigen
Videos.
Nun ist Humor natürlich immer so eine Sache. Hierzulande funktioniert er
augenscheinlich am besten, wenn nach unten getreten wird. Folgerichtig hat
sich [1][der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi)] das Tiktok-Format
„Unverlangt eingesandt“ ausgedacht, bei dem sich in Kurzvideos über
Manuskript-Einreichungen lustig gemacht wird. Also ein Mensch schreibt da
jahrelang an einem Text, fasst sich irgendwann ein Herz, sendet ihn an
einen Verlag und der guckt dann bloß rein, um daraus pseudolustigen Content
zu generieren.
Für Lacher soll in „Unverlangt eingesandt“ der selbstsichere Ton der
Anschreiben sorgen sowie die Formfehler und Forderungen der unbekannten
Autor_innen. In einer Einsendung etwa verlangt der_die Autor_in 10.000 Euro
Vorschuss für das beiliegende Manuskript und gibt an, dass der Text noch
vier weiteren Verlagen zum Angebot vorliegt. Was den Zuschauer_innen aber
unausgesprochen als lächerliche, weil dreiste Forderung verkauft wird, ist
in Wahrheit ein sehr realistisches Angebot für einen Konzernverlag wie
KiWi. Und für die schreibende Person sowieso: Angenommen in einem
Romanmanuskript stecken zwölf Monate Arbeit, dann sind das zehn Riesen
durch zwölf brutto – was daran ist nochmal dreist und funny?
Es verwundert kaum, dass wir in dem Format nichts über die Textqualität der
Manuskripte erfahren, sondern lediglich von den Anschreiben. Denn das
unfreiwillig Komische an „Unverlangt eingesandt“ ist, dass suggeriert wird,
irgendein Großverlag schaue sich 2023 noch die unverlangt eingesandten
Manuskripte an. Dabei treffen doch längst Literaturagenturen die
Vorauswahl, lektorieren Manuskripte vor, bieten sie den Verlagen an. Der
Verlag braucht sich somit gar nicht mehr durch Texte wühlen, die abseits
von diesen Strukturen entstehen, er bietet einfach mit anderen Verlagen um
jene Texte und Autor_innen, die ihm irgendwie „gut verkäuflich“ vorkommen,
gemessen an einem chronisch verspäteten Trendverständnis. Und beschwert
sich anschließend darüber, dass die Agenturen den Markt kaputt machen.
Kurz: Es ist eigentlich genauso wie überall.
## Branchenübliche Codes
Nur dass in einer anderen Branche vielleicht die Hemmung größer wäre, sich
öffentlich über Jobbewerbungen lustig zu machen. Denn nichts anderes ist
eine Manuskripteinreichung: eine Bewerbung. [2][Und nichts anderes ist das
Autor_innendasein: ein Job.] Der kapitalistische Blick auf (noch) nicht
kommerziell erfolgreiche Autor_innen und generell Künstler_innen ist
dagegen ein mitleidiger bis verächtlicher: „Haha, guck mal, der Spinner
denkt, er sei was Besseres. Geh mal arbeiten.“
An diese Denke scheint das KiWi-Format anknüpfen zu wollen. Das fehlende
Wissen um branchenübliche Codes wird nicht etwa als Hinweis auf
unvorhandenes soziales Kapital gewertet, sondern als Gradmesser für
schriftstellerisches Talent. Ist doch nur Spaß, werden sich die
Urheber_innen jetzt rausreden. Aber ausgerechnet von einem Literaturverlag
hätte man sich doch ein bisschen mehr Originalität gewünscht in puncto
Humor, it’s giving Stefan Raab, Leute.
Erfreulicherweise geht der Witz aber ohnehin nicht richtig auf, der Verlag
kassiert vor allem Unverständnis bei der eigenen Klientel, wie die
Kommentare zeigen. Womöglich hilft aber auch das in der
Aufmerksamkeitsökonomie, so ein kleiner Shitstorm hat noch keinem Konzern
geschadet. Fragt sich bloß, was das mit Nachwuchsautor_innen macht, auf die
KiWi genauso angewiesen ist wie die ganze Branche.
24 Mar 2023
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## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
deutsche Literatur
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Schwerpunkt #metoo
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