# taz.de -- Die Wahrheit: Der Amseln Mittagsschlaf | |
> Kann es sein, dass sich ein neues Phänomen in der Vogelwelt breit macht? | |
> Die sonst so lauten Gesangsterroristen sind plötzlich still, ganz still. | |
Bild: Reihenweise schwärmen gut gelaunte Madrider zu den Vergnügungsorten ihr… | |
Ich mein verständlich, dass sich meine wackeren Eltern nach einem | |
deliziösen Apfelstrudel on the rocks und einer klitzekleinen Eisbombe à la | |
mexicaine der Verdauungsruhe bis zirka 15.29 Uhr anheimgeben. Aber was ist | |
bloß mit unseren Amseln los? | |
Stiefele ich auf Grund einer seit Jahren eskalierenden Schlafscheiße | |
(Insomnie) morgens um sechse runter, um die nachgewiesenermaßen | |
allerunnötigste und allerdümmste Tageszeitung der nördlichen Hemisphäre, | |
die Nürnberger Nachrichten, aus der Röhre am Hoftor zu fischen, dackeln sie | |
schon daher, diese Amseln, diese Quälgeister. Acht, neun Mann und Frau | |
stark, hüpfen und kreiseln sie vor der Haustür herum, plärren und zetern | |
und plaudern ja auch recht brav bisweilen untereinander, so in der Art: | |
„Ah, da is er ja wieder, der olle Esel, jetzt gibt’s ordentlich was auf die | |
Kelle!“ | |
Einmal im Sommer rissen mich diese nimmersatten Affen gegen fünf sogar aus | |
der Finalphase eines likörsüßen Albtraums. Das Fenster stand offen, und | |
draußen war Wacken: Jeremiaden from hell, von der diese areligiösen | |
Kreaturen ja keine Ahnung haben! Kommandos wie am Hindukusch, obwohl diese | |
ordinären Ornis im Leben noch keinen Brunnen gebohrt haben! „Wir haben | |
Hunger! Alter, mach hin!“ | |
Und ich gehorchte auch noch, statt diesen gefiederten Gesangsterroristen | |
Bescheid zu stoßen und Manieren beizubiegen. | |
Nun verständlich, die von meiner Mutter in Rapsöl leicht angerösteten | |
Haferflocken schmecken wohl gar zu gut. Rechtfertigt das indes den | |
permanent-impertinenten Zirkus, die unschicklichen Belagerungen unserer | |
Heimstatt, das propagandistische Gelärme in eigener Sache? Amsel und | |
Anstand? Forget it. | |
Seit einiger Zeit mache ich allerdings eine erstaunliche, eine erfreuliche | |
Beobachtung. In der Frühe und den ganzen Nachmittag hindurch, wie gesagt, | |
nix als Krawall, Randale und Radau, inklusive sehr putziger Raufereien rund | |
um die von mir vor der Garage großzügig hingehäufelten Leckereien. | |
Meine Mutter meint, die Säcke spielten halt gern, so kann man wirklich | |
alles verharmlosen. Doch vor drei Wochen habe ich aus Zufall gemerkt, dass | |
um die Tagesmitte herum regelmäßig totale Ruhe herrscht. Kein Geschnatter, | |
kein Tixen, kein Amselgekrähe. | |
Im alten Pflaumenbaum gammeln ein paar Schwarzröcke herum, andere hocken | |
unter den Büschen. Vollkommene Stille. Halten unsere Amseln nunmehr | |
Mittagsschlaf? Und wenn ja – warum? | |
Schauen sie neuerdings ab zwölf Uhr Nachrichtenfernsehen? Und sind darob ob | |
der endlosen Interviews mit Anton „Banzer“ Herrenhofreiter, Roderich | |
„Nuklearwinter“ Kiesewetter und Mao-Akne Stramm-Holzhobel jedes mal rasch | |
derart geplättet, dass sie in Morpheus’ Arme flüchten? Mit der zusätzlichen | |
Hilfe von ein, zwei Hefeweizen? Gleich mir? | |
Ach, sie sind mir so lieb, unsere Amseln. | |
26 Jan 2023 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Roth | |
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