# taz.de -- Choreographischer Nachwuchs in Berlin: Befreiung und Erschöpfung | |
> In Berlin beginnt das Nachwuchsfestival Tanztage. Einige der | |
> Künstler:innen haben hier studiert. Doch die Hochschule für Tanz | |
> braucht mehr Mittel. | |
Bild: Aus dem Kartenset, mit dem das HZT seine Alumnis vorstellt: Niels Weijer … | |
Es war ein wichtiger Schritt für den zeitgenössischen Tanz und die | |
choreografische Ausbildung in Berlin, als das Hochschulübergreifende | |
Zentrum Tanz, kurz HZT, [1][2006 gegründet und nach einer Pilotphase 2010 | |
institutionell verstetigt wurde]. In den Uferstudios im Wedding sind sie | |
mit anderen Protagonisten der Tanzszene, wie der tanzfabrik, ada Studio und | |
dem tanzbüro Berlin untergebracht. | |
Doch für die [2][Zukunft des HZT] stehe jetzt viel auf dem Spiel, | |
berichtete der künstlerische Leiter Nik Hafner bei einem | |
Hintergrundgespräch in diesem Winter. Mit der derzeitigen finanziellen | |
Ausstattung sei ein Fortführen der bisherigen drei Studiengänge (Bachelor | |
und Master in Choreographie, Master in Solo/Dance/Authorship) kaum möglich. | |
Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, ihrer bisherigen Arbeit | |
Sichtbarkeit zu verleihen und auf ihre Anerkennung in den Netzwerken | |
internationaler Performancekunst zu verweisen, hat das HZT ein Set von | |
Karten vorbereitet: Auf der einen Seite mit Fotografien aus Arbeiten von | |
Alumnis, die ein Studium am HZT abgeschlossen haben, auf der anderen Seite | |
ein Zitat von Kurator:innen, Choreograf:innen, Intendant:innen, die die | |
Qualität der Ausbildung am HZT positiv hervorheben. | |
Tatsächlich sieht man daran, dass man doch mehr der dort ausgebildeten | |
Künstler:innen von Programmen aus dem HAU, den Sophiensælen oder dem | |
Ballhaus Naunynstraße kennt als gedacht. Dazu gehören etwa Kareth Scheffer, | |
[3][Kat Valastur], [4][Raphael Hillebrand], Julian Weber, [5][Sergiu Matis] | |
oder [6][Kasia Wolinska]. 95 Prozent der Absolvent:innen, fasst Nik Hafner | |
zusammen, arbeiten nach der Ausbildung als Künstler:innen weiter. | |
## Halbe Stellen reichen nicht | |
Aber dem HZT fehlt es an vielem. Teil der Ausbildung ist die Betreuung von | |
Produktionen, etwa von Abschlussaufführungen. Der Arbeitsaufwand dafür, | |
sagt Wanda Golonka, Professorin und Leiterin des Studiengangs Choreografie, | |
ist mit einer halben Stelle nicht zu leisten. Die meisten Lehrkräfte jedoch | |
haben nur eine Teilzeitanstellung, viele von ihnen lediglich eine halbe | |
Stelle. Siemüssen also zu viel unbezahlte Arbeit leisten. | |
Viele haben in der Vergangenheit eine halbe Stelle mit der Hoffnung | |
angenommen, daneben ihre eigene künstlerische Arbeit verfolgen zu können, | |
und seien dann frustriert gegangen. Für die Studierenden bedeutete das oft, | |
wie eine Vertreterin bestätigt, mangelnde Kontinuität in der Betreuung. Die | |
Gründungsgeneration des HZT, überlegt Golonka, sozialisiert im | |
künstlerischen Prekariat, habe das noch in Kauf genommen, aber eine neue | |
Generation ist dazu nicht mehr bereit. | |
Auch fehlt es, wie Nik Hafner hinzufügt, an technischem Personal, einem | |
Hausmeister, einem Produktionsbüro. Dass er jetzt die Alarmglocken | |
anstellt, auch mit einer achtseitigen Zeitung, hat seinen Grund: Im | |
Frühjahr 2023 werden die neuen Hochschulverträge mit der Senatsverwaltung | |
für Wissenschaft ausgehandelt. Das HZT sieht einen Mehrbedarf von 630.000 | |
Euro im Jahr, um das bisherige Angebot stabil zu halten. | |
Die Choreografin Kareth Scheffer, die ihre Ausbildung 2013 am HZT | |
abgeschlossen hat und jetzt zum Netzwerk tanzraumberlin gehört, bestätigt: | |
Die Belastungen der Lehrenden seien zu groß, verlangten zu viel Idealismus. | |
In einer Evaluation wurde der Betreuungsschlüssel mit dem anderer | |
Hochschulen für Tanz in Frankfurt, Köln und Essen verglichen: Da steht | |
Berlin am schlechtesten da. | |
Die Schnittstellen zwischen dem HZT und der freien Tanzszene in Berlin sind | |
groß. Das zeigt zum Beispiel das am 5. Januar startende [7][Festival | |
Tanztage] in den Sophiensælen, eine Plattform für den tänzerischen | |
Nachwuchs. Von zehn eingeladenen Künstler:innen stehen vier in | |
Verbindung mit dem HZT, haben dort studiert oder zeigen gar ihre | |
Abschlussarbeit. Ein Studium am HZT ist aber keinesfalls eine Voraussetzung | |
für die Teilnahme an den Tanztagen, das zeigen die sechs anderen Stücke. | |
Gleich am 5. Januar beginnen die Tanztage mit „Bang Bang Bodies“, einer | |
