| # taz.de -- Wissenschaft zu Weihnachtsmythen: Der Löffel im Sekt kann weg | |
| > Schmecken Biogänse besser? Gibt es mehr Familienkrach zu Weihnachten? Ums | |
| > Fest der Feste ranken sich viele Mythen. Das sagt die Wissenschaft dazu. | |
| Bild: Ist es nur ein Mythos? Oder ist es der Weihnachtsmann? | |
| Berlin taz | Weihnachten steht vor der Tür – für viele ein Graus: | |
| Konsumterror, Treffen mit unliebsamen Verwandten, stressige Autofahrten ins | |
| deutsche Hinterland, nicht enden wollende Völlerei – und außerdem kann | |
| jedes falsches Wort die Stimmung zum Kippen bringen. Aber wird an | |
| Weihnachten wirklich so viel gestritten? Gehört das Weihnachtsgelage | |
| vielleicht der Vergangenheit an? Und braucht es tatsächlich einen Schnaps, | |
| um das alles zu verdauen? Wir haben diese und ein paar weitere | |
| [1][Weihnachtsmythen] wissenschaftlich gecheckt – und wo nötig, widerlegt. | |
| Hilft ein silberner Löffel im Sekt? | |
| Das ist ein gern erzähltes Märchen, Verfasser unbekannt. In einer | |
| geschlossenen Flasche ist das perlende Kohlendioxid nämlich im Sekt gelöst, | |
| da der Korken einen Gegendruck erzeugt. Ist „plopp“ der Gegendruck weg, | |
| entweicht das Gas relativ schnell. Da hilft auch kein Silberlöffelchen im | |
| Flaschenhals. „Das Kohlendioxid rauscht voll Karacho durch die Öffnung am | |
| Löffel vorbei“, sagt [2][Thomas Vilgis], der Lebensmittelphysiker von der | |
| Gießener Justus-Liebig-Universität. Auf jeden Fall sollte man einen | |
| geöffneten Sekt aber im Kühlschrank aufbewahren, denn niedrige Temperaturen | |
| halten das Gas besser in Lösung, Kohlensäure entweicht langsamer. Zudem | |
| hilft: ein Spannverschluss. „Damit hält sich der Schampus so lala für einen | |
| Tag im Kühlschrank“, meint Vilgis. | |
| Schmeckt die Bioweihnachtsgans aus der Region besser als die Turbogans aus | |
| Osteuropa? | |
| Ja, weil sie ein [3][besseres Gänseleben] hatte. Tiere aus Osteuropa haben | |
| meist eine kürzere Mastdauer und weniger Auslauf. Teils werden sie lebendig | |
| gerupft oder für Stopfleber gemästet, was nicht gekennzeichnet werden muss. | |
| In Deutschland ist dies verboten, die Haltung muss jedoch erkennbar sein. | |
| Die Mastdauer ist hierzulande auch generell länger. Federvieh mit | |
| Biosiegel oder aus „Freilandhaltung“ wird besonders langsam gepäppelt und | |
| hat viel Bewegungsfreiheit. So setzt es weniger Fett an und das Fleisch | |
| wird fein marmoriert. Auch die artgerechte Ernährung auf der Weide verleiht | |
| der Gänsekeule in der Regel ein besseres Aroma. | |
| Familien streiten öfter an Weihnachten als während des Jahres. | |
| Wahrscheinlich ja. Zahlen dazu gibt es nicht, aber viele Faktoren tragen | |
| dazu bei, dass an Weihnachten öfter mal die Fetzen fliegen. Schon alleine, | |
| weil in nicht wenigen Familien nur selten im Jahr so viele Mitglieder | |
| zusammen kommen. „Viel Ungesagtes hat sich über das Jahr angestaut“, sagt | |
| [4][Marcel Schütz], Soziologieporfessor an der Hamburger Northern Business | |
| School. „Dann die vielen Vorbereitungen vor Weihnachten und die hohen | |
| Erwartungen an die Harmonie.“ Alles soll perfekt sein. Gleichzeitig | |
| herrscht für kurze Zeit eine relativ strikte soziale Anordnung mit Regeln | |
| und Normen, die vor allem Jüngere hinterfragen. Menschen, die in ihren | |
| Heimatort zurückgehen, sind zudem vielleicht genervt von den vielen | |
| Besuchen bei Verwandten und Nachbarn. „Ihnen fällt die Decke auf den Kopf, | |
| die Reizbarkeit steigt“, sagt Schütz. Das alles kann leicht dazu führen, | |
| dass aus Banalitäten ein Streit entsteht. Ein trauriger Hinweis auf das | |
| erhöhte Stressniveau an Weihnachten ist auch die Tatsache, dass über die | |
| Feststage die Fälle häuslicher Gewalt ansteigen. | |
| Rotkohl hat keine Nährstoffe mehr, da er zerkocht ist. | |
| Das kommt auf die Zubereitung an. In Kohlsorten findet sich Ascorbigen, das | |
| sich beim Kochen spaltet und Vitamin C freilässt. Teils findet sich also | |
| mehr Vitamin C in gekochtem Kohl als in rohem. Allerdings sollte man nun | |
| das Ganze nicht zu lange köcheln, da das frei gewordene Vitamin C sonst | |
| wieder inaktiviert wird. „Die Zugabe von Rotwein oder Essig verzögert den | |
| Abbau etwas“, sagt Thomas Vilgis, Experte in Sachen Lebensmittelphysik. | |
| „Ein weiterer Trick ist, vorher kurz bei 60 bis 70 Grad zu blanchieren, | |
| denn das inaktiviert Enzyme, die den Vitamin-C-Abbau vorantreiben.“ 20 | |
| Minuten Garzeit sollten es dann maximal sein. Hitze macht Kohl auch besser | |
| verdaulich. Zudem werden phenolische Substanzen frei, die gegen Krebs feien | |
