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# taz.de -- Plastikmüll in Israel: Lobby für Wegwerfgeschirr
> Eine Einwegsteuer hatte Israels gigantischen Plastikverbrauch reduziert.
> Die kommende Regierung dürfte sie wieder einkassieren.
Bild: Ein Tag am Meer kann so schön sein, wenn der Sand unbelastet ist: Strand…
Tel Aviv taz | Man sieht und spürt sie nicht, wenn man mit den Finger durch
den Sand am Strand von Tel Aviv gleitet. Abgesehen von ein paar angespülten
Plastikflaschen oder Tüten wirken die israelischen Strände vergleichsweise
sauber. Doch eine gerade im Marine Pollution Bulletin veröffentlichte
Studie eines Forschungsteams der Universität Tel Aviv ergibt: 18.000
[1][Mikropartikel Plastik] stecken durchschnittlich in einem Kubikmeter
Sand am Strand Tel Avivs, also Teilchen aus Plastik, die höchstens fünf
Millimeter groß sind. Damit ist der Tel Aviver Strand – neben dem Ufer der
nördlicher gelegenen Stadt Chadera – am stärksten von der Verschmutzung
betroffen.
Es ist die erste Studie, die zu Mikroplastik an israelischen Stränden
durchgeführt wurde. Die Ergebnisse seien alarmierend, so das Forschungsteam
um Ines Zucker, nicht nur in Chadera und Tel Aviv: Im Vergleich zu anderen
Ländern der Levante sei das Gewicht der Mikropartikel pro Kubikmeter in
Israel wesentlich höher, erklärt die Umweltingenieurin Zucker.
Die Auswirkungen, die Mikroplastik auf den Menschen und die Natur hat, sind
noch nicht bis ins Letzte erforscht. Doch Mikroplastik kann sich
beispielsweise in Meerestieren ansammeln und schließlich – etwa beim
Verzehr von Fisch – auch in den menschlichen Organismus eindringen und ihn
schädigen.
## Toxisches Mikroplastik
Ein weiteres Problem: Mikroplastik kann im Wasser wie ein Magnet wirken,
das weitere verschmutzende Materialien wie Chemikalien anzieht und an seine
Oberfläche bindet.
Das hat das Team um Ines Zucker in einer anderen Studie herausgefunden, die
Anfang des Jahres veröffentlicht wurde. „Selbst eine sehr geringe
Konzentration von Umweltschadstoffen, die für den Menschen ungiftig wäre,
führt in dem Moment, in dem es an Mikroplastik gebunden ist, zu einer
erheblichen Erhöhung der Toxizität“, sagt Zucker. Die Forscher*innen
gehen von einer Erhöhung des Grades der Giftigkeit um bis zum Zehnfachen
aus. Nehmen Menschen die kontaminierten Lebensmittel und Getränke auf, so
könnte das schwerwiegende Folgen haben.
Verantwortlich für die Verschmutzung an den israelischen Stränden sind in
erster Linie Einweggeschirr und Verpackungsmüll – und davon gibt es in
Israel reichlich. Bis 2021 war der Verbrauch von Einweggeschirr in Israel
der höchste der Welt, hat die israelische Nichtregierungsorganisation Adam
Teva weDin – auf Deutsch: Mensch Natur und Recht – in Studien errechnet.
Laut einer Studie, die das Umweltschutzministerium in Auftrag gegeben hat,
verwenden Israelis im Durchschnitt 7,5 Kilogramm Einwegplastik pro Person
und Jahr – fünfmal mehr als im Schnitt in der Europäischen Union.
Im vergangenen Jahr richtete das ideologisch breit aufgestellte israelische
Regierungsbündnis mit der linken Umweltschutzministerin Tamar Zandberg eine
Steuer auf Einweggeschirr ein, im Versuch, den Plastikmüllberg zu
verkleinern: „Wir ertrinken in Einwegplastik und wir müssen alle den
problematischen Einfluss sehen, den diese auf die Sauberkeit der Erde und
unsere Lebensqualität hat“, sagte die Umweltschutzministerin Zandberg im
Juli 2021, als sie die Steuer ankündigte.
## Bequemes Plastikgeschirr
Die Maßnahme zeigte Wirkung: Bisher soll der Verbrauch nach Einführung der
Steuer laut Medienberichten um 60 Prozent gesunken sein. Damit würde Israel
allerdings noch immer weltweit an zweiter Stelle stehen – nach Hongkong,
das dann die Liste anführen würde, und gefolgt von den USA.
Doch die Tage dieser Steuer könnten gezählt sein: In den nächsten Tagen
[2][soll die neue Regierung unter Benjamin Netanjahu vorgestellt werden].
Sie ist ein Bündnis aus extrem rechten und religiösen Parteien, und
politische Beobachter*innen gehen davon aus, dass die neue Regierung
die Steuer auf Einwegplastik wieder zurücknehmen wird. Der Zusammenhang:
Einwegplastikgeschirr wird nicht nur – aber in besonderem Maße – von
ultraorthodoxen Jüdinnen und Juden verwendet; und deren Community wird mit
einigen Ministern in der Regierung vertreten sein.
Der hohe Verbrauch von Einweggeschirr in den religiösen Gemeinschaften wird
vor allem auf die hohe Anzahl von Kindern zurückgeführt und dem damit
verbundenen Aufwand, nach jedem Essen, zumal am Schabbat, abzuspülen. Die
Verantwortung für den hohen Verbrauch von Einwegplastik allein den
Ultraorthodoxen zuzuweisen, wäre allerdings verkürzt: Auch im Rest der
Gesellschaft ist der Gebrauch von Einwegplastik eine
Selbstverständlichkeit.
Doch nicht nur der hohe Verbrauch begünstigt das Aufkommen von Mikroplastik
an den Stränden. Es geht auch um die Abfallentsorgung: Laut der grünennahen
Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv werden in Israel knapp 80 Prozent des
kommunalen Müllaufkommens nicht in Recyclinghöfe gebracht, sondern auf
Deponien gelagert, die sich immer weiter ausbreiten.
Neben Gestank- und Staubentwicklung [3][kann es zu
Methangasemissionen kommen]. Die Gefahr, dass Boden und Grundwasser
kontaminiert werden, steigt. Und noch etwas: Einwegutensilien machen 6
Prozent aller Plastikabfälle in Israel aus, jedoch 32 Prozent aller Abfälle
an den Stränden und im Freigelände. „Gegen Mikroplastik hilft“, fasst
Zucker zusammen: „Einwegplastik zu reduzieren, die Umwelt hinter uns sauber
zurückzulassen.“
15 Dec 2022
## LINKS
[1] /OECD-warnt-vor-Plastikmuell/!5858842
[2] /Koalitionsverhandlungen-in-Jerusalem/!5898553
[3] /Klimagefahr-durch-Mikroplastik/!5520862
## AUTOREN
Judith Poppe
## TAGS
Israel
Plastikmüll
Schwerpunkt Klimawandel
Kreislaufwirtschaft
Schwerpunkt Klimawandel
Plastikmüll
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