Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Konflikt zwischen Serbien und Kosovo: Zirkusshow auf Provinzniveau
> Bei einer Parlamentssitzung soll Serbiens Präsident Vučić das Geheimnis
> um einen deutsch-französischen Plan zur Lösung der Krise lüften. Sie
> endet im Chaos.
Bild: Applaus für die Zirkusshow: Serbiens Präsident Vučić im Parlament am …
Belgrad taz | Der Westen hat anscheinend die Nase voll vom „Pulverfass“
Kosovo. Neben der ukrainischen, will man keine zweite Front in Europa
riskieren. [1][Straßenblockaden im Norden des Kosovo] ethnisch motivierte
Schießereien und Festnahmen oder institutionelle Krisen sollen nicht länger
geduldet werden. Deshalb begaben sich Missionare der EU und der USA auf
eine gemeinsame Friedensmission, manche würden sagen Strafexpedition, ins
serbische Belgrad und das kosovarische Prishtina – mit dem Ziel, die
unversöhnlichen Streitparteien dazu zu zwingen, das Kriegsbeil zu begraben.
Im Zentrum der transatlantischen Versöhnungsaktion steht ein geheim
gehaltener deutsch-französischer Plan, auf dessen Grundlage der
kosovarische Knoten durchschlagen werden soll. Brüssel und Washington haben
dieses Produkt des deutsch-französischen Brainstormings als ein offizielles
„europäisch-amerikanisches Dokument“ auf den Verhandlungstisch gelegt.
Um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen, machte sich eine Delegation mit
ungewöhnlicher Besetzung zu [2][Serbiens Staatspräsidenten Aleksandar Vučić
und dem kosovarischen Regierungschef Albin Kurti] auf: je ein Vertreter der
EU, USA, Deutschlands, Frankreichs und Italiens. Die Botschaft an den
serbischen und albanischen „Partner“ war klar: Wagt es nicht, euch dieser
Macht zu widersetzen! Wir wollen Ruhe auf dem Westbalkan.
Da die ganze Geheimnistuerei um das Dokument der Phantasie aller möglichen
Individuen auf der politischen Bühne freien Lauf ließ, wurde am Donnerstag
eine, dem Thema Kosovo gewidmete, „historische“ Sondersitzung des
serbischen Parlaments einberufen.
## Ohne jegliche Befugnisse
Der Staatspräsident höchstpersönlich, der allein und laut Kritikern ohne
jegliche Befugnisse im Namen Serbiens mit Prishtina verhandelt, sollte die
Volksvertreter darüber aufklären, welches die Forderungen des Westens
hinsichtlich der Wiege des Serbentums sind, und was dieses verdächtige,
deutsch-französische Schreiben eigentlich beinhaltet.
Doch aus der epochalen Sitzung wurde nichts, wie ein serbischer Kolumnist
schrieb. Denn „außer den großen Pferdestatuen vor dem serbischen Parlament
fand im Parlamentssaal alles Platz, was ein provinzieller Zirkus sonst noch
für eine Show benötigt: Clowns, Pelikane, Dompteure, Feuerschlucker und der
stärkste Mann der Welt – Aleksandar Vučić“.
Ohne irgendetwas zu sagen, was man schon vorher nicht tausendmal gehört
hätte, berichtete der große Boss Serbiens über eineinhalb Stunden lang wie
er sich heldenhaft den Weltmächten widersetzt habe, die ihm ihre Sicht des
von Serbien unabhängigen Kosovo hätten aufzwingen wollen.
Ohne zu präzisieren, was in dem europäisch-amerikanischen Kosovo-Plan
steht, malte er dann allerdings ein düsteres Bild von dem, was auf Serbien
zukomme, sollten die Serben das Dokument, dessen Inhalt sie nicht kennen,
ablehnen: Stopp von Auslandsinvestitionen, kein Geld mehr aus EU-Fonds, ein
Einfrieren der Beitrittsverhandlungen mit Brüssel, ein sinkender
Lebensstandard, ein Ende der Vereinbarungen mit dem Internationalen
Währungsfonds, gar die Wiedereinführung der Visapflicht für EU-Staaten. Mit
all dem hätten ihm die fünf Westler unmissverständlich gedroht, sagte
Vučić.
## Patriotische Lieder
Patriotische Rechtspopulisten meinten im Referat des Catch-All-Populisten
Hochverrat zu erkennen, grölten patriotische Lieder über den Kosovo als
Herz Serbiens, sprangen von ihren Bänken auf und umzingelten den
Präsidenten mit Transparenten, auf denen „Verräter“ stand. Es kam zu
Drängeleien und sanften Handgreiflichkeiten.
Der Staatspräsident beobachtete mit einem zynischen Lächeln ruhig das
Tohuwabohu und befahl dem Parlamentspräsidenten, die Sitzung ja nicht zu
unterbrechen. Das Zirkusspektakel schien er sichtlich zu genießen. Die
Sitzung am Donnerstag dauerte dann noch bis spät in die Nacht und wurde am
Freitag fortgesetzt.
Tatsächlich gewinnt man den Eindruck, dass Vučić mit der ganzen
Schwarzmalerei den Serben Angst einjagen möchte, welche Folgen eine
Ablehnung der ultimativen Forderungen des Westens für ihre Existenz haben
könnte, damit sie die deutsch-französische Kosovo-Pille leichter schlucken
können.
Aus dem, was an die Medien durchgesickert ist, kann man nur eines
schließen: Das Dokument sieht zwar keine de jure, aber eine de facto
Anerkennung des Kosovo, und auch seines Sitzes bei den Vereinten Nationen
vor. Diese Vorgabe zu akzeptieren, würde Vučić großes Kopfzerbrechen
bereiten. Sie jedoch abzulehnen, falls der Westen es mit Strafmaßnahmen
denn ernst meint, würde er politisch sicher nicht überleben.
4 Feb 2023
## LINKS
[1] /Professor-Brunnbauer-ueber-das-Kosovo/!5902597
[2] /Konflikt-in-Kosovo/!5899141
## AUTOREN
Andrej Ivanji
## TAGS
Serbien
Kosovo
Aleksandar Vucic
Kosovo
Kosovo
Kosovo
Kosovo
## ARTIKEL ZUM THEMA
15 Jahre unabhängiges Kosovo: Die Sirenen von Mitrovica
Vor 15 Jahren erklärte sich das Kosovo für unabhängig. Doch der Konflikt
mit Serbien blockiert den Fortschritt. Besuch in einer geteilten Stadt.
Haltung der EU im Kosovo-Konflikt: Vertrauen verspielt
Anstatt Serbien unter Druck zu setzen, fordert die EU vom Kosovo mehr
Kompromissbereitschaft. In Prishtina führt das zu Recht zu Frustration.
Eskalation im Kosovo: Serbisches Drama in vielen Akten
Der konzertierte Alarmismus der serbischen Regierung hilft die Reihen um
Staatschef Vučić zu schließen – und stärkt dabei seine
Verhandlungsposition.
Konflikt in Kosovo: „Abschaum“ und „Krimineller“
Zwischen Belgrad und Prishtina stehen die Zeichen auf Sturm. Der Konflikt
ist ein Schlagabtausch zwischen Serbiens Staatschef und Kosovos Premier.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.