# taz.de -- Tödliches Unglück in Griechenland: Die Zug-Tragödie von Tempi | |
> Beim Zusammenstoß zweier Züge sterben mindestens 36 Menschen. | |
> Griechenlands Bahnen hatten schon lange Probleme, doch Athen sah wohl | |
> weg. | |
Bild: Von der Strecke geschleudert und teilweise ausgebrannt: Der Unglückszug … | |
Athen taz | Am Dienstagabend ist kurz nach 23 Uhr ein Zug im Tempi-Tal in | |
Griechenland frontal mit einem entgegenkommenden Güterzug zusammen | |
gestoßen. Offiziellen Angaben zufolge starben dabei mindestens 36 Personen, | |
über 80 weitere wurden verletzt. | |
Die gesamte Strecke von [1][Athen] nach Thessaloniki – die mit Abstand am | |
stärksten frequentierte Zugstrecke ganz Griechenlands – verfügt eigentlich | |
über zwei Gleise. Doch der darauf verkehrende Unglückszug IC 62 war | |
definitiv auf dem falschen Gleis unterwegs. | |
Der Frontalcrash und ein sofort ausbrechendes Feuer ließen die ersten drei | |
Waggons des geisterfahrenden Intercitys auf einen Schlag zu einer | |
unförmigen Masse verschmelzen. Die griechische Feuerwehr, die mit 150 | |
Einsatzkräften sowie vier Kränen vor Ort operierte, konnte daraus nur noch | |
verkohlte Körper bergen, viele der Toten konnten nur per DNA-Tests | |
identifiziert werden. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Zahl der | |
Opfer noch weiter erhöht. | |
Georgios Kyritopoulos, ein junger Student, saß in dem Unglückszug. Mit | |
ruhiger Stimme sagt er am Mittwochmorgen: „Ich bin dankbar dafür, dass ich | |
am Leben bin. Zugleich bin ich unendlich traurig über den Tod so vieler | |
Menschen. Ich will nur eines: die Schuldigen müssen bestraft werden“. | |
Kyritopoulos hatte Glück im Unglück. Denn er saß im fünften Waggon, weit | |
hinten im Zug. | |
## Kein Leitsystem, keine Ampeln, dafür Funkgeräte | |
Die Ursachenforschung war am Mittwochmorgen bereits in vollem Gange. | |
Übereinstimmenden Angaben zufolge wird der Zugverkehr auf der gesamten | |
Strecke von der Hauptstadt Athen nach Thessaloniki von Station zu Station | |
manuell und per Funk geleitet. Die Stationsleiter an den Bahnhöfen geben | |
ihre Anweisungen per Funk an die Lokführer weiter. Die sind darauf | |
angewiesen, weil sie quasi blind unterwegs sind: Es gibt weder ein | |
elektronisches Leit- und Überwachungssystem, noch Ampeln, die bei Gefahr | |
auf Rot schalten könnten. Das wurde den Passagieren des Zugs in der Nacht | |
und bei hohem Tempo offenbar zum Verhängnis. | |
Das Zugunglück im Tempi-Tal war eine Katastrophe mit Ansage. Schon 2019 | |
hatte die EU-Kommission Griechenland wegen mangelnder Sicherheit im | |
Zugverkehr zu einer Geldstrafe in Höhe von zwei Millionen Euro verdonnert, | |
im April 2022 warnte ein Experte in einem Brief vor Zugunglücken, wie der | |
Athener Fernsehsender Open TV am Mittwoch enthüllte. | |
Das alles stieß in Athen auf taube Ohren. Dabei standen die griechischen | |
Bahnen (Hellenic Train) schon lange im Fokus. Hellenic Train wurde im | |
Oktober 2017 im Zuge der griechischen Staatsschuldenkrise auf Druck von | |
Hellas' öffentlichen Kreditgebern, darunter auch die EU an die | |
italienischen Staatsbahnen verhökert. | |
Seither reißen die Probleme mit Hellenic Train nicht ab. Aufsehen erregte | |
zuletzt der Erwerb der legendär schlechten ETR 470 Cisalpino-Züge, auch | |
[2][Pendolino] genannt, von den Schweizer Bundesbahnen SBB. Züge dieses | |
Types hatten ab Mitte der 1990er-Jahre vornehmlich die Schweiz mit Italien | |
verbunden, bevor die SBB die allermeisten Pendolinos auf den Schrottplatz | |
beförderte. Der damalige SBB-Chef sprach von einem „Horror“, der ein Ende | |
gefunden hatte. | |
Doch nicht alle Züge landeten auf dem Schrottplatz. Italiens Staatsbahn | |
schickte fünf verbliebene Pendolinos nach Griechenland. In der Schweiz gab | |
es mehrere Vorfälle, bei denen die Züge in Brand gerieten. Der ehemalige | |
SBB-Chef Benedikt Weibel sagte:“Zu einem bestimmten Zeitpunkt betrafen 50 | |
Prozent der Beschwerden, die wir erhielten, den Pendolino, obwohl er nur | |
ein Prozent des Bahnverkehrs bediente.“ In Richtung Griechenland sagte | |
Weibel damals: „Zum Pendolino kann ich nur sagen: viel Glück!“ | |
## Drei weitere Vorfälle am selben Tag | |
Ausgerechnet am Dienstag, dem Unglückstag, hatte es gleich drei Pannen im | |
Zugverkehr von Athen nach Thessaloniki gegeben. Nur wenige Stunden vor dem | |
desaströsen Zugunglück im Tempi-Tal mit seinen vielen Toten waren die | |
elektrischen Leitungen über einem Zug von Hellenic Train im Bahnhof | |
Paleofarsalos auf der Strecke Athen nach Thessaloniki explodiert. Die | |
Explosion hatte zur Folge, dass das 25.000-Volt-Kabel durchtrennt wurde und | |
auf den Zug fiel. Die rund 450 Fahrgäste mussten mit dem Bus nach | |
Thessaloniki weiterfahren, der Zug blieb im Bahnhof von Paleofarsalos. | |
Ferner blieb der Zug 2594 von Larissa nach Thessaloniki aufgrund eines | |
technischen Problems in der Nähe des Bahnhofs Larissa auf der Strecke. | |
Obendrein verzögerte sich die Abfahrt des Intercitys IC 63, der auf der | |
Strecke Thessaloniki nach Athen verkehren sollte, erneut wegen eines | |
technischen Problems. | |
Griechenland befindet sich nun im kollektiven Schockzustand. | |
Premierminister [3][Kyriakos Mitsotakis] verhängte eine dreitägige | |
Staatstrauer, am Mittwochnachmittag trat Transportminister Kostas | |
Karamanlis zurück. Er tue dies „aus Respekt im Gedenken an die Opfer“, wie | |
er in einer schriftlichen Mitteilung betonte. | |
Die griechische Bahn wirbt damit, dass man mit ihren schnellen Zügen in | |
weniger als vier Stunden von Athen nach Thessaloniki reist. Spätestens seit | |
der Tragödie von Tempi klingt das für die Griechen wie Hohn. | |
1 Mar 2023 | |
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[1] /Raubkunst-aus-der-Akropolis/!5904881 | |
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## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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