| sollen. Die Mineralstoffe im Rotkohl werden beim Kochen ins Kochwasser | |
| gespült, darum den Kohl lieber in wenig Flüssigkeit garen und diese | |
| mitessen. Der Ballaststoffgehalt ist bei beiden Varianten gleich und kann | |
| sich sehen lassen. | |
| Essen wir wirklich mehr an Weihnachten? | |
| Ja, die meisten Menschen schon. Eine Übersichtsstudie aus dem Jahr 2017 in | |
| verschiedenen Industrieländern zeigte, dass von Ende November bis Anfang | |
| Januar die Menschen im Schnitt 400 bis 900 Gramm auf den Hüften zulegten. | |
| Gerade über die Festtage ist die Gefahr des Andickens besonders hoch. „Eine | |
| Ursache kann der sogenannte ‚Social facilitation‘-Effekt sein“, sagt | |
| Nanette Ströbele-Benschop, Ernährungspsychologin an der Universität | |
| Hohenheim. „Je mehr Personen zusammen essen, desto länger ist die | |
| Mahlzeitendauer und desto mehr wird konsumiert.“ An Weihnachten werde zudem | |
| meistens extra viel und extra gut gekocht. Auch Alkohol, der ebenso | |
| Kalorien liefert, fließt an Feiertagen mehr als sonst. | |
| Macht Schokolade glücklich? | |
| Das stimmt. Allerdings sind nicht die theoretisch stimmungsaufhellenden | |
| Inhaltsstoffe wie Tryptophan oder Theobromin aus der Kakaobohne dafür | |
| verantwortlich. Diese wirken zwar auf das Gehirn, finden sich aber in der | |
| Schoki nicht in ausreichenden Mengen, schon gar nicht in der beliebten | |
| Milchschokolade. Der Haupteffekt ist hedonistischer Art: „Schokolade hat | |
| sensorische Eigenschaften, wie den Schmelz oder die Süße, die für viele | |
| Menschen sehr angenehm und genussvoll sind“, sagt die Ernährungspsychologin | |
| Nanette Ströbele-Benschop. Kakaobutter schmilzt bei Körpertemperatur, | |
| Zucker signalisiert „Kalorien!“. Das aktiviert das Belohnungssystem im | |
| Gehirn. Weiter könnte die Prägung in der Kindheit eine Rolle spielen. | |
| Damals haben viele gelernt, dass Süßigkeiten für Belohnung stehen. | |
| Hilft Schnaps beim Verdauen? | |
| Das ist ein Mythos. Alkohol bremst die Magenentleerung sogar etwas. Aber: | |
| Prozentiges vermittelt kurzfristig Entspannung, da Alkohol die Blutgefäße | |
| weitet und die Muskelzellen, auch im Magen, locker macht. Bei einem | |
| Bitterschnaps sind es dann auch die Kräuter, die die Produktion von | |
| Magensäure mit ihren eiweißspaltenden Enzymen ankurbeln und daher das Essen | |
| besser zerlegt wird. Man fühlt sich weniger voll. Durch Bitterstoffe wird | |
| auch mehr Gallensäure gebildet und in den Dünndarm geschickt, um Fette | |
| abzubauen. Besser als Alkohol sind aber Bitterstoffe aus einem Espresso. | |
| Auch Kräuter (als Tee) und Gewürze wirken verdauungsfördernd. Beifuß im | |
| Gänsebraten oder Majoran in Würstchen schmecken darum nicht nur gut, | |
| sondern lassen das Völlegefühl gar nicht so leicht aufkommen. | |
| Das schöne Weihnachtsfestgeschirr lässt das Essen besser schmecken. | |
| Kerzenschein, Dekozweige, Goldrandgeschirr, Silberbesteck und | |
| Kristallgläser sind nicht nur einfach schön anzusehen. „Studien zufolge | |
| kann ein positives, einladendes Ambiente den Genuss steigern“, sagt die | |
| Ernährungspsychologin Nanette Ströbele-Benschop. Speisen schmecken von | |
| weißen Tellern zum Beispiel süßer und intensiver als auf einem schwarzen | |
| Teller serviert. Auch rotes Geschirr ist eher appetithemmend. Warum Farben | |
| offenbar psychologisch wirken, wird noch spekuliert. So könnten | |
| evolutionsbiologische Erfahrungen eine Rolle spielen. Rot steht eher für | |
| Alarm, rote Beeren können schließlich sehr giftig sein. Es lohnt sich | |
| zudem, das Silberbesteck hervorzukramen: Echtsilber nimmt schnell die | |
| Temperatur der Speisen an, was die Geschmackswahrnehmung steigert. | |
| Die Weihnachtsfestfamilie verkleinert sich stetig. | |
| Dazu gibt es keine Zahlen. Aber Soziologe Marcel Schütz meint: „Es ist | |
| sicher so, dass in der Vergangenheit durch traditionellere Strukturen und | |
| Gewohnheiten in der Familie die Weihnachtsfestivitäten größer ausfielen.“ | |
| Die klassische Familie sei zwar auch an Weihnachten noch ziemlich oft | |
| vertreten, aber eben nicht mehr alle Tanten, Neffen und Cousins. Laut | |
| Schütz wird auf dem Land noch etwas konservativer gefeiert, also mit der | |
| Großfamilie und nach bestimmten Ritualen, während divers-multikulturell | |
| beeinflusste urbane Milieus mit Traditionen brechen und auch mal Freunde | |
| zur Familienfeier mitgebracht werden. | |
| 25 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kathrin Burger | |
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