Abschlussarbeit vom HZT der aus Griechenland stammenden Choreografin Xenia | |
Koghilaki. Für sie und Luisa Fernanda Alfonso sind ihre langen Haare, die | |
ihnen ins Gesicht hängen oder die sie in langen Bögen schleudern, wichtiges | |
Ausdrucksmittel in einem Stück, das dem Headbanging nachgeht, bekannt aus | |
der Metal- und Punkszene. Ihre Arbeit ist reduziert, ihre Körper, deren | |
Gesichter man nicht sieht, erscheinen zunehmend fremder. Sie spielen mit | |
der Idee von Wiederholung und Erschöpfung, die Performance wirkt karg und | |
streng. | |
Auch Marga Alfeirao, die den ersten zweiteiligen Abend neben Xenia | |
Koghilaki mit ihrer Choreografie „Lounge“ bestreitet, hat am HZT studiert. | |
Ebenso wie Elyan Tekin, die am 10. Januar mit „To be a fish in a raki | |
bottle“ auftritt. Auch dieses Solo ist von einem Minimalismus geprägt, mit | |
dem sich Bewegungen langsam entfalten und aus sparsamen Material bauen. | |
## Sich den Raum nehmen | |
Tekin ist nicht nur Choreografin, sondern auch Übersetzerin. Als kurdische | |
Frau aufgewachsen, setzt sie mit ihrer eigenen Lebensgeschichte an. Anfangs | |
liegt sie im Dunkeln, das Gesicht von einem Tuch verhüllt und erst | |
allmählich richtet sie sich auf, beginnt zu kreisen, nimmt das Tuch vom | |
Kopf und wickelt es um die Hände. Es lassen sich daran Assoziationen | |
anknüpfen an Bilder von Fesselung und Befreiung, von Einschränkung und vom | |
Nehmen des Raums, alles mit bescheidenen Mitteln erzählt. | |
Liest man sich durch die Programmtexte für die Tanztage, so fällt auf, dass | |
sie Recherche oft in den Vordergrund stellen. Was der Tanz mitteilen will, | |
wie er stets auch soziale Momente der Bewegung untersucht, ist dabei oft | |
auf einem hohen Niveau artikuliert, das in der Anschauung nachzuvollziehen | |
nicht immer so schlüssig ist. | |
Den Tanz in einem breiten gesellschaftspolitischen Kontext zu verorten und | |
historische Bezüge zu benennen, ist sicher eine der Qualitäten, die die | |
Studierenden vom HZT mitbringen. Aber in der ästhetischen Umsetzung bleibt | |
da auch mancher Anspruch auf der Strecke. Nun gut, zum Ausprobieren ist ein | |
Nachwuchsfestival ja da. | |
## Schlaf und Traum werden eine Rolle spielen | |
Mateusz Szymanówka ist der künstlerische Leiter der Tanztage und wird auf | |
den Postkarten des HZT mit einem Statement zitiert: „Die Choreograph:innen, | |
die am HZT ihren Abschluss gemacht haben, machen etwa die Hälfte unseres | |
jährlichen Festivals Tanztage in Berlin aus, was ein klarer Beweis für die | |
Qualität der Ausbildung ist.“ Szymanówka kennt die ökonomische Situation | |
des HZT und sieht die Mängel als Teil eines größeren Problems: die | |
Infrastruktur für den Tanznachwuchs überhaupt befindet sich in einer | |
prekären Lage. Die Tanztage selbst arbeiten seit Jahren mit einem kleinen | |
Budget. | |
Den Masterstudiengang Choreografie am HZT hat die spanisch-argentinische | |
Tänzerin Rocio Marana absolviert. Sie beschäftigt sich mit dem Malambo, | |
einem argentinischen Tanz der Gauchos, in der Tradition von Männern | |
ausgeführt. Aber wo blieben die Frauen? Gab es sie nicht oder fehlen nur | |
die Zeugnisse davon? Verändert sich der Malambo, wenn Frauen ihn tanzen, | |
verändern sie sich mit seinen stampfenden und steppenden Schritten? Dieses | |
Feld lotet sie in ihrem Stück „Matria Motherland“ aus, das ebenfalls zu den | |
Tanztagen kommt. | |
Die haben in diesem Jahr thematisch einen Schwerpunkt: Die | |
Dringlichkeitskultur, die mit täglicher Reizüberflutung und chronischer | |
Müdigkeit einhergeht. Darauf antwortet in der Nacht vom 7. auf den 8. | |
Januar Parisa Madani mit einer Performance, die Matten und Kissen für das | |
Publikum ausbreitet, um in der Horizontalen zu beginnen. Schlaf und Traum | |
werden eine Rolle spielen. Tja, die Tanztage gleichen eben auch einer | |
Wundertüte, mal sehen, was darin ist. | |
5 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!372727&s=Katrin+Bettina+M%C3%BCller+HZT&SuchRahmen=P… | |
[2] https://www.hzt-berlin.de/ | |
[3] /Archiv-Suche/!5550675&s=Kat+Valastur&SuchRahmen=Print/ | |
[4] /Ballhaus-Naunynstrasse-in-Berlin/!5625038 | |
[5] /Tanzszene-Berlin-in-der-Corona-Zeit/!5688586 | |
[6] /Choeografin-Kasia-Wolinska/!5869823 | |
[7] /Tanztage-Berlin-2022/!5826925 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Tanz | |
Kultur in Berlin | |
Zeitgenössischer Tanz | |
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