# taz.de -- Finanzierung gesetzlicher Krankenkassen: „Gerechtigkeitslücke“… | |
> Der Finanzierungsschlüssel setzt falsche Anreize für die Krankenkassen, | |
> zeigt eine Studie. Vulnerable Personen sind als Versicherte unattraktiv. | |
Bild: Beinmanschette und Krücken: Kassenleistung | |
BERLIN taz | Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten zu wenig Geld für | |
besonders vulnerable Versichertengruppen, zeigt eine neue [1][Studie der | |
Uni Duisburg-Essen]. Weil die Zuweisungen die Kosten etwa für | |
Pflegebedürftige oder [2][Hartz-IV-Beziehende] nicht decken, haben die | |
Kassen Anreiz, jüngere und gesunde Versicherte vorzuziehen. Jens Martin | |
Hoyer, Vizevorstand der AOK, der die Studie in Auftrag gegeben hat, sprach | |
von einer „Gerechtigkeitslücke“. | |
Das Problem: Die Kassen erhalten das Geld, mit dem sie die Behandlung ihrer | |
Versicherten bezahlen, aus dem Gesundheitsfonds, in den alle Versicherten | |
einzahlen und auch der Staat noch Steuergeld gibt. Wie viel die Kassen dann | |
aus dem Fond für ihre Versicherten bekommen, wird durch den | |
Risikostrukturausgleich (RSA) bestimmt. | |
Indem hierbei Alter, Geschlecht, Wohnort und Krankheitslast der | |
Versicherten berücksichtigt werden, