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# taz.de -- Schalke in der Männer-Bundesliga: Brüllen gegen den Abstieg
> Beim 2:1-Heimerfolg der Schalker gegen Stuttgart entfaltet das Publikum
> seine besondere Wucht. Sie befördern beim Tabellenletzten neue
> Willenskraft.
Bild: In der großen Schalker Abstiegsschlacht gibt es nun die große Einheit
Gelsenkirchen taz | Eine recht spezielle Mischung aus Selbstironie und
Selbstvertrauen lag in den Gesängen, die in der Schalker Arena erklangen,
als der Nervenkitzel überstanden war. „Die Nummer eins im Pott sind wir“,
sangen die Anhänger des Tabellenletzten wohlwissend, dass Borussia Dortmund
aus der Nachbarstadt drei Stunden zuvor an die Spitze des Tableaus
gesprungen war und auch der VfL Bochum weiterhin mehr Punkte hat. Aber zum
einen stimmten die Schalker sich auf die anstehenden Revierderbys in Bochum
und gegen den BVB ein, und zum anderen konnten sie sich in einer Kategorie
tatsächlich wie die Nummer eins fühlen.
Die Zuschauerwucht, mit der Schalke 04 zu diesem überlebenswichtigen
2:1-Sieg gegen den VfB Stuttgart angetrieben worden war, ist tatsächlich
einzigartig. Selbst im gefeierten Dortmunder Westfalenstadion entstand
etwas Ähnliches während der laufenden Saison nur in der Schlussphase der
Partie gegen den FC Bayern, als Anthony Modeste in der Nachspielzeit das
2:2 köpfte. Der jetzt schon extreme Existenzkampf der Schalker setzt ein
paar mehr Kräfte frei als die vage Hoffnung des erfolgsverwöhnten BVB auf
den Titel. „Jeder, der im Stadion war, hat heute Gänsehaut bekommen“,
spekulierte der Schalker Torhüter Ralf Fährmann, wahrscheinlich hatte er
recht.
Vier Mal hatten die Schalker zuvor 0:0 gespielt, die exzellent
herausgespielten Tore von Dominick Drexler (10.) und Marius Bülter (40.)
nach wochenlanger Torabstinenz wurden daher gefeiert wie das erste Festmahl
nach einer langen Fastenzeit. Und als in der Schlussphase die Angst vor dem
Ausgleich und einem tragischen Drama das Stadion erfüllte, brüllten die
60.000 für ihre Mannschaft bei jedem Zweikampf, als gehe es ums Überleben.
Wissenschaftliche Studien nähren ja Zweifel am Einfluss des Publikums auf
die Profis, wer derzeit jedoch Schalke 04 erlebt, kann nicht ernsthaft
glauben, dass die Energien der Masse wirkungslos sind. „Es gibt vielleicht
ein bisschen Angst, weil die Atmosphäre war sehr, sehr stark“, räumte
Stuttgarts Borna Sousa, der zum 2:1 getroffen hatte (63.), ein, und
VfB-Torhüter Fabian Bredlow sagte: „Die haben uns den Schneid abgekauft,
die waren einfach giftiger als wir, die waren griffiger, die sind mit einer
ganz anderen Intensität angelaufen.“
## Willenskraft bedeutsam wie lange nicht
Ganz grundsätzlich durchläuft der Fußball derzeit eine Phase, in der
Willenskraft, physische Stärke und die Bereitschaft, bedingungslos jeden
Schritt zu machen, der der eigenen Mannschaft helfen könnte, bedeutsam sind
wie lange nicht. Argentinien [1][ist mit diesen Qualitäten Weltmeister]
geworden, [2][Union Berlin und der SC Freiburg] haben sich so zu
Champions-League-Aspiranten entwickelt. Auch Borussia Dortmund gewinnt ein
Spiel nach dem anderen, seit der Zeitgeist des Spiels auch von eher
künstlerisch veranlagten Profis begriffen wurde, und der wild kämpfende FC
Schalke, mit seiner aufgrund von finanziellen Zwängen improvisierten
Verlierermannschaft ist plötzlich eine Bedrohung für jeden Konkurrenten in
der Liga.
Am kommenden Samstag können sie in Bochum sogar aus eigener Kraft den
letzten Tabellenplatz verlassen. „Es ist jetzt so, dass wir uns in eine
gute Ausgangsposition gebracht haben“, sagte [3][Trainer Thomas Reis], „wir
haben heute den Anfang gemacht, den Grundstein gelegt.“
## Flammende Reden
Nach der Partie, als die Spieler sich vor der Nordkurve feiern ließen,
hielt ein Ultra mit Megafon eine Ansprache, in der die Spieler deutlich
aufgefordert wurden, genau so weiterzumachen. Schon nach dem 1:6 gegen
Leipzig im Januar waren 3.000 Fans zu einem Training gekommen, in dessen
Rahmen ein mit Spendengeldern restaurierter Flutlichtmast des alten
Parkstadions eingeweiht wurde, auch dort hielt ein Ultra eine flammende
Rede. Das Team müsse gar nicht besonders toll Fußball spielen, aber „jedem
Gegner zumindest den scheiß Rasen kaputt“ treten, hatte er gerufen.
„Wir als Mannschaft spüren, [4][dass die Fans und die Region hinter uns
stehen]“, sagte Fährmann, dem nach vier Partien ohne Gegentor vor dem
Anschlusstreffer des VfB ein schlimmer Fehler unterlaufen war. Hätte es
nicht zum Sieg gereicht, wäre er die Hauptfigur eines tragischen Dramas
geworden, so durfte er sich dank einiger guter Aktionen als Teil eines
Heldenteams fühlen. Genau wie die Winterzugänge Michael Frey und Moritz
Jenz oder der aufblühende Alex Kral sowie etliche andere Schalker. Der
Revierklub hat nach einem Horrorhalbjahr zu sich selbst gefunden, sodass
Tom Krauß schließlich in all der Emotionalität dieses Abends ein sehr
nüchternes Resümee ziehen konnte: „Wir sind wieder im Geschäft.“
26 Feb 2023
## LINKS
[1] /Argentinien-ist-Fussballweltmeister/!5903199
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[4] /Schalke-04-als-Fussballkosmos/!5850318
## AUTOREN
Daniel Theweleit
## TAGS
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