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# taz.de -- Die Wahrheit: 1a-Einhorn
> Tagebuch einer Wahlbeobachterin: Motivation ist alles! Nicht nur beim
> Wiederholungsurnengang in der Hauptstadt des Wählens.
Am Tag der diesmaligen, von nun an voraussichtlich jährlich stattfindenden
Berlinwahl, begegnete ich meinen Freunden H. und F. im Wahllokal. H. trug
schicke neue Beinkleider, und ich lobte ihn ausführlich, dass er sich für
die Ausübung seiner Bürgerpflicht in Schale geworfen hatte. „Meine neue
Motivationshose“, strahlte er, „gerade gekauft!“ – „Aber nicht wegen …
Wahl“, schaltete F. sich unbarmherzig ein, „die ist nämlich zu eng und
motiviert bloß zum Abnehmen.“
Tags drauf, nach der Bekanntgabe des sogenannten vorläufigen
Endergebnisses, traf ich motivationsmäßig leicht angeschlagen Freundin A.
und verlangte Rechenschaft. A. war nämlich ins geheime Innenleben der
Wahlorga eingedrungen und hatte sich in Friedrichshain als Wahlhelferin
betätigt, „aus Neugier, wer da so kommt“.
Man muss wissen, A. ist erst seit Kurzem in Berlin und eigentlich aus
Bayern, vielleicht erwartete sie mit Gendersternchen tätowierte
Kampfaktivist*Innen, es kamen aber nur, wie es so heißt, „junge
Familien“ und ein schlechtgelaunter Ostrentner. Sie versicherte mir, alles
sei – aber auch nur, weil sie aufgepasst habe! – mit rechten Dingen
zugegangen, und wir verprassten schon mal einen Teil ihres rechtschaffen
verdienten „Erfrischungsgelds“ bei Sushi und Bier.
Anlässlich eines anderen, parallel zur Wahl stattfindenden Großereignisses,
A.s eigenem Eintritt ins Rentenalter, landeten wir im Laufe des Abends mal
wieder beim Thema Motivation, allerdings weniger in Bezug auf demokratische
Teilhabe oder Hosengrößen. Aus dem begreiflichen Wunsch nach einem noch
langen Leben sorgte A. sich um ihre körperliche und geistige
Instandhaltung, um vor ihrem Ende noch langgehegte Vorhaben wie den Rekord
im Apnoetauchen, das Studium schwarzer Löcher und die Herstellung von
Quittengelee umzusetzen. Wir erwogen dafür den Verzicht auf Alkohol und
Torte, verwarfen die Idee aber wegen ungenügender Motivation.
Bei unserer Diskussion über die lebenzeitverkürzende Wirkung von
Genussmitteln beichtete A., zwar mal geraucht, aber aus Angst vor bösen
Nebenwirkungen noch nie an einem Joint gezogen zu haben. Nun jedoch,
angesichts der bevorstehenden Legalisierung von Cannabis, schnelle ihre
Motivationskurve steil nach oben, denn wenn der Shit offiziell verkauft
wird, wäre das Zeug wohl safe, oder? Da könnte man doch gemütlich beim
Käsekuchen mal einen durchziehen. Und wie war das eigentlich mit
Seniorenrabatt? Ob ich darüber was wisse?
Während A. ihre zukünftigen Rauschmitteloptionen erforscht, warten Berlin
und ich noch auf die endgültige Bescherung. Da zeigte sich das letzte
vorweihnachtliche Schrottwichteln schon spannender; mein angerosteter
Korkenzieher aus dem Geschenkesack war jedenfalls überzeugender als der in
einem 1a-Motivationsanzug steckende Kai W. aus der Wahlzettelkiste. Er
wurde dann gegen einen angeschlagenen Becher mit Einhornmotiv getauscht.
16 Feb 2023
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Berlin
Wahlen
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