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# taz.de -- Verkehr und Klima: Traumtänzer auf der Fakten-Autobahn
> Sich die Welt machen, wie sie uns gefällt, funktioniert nur bedingt. Und
> es gehört sicher nicht zu den Privilegien von Politikmachenden.
Bild: Harry und Meghan lösen mit ihren Enthüllungen auf Netflix starke Sympat…
Leugnen ist enorm erleichternd. Für einen selbst. Für den Rest der Welt ist
es oft einfach enervierend. Ändert aber nichts daran, dass wir uns alle
schön und regelmäßig unser Leben zurechtleugnen. Ich zum Beispiel glaube
zurzeit tatsächlich, dass ich noch nie besonders viel Schlaf gebraucht habe
und einfach „effizient“ schlafe. Fünf Stunden Koma, dann bin ich wie neu.
Oder dass ich ganz bestimmt, wenn unsere Kinder erst etwas größer sind,
wieder mit meinen Freundinnen die Welt bereisen und Bücher schreiben werde.
Was einen halt so durch den Tag bringt.
Gute Leugner gehen gern in die Politik. Sagen, was ist (etwa: [1][wir sind
im Krieg mit Russland], die Klimakatastrophe ist unausweichlich, falls wir
nicht endlich unsere verweichlichten westlichen Hintern hochkriegen), kommt
da irgendwie nicht so gut an. Wenn die eigenen Illusionen aber
deckungsgleich genug mit denen anderer Traumtänzer sind, kann man sogar als
vor wenigen Jahren noch halbtot geglaubte Partei eine Regierung
terrorisieren.
Wie diese Woche: „Der Autobahnausbau hat mit den Klimazielen gar nichts zu
tun.“ So gelogen vom FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler [2][im
Deutschlandfunk]. Dabei hat eine Studie des Umweltbundesamts ebenfalls
diese Woche erst gezeigt, dass ein [3][Tempolimit] zweieinhalbmal mehr CO2
einsparen würde als gedacht. Würde man nicht nur auf Autobahnen ein Limit
von 120 km/h umsetzen, sondern auch eines von 80 km/h auf Landstraßen,
könnte so ein Sechstel der nötigen CO2-Einsparungen für die 1,5 Grad-Grenze
erreicht werden.
Gut, werden Sie jetzt denken, auch auf neu ausgebauten Autobahnen könnte
man langsamer fahren, vorausgesetzt, die FDP ließe das zu. Doch für die
Idee, mehr Straßen seien der richtige Abzweig in die Verkehrswende, braucht
man natürlich ebenso viel guten Willen. Aber hey, nichts für ungut, FDP.
Auch mein Gehirn spielt viele Fakten zugunsten meines Weltbilds runter und
hält nur ein begrenztes Maß an Widersprüchen aus. Wie den, dass Menschen,
die meine volle Solidarität haben, nicht unbedingt besonders nett sein
müssen – sozusagen als Gegenleistung.
Das Ganze funktioniert natürlich umso besser, je mehr Leute den Quatsch
glauben wollen. Ja je größer die Zahl der Gläubigen, desto besser. Gut zu
beobachten war das – ebenfalls diese Woche – mal wieder beim Erinnern an
die [4][Befreiung von Auschwitz] vor 78 Jahren. Dem Auftakt sozusagen zu
einer der Lieblings-Illusionen hierzulande, nämlich der, dass bald darauf
auch wir Deutschen durch die Alliierten von dieser Zecke
Nationalsozialismus befreit wurden – als hätte die nicht einen ganz
dankbaren Wirt gehabt.
Geht’s dagegen um private Belange, ist das mit dem Leugnen meist nur so
semi-erfolgreich. Mit Entsetzen (ob meines ebenfalls erfolgreich
verleugneten Alters!) musste ich mich diese Woche auch noch an die
Lewinsky-Affäre erinnern. 25 Jahre ist es her, dass Bill Clinton glaubte,
das Leugnen sei eine super Idee. Und ja: Seine ist eine der ganz wenigen
politischen Lügen, die mir sympathisch sind. Weil: was gehen mich und
Millionen das Sexleben anderer an – auch wenn’s der US-Präsident ist?
Gleichzeitig war natürlich gerade diese Lüge politisch dumm – eben weil’s
nicht um irgendeine – wenn auch noch so krude – Weltanschauung ging, für
die sich wohl Anhänger hätten finden lassen. Sondern halt nur um Clinton
und sein kleines privates Missgeschick. Aber gerade da urteilt es sich halt
am schönsten und schärfsten. Der hat seine Frau betrogen? Mistkerl! Das
Kind da isst den ganzen Tag nur Kekse? Aus Weißmehl? Ich ruf das Jugendamt!
Das ist der komische Twist an der Sache: Kritisch sind die Menschen immer
da, wo sie sich moralisch im Recht fühlen. Auch ich. So hatte ich diese
Woche starke Gefühle (für [5][Meghan und Harry]!), nachdem ich es endlich
geschafft hatte, die Netflix-Doku zu Ende zu schauen. Späte Rache für Diana
und so. Wahrscheinlich war ich dabei auch nur Opfer gekonnter Illusion, wer
weiß. Für die kommende Woche wünsche ich mir und Ihnen mehr Fakten als
Fiktion.
28 Jan 2023
## LINKS
[1] /Annalena-Baerbock-und-der-Ukraine-Krieg/!5911609
[2] https://www.deutschlandfunk.de/int-lukas-koehler-fdp-fraktionsvize-zu-klima…
[3] /Tempolimit/!t5024108
[4] /Gedenkstunde-fuer-Opfer-des-Holocaust/!5907977
[5] /Prinz-Harrys-Enthuellungen/!5904750
## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Verkehrspolitik
Holocaust-Gedenktag
Prinz Harry
FDP
Prinz Harry
Verkehr
Schwerpunkt Rassismus
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