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# taz.de -- Nach Geiselnahme des Halle-Attentäters: Keine Entwarnung
> Der rechtsextreme Halle-Attentäter hatte zwei Geiseln in der JVA
> genommen, bevor er überwältigt wurde. Doch Gefahr geht nicht nur von
> solchen Taten aus.
Bild: Ort der Geiselnahme: die JVA Burg gilt als modernstes Hochsicherheitsgef�…
Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde der rechtsextreme [1][Attentäter von
Halle zur Höchststrafe verurteilt]: lebenslange Freiheitsstrafe mit
anschließender Sicherheitsverwahrung. Das Urteil sollte den Betroffenen der
Tat die Gewissheit geben: Dieser Mensch wird auf Lebzeiten zwar eine Gefahr
darstellen, doch diese Gefahr ist für alle Zeiten hinter Gittern gebannt.
Diese Gewissheit bekam an diesem Dienstag erneut Risse. Am frühen Morgen
wurde bekannt, dass es in der Justizvollzugsanstalt Burg in Sachsen-Anhalt
[2][eine Geiselnahme gegeben habe]. Laut ersten Erkenntnissen habe eben
dieser in Sicherheit verwahrte Attentäter gegen 21 Uhr zwei Mitarbeiter des
Gefängnisses als Geiseln genommen und dazu gebracht, mehrere Türen zu
öffnen. Sein Ziel war es, aus dem Gefängnis zu entkommen.
Der Täter soll jedoch von Justizbeamten überwältigt worden sein, die
Geiseln seien frei und zumindest körperlich unversehrt. Heißt das
Entwarnung?
Mitnichten. Auch wenn die Gefahr zunächst gebannt ist, bleiben Fragen: Wie
konnte das passieren? Handelte der Attentäter tatsächlich, wie schon bei
dem Attentat, mit einer selbstgebauten Schusswaffe? Und welche Konsequenzen
wird die Geiselnahme haben?
## Wenig Antworten
Eine Presskonferenz, die am Dienstag nach der Geiselnahme stattfand, gab
kaum Antworten – sie warf eher neue Fragen auf. Das Landeskriminalamt
ermittle nun, was genau geschehen sei, hieß es nur.
Die Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) sagte: „Ich bin betroffen zu
sehen, dass der Gefangene seine Grundhaltung offenbar keineswegs geändert
hat.“
Woher kommt diese Betroffenheit? Sie ist kaum zu verstehen, blickt man auf
bisherige Versuche des Attentäters, seine antisemitische, rassistische,
misogyne Grundhaltung zum Ausdruck zu bringen.
## Überlebende traumatisiert
Zur Erinnerung: Der Attentäter hatte am 9. Oktober 2019, an Yom Kippur, dem
höchsten jüdischen Feiertag, die Synagoge in Halle mit selbst gebauten
Waffen zu stürmen versucht und sich dabei für Gleichgesinnte gefilmt. Als
er nicht in die Synagoge gelangen konnte, erschoss er Jana L. auf der
Straße vor der Synagoge auf niederträchtigste Weise. Mit seinem Auto fuhr
der Attentäter weiter zum nahegelegenen Kiez-Döner – einem Ziel, das in
sein rassistisches Weltbild passte. Im Laden tötete er Kevin S. Die Polizei
vor dem Laden konnte den Attentäter nicht an der Flucht und dem Angriff auf
weitere Personen hindern.
Bis er schließlich festgenommen werden konnte, hatte der Attentäter zwei
Menschen erschossen, weitere verletzt und Dutzende traumatisiert.
Noch bevor der Prozess gegen ihn begann, unternahm er den ersten
Fluchtversuch, damals noch aus der JVA Halle. Es gelang ihm, unbeobachtet
einen über drei Meter hohen Zaun zu überwinden und fünf Minuten nach einem
weiteren Ausgang zu suchen. Der Vorfall wurde vorerst nicht gemeldet.
Personelle Konsequenzen sind nicht bekannt.
## Gefahr für die Öffentlichkeiten
Im Oktober 2020, während der Attentäter den Überlebenden des Attentats im
Gericht gegenübersaß, erhielt eine der Nebenklägerinnen antisemitische und
misogyne Hassnachrichten auf Facebook und Instagram. Inzwischen konnte
ermittelt werden, dass die Verfasserinnen mit dem Täter in Briefkontakt
standen.
Im September 2021, kaum ein Jahr nach seiner Verurteilung, wurde bekannt,
dass eine Polizistin vom Dezernat Dessau-Roßlau über Monate Liebesbriefe an
ihn geschrieben hatte. Darin soll sie Sympathien für seine Tat ausgedrückt
haben. Die Polizistin wurde suspendiert.
Im Oktober 2021 wurde der nächste Briefe abgefangen: Darin soll ein zweiter
Brief versteckt gewesen sein mit einer Skizze zum Bombenbau für potenzielle
Nachahmer:innen. Die Linke stellte damals im Rechtsausschuss des
Justizministeriums die Frage nach der Gefahr für die Öffentlichkeit. Diese
Frage wurde nicht geklärt.
## Unversehrtheit verletzen
Wer den Täter einmal erlebt hat, mag ihn für impulsiv halten. So soll er
sich auch in der JVA verhalten haben. Doch die Summe der Geschehnisse
sollte vor allem klar machen, dass er ein klares Ziel hat: die Verletzung
der Unversehrtheit von Menschen, die seinem rechtsextremen Weltbild nicht
entsprechen.
Die Hoffnung, eben dieser Menschen, vor dem Täter sicher zu sein, wird mit
jeder Tat auf ein Neues zerstört. Nicht nur durch den Täter selbst, sondern
auch durch Sicherheitsbehörden, die all das immer wieder zulassen. Um das
zu ändern, müssen alle Beteiligten begreifen, was Betroffene und
Beobachter*innen von rechtsextremen Gewalttaten seit jeher sagen: Die
Gefahr liegt nicht nur in diesem einen Täter, sondern in einer Ideologie,
die er lebt und befeuert.
14 Dec 2022
## LINKS
[1] /Urteil-im-Halle-Prozess/!5735199
[2] /Nach-lebenslanger-Haft-fuer-Stephan-B/!5902538
## AUTOREN
Pia Stendera
## TAGS
Halle
Antisemitismus
Rechtsextremismus
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Schwerpunkt Rechter Terror
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