| # taz.de -- WM-Gefühle in der Ukraine: Fußball unter Beschuss | |
| > In Zeiten ständiger Stromausfälle ist die WM kaum Thema. Die Idee des | |
| > Fifa-Chefs für eine Waffenruhe hat das Turnier zurück ins Bewusstsein | |
| > gebracht. | |
| Bild: Trauriger Michailo Mudryk: Mit der Niederlage gegen Wales im Juni enden d… | |
| Luzk taz | Die offene Aggression Russlands, die fortschreitende Verwüstung | |
| des Landes haben das Interesse an Sport und damit am Fußball immer mehr | |
| sinken lassen. Sport interessiert beinahe nur noch dann, wenn prominente | |
| Athleten ihre Unterstützung für die Ukraine zum Ausdruck bringen oder es | |
| neue Meldungen zum Ausschluss russischer oder belarussischer Verbände aus | |
| dem internationalen Sportgeschehen gibt. | |
| Für die WM in Katar ist die ukrainische Auswahl eh nicht qualifiziert. Bei | |
| den Playoffs im Juni folgte auf einen emotionalen Sieg gegen Schottland die | |
| bittere Niederlage gegen Wales. Nun wird die Ukraine während der WM weiter | |
| ihre eigene Meisterschaft ausspielen. Die war im August trotz russischer | |
| Bomben und Raketen wieder aufgenommen worden. | |
| Und die WM? Die massiven Raketenangriffe der vergangenen anderthalb Monate | |
| auf die Infrastruktur des Landes haben das Interesse am Turnier in Katar | |
| nicht gerade befördert. Mehr als ein Drittel der Stromerzeugungskapazität | |
| des Landes sind dabei zerstört worden. Die Stromversorgung von Hunderten | |
| Städten war und ist gefährdet. | |
| Überhaupt so etwas wie WM-Stimmung mitzubekommen, ist so schwierig, wie im | |
| Novembernebel in der Ukraine den Durchblick zu behalten. Der | |
| öffentlich-rechtliche Sender ist im Besitz der Übertragungsrechte, aber die | |
| Ukrainer haben seit Februar, als in den Städten Ausgangssperren verhängt | |
| wurden, vergessen, wie es sich anfühlt, Spiele in Kneipen zu verfolgen. | |
| ## Fehlende Fernsehpräsenz | |
| Außerdem fehlt ein echter Sportkanal in der Ukraine. So gibt es auch keine | |
| thematischen Fußballsendungen, in denen die WM-Spiele ausführlich | |
| diskutiert werden. Der einzige derartige Sender wurde einen Monat nach | |
| Kriegsbeginn vom [1][Oligarchen Rinat Achmetow, dem Eigentümer von Shakhtar | |
| Donezk], geschlossen. Diskussionen, Analysen und Interviews zu | |
| Fußballthemen rezipieren die Ukrainer nun nur noch in sozialen Netzwerken | |
| und thematischen Kanälen auf Youtube. | |
| „Ohne Infantino und seine Äußerungen hätte ich vergessen, dass die WM an | |
| diesem Wochenende in Katar beginnt“, so lauteten viele Posts von Ukrainern | |
| in den sozialen Netzwerken vor dem Start des Turniers. Der Fifa-Präsident | |
| hatte während des G20-Gipfels in Bali zu einer Waffenruhe in der Ukraine | |
| während der WM aufgerufen. Er plädierte für einen Waffenstillstand oder | |
| zumindest für die Einrichtung humanitärer Korridore, die seiner Meinung | |
| nach zu einer Wiederaufnahme des Dialogs als erstem Schritt zum Frieden | |
| führen könnten.“ | |
| Infantinos Idee hat in der Ukraine große Wut ausgelöst. Der Fifa-Boss steht | |
| wegen seiner herzlichen Beziehungen zu Russlands Staatschef Wladimir Putin, | |
| die er rund um die WM 2018 in Russland besonders gepflegt hat, schon lange | |
| in der Kritik. Der ehemalige Tennisprofi Serhiy Stachovsky, der nach dem | |
| Beginn der russischen Angriffe in die ukrainische Armee eingetreten ist, | |
| hatte nun eine ganz spezielle Idee: Infantino solle doch den Iran | |
| auffordern, im Monat der Fußballweltmeisterschaft keine Todesurteile zu | |
| vollstrecken. „Dies wird eine einzigartige Gelegenheit für die iranische | |
| Führung sein, ‚Menschlichkeit‘ zu demonstrieren“, [2][twitterte | |
| Stachovsky]. | |
| Boykottdiskussion gibt es in der Ukraine nicht. Aber das Vertrauen in die | |
| Fifa war schon lange vor der WM im Keller. In der Ukraine wird vor allem | |
| die fadenscheinige Reaktion der Fifa auf den von den Russen entfesselten | |
| Krieg kritisiert, aber auch der Verkauf der Übertragungsrechte an die | |
| Russen sowie die Tatsache, dass Russisch beim Fifa-Kongress im März in Doha | |
| den Status einer offiziellen Konferenzsprache erhalten hat. | |
| Aleksandr Saschko, Chefredakteur des populären Sportportals Tribuna, stellt | |
| auch fest, dass die Wut auf die WM-Vergabe nach Katar immer größer wurde, | |
| je mehr Fakten über das Turnier bekannt wurden. Die Kritik beschränkt sich | |
| meist auf die Fifa, die Korruption im Zusammenhang mit der WM-Vergabe und | |
| den Termin mitten im europäischen Winter, der Vereine und Verbände vor | |
| Probleme stellt. Die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen und die | |
| Todesfälle unter den Arbeitern, die die WM-Infrastruktur bauten, spielen | |
| dabei nur eine untergeordnete Rolle. | |
| 20 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Fussball-in-der-Ukraine/!5886803 | |
| [2] https://twitter.com/Stako_tennis/status/1592463701663440896 | |
| ## AUTOREN | |
| Juri Konkewitsch | |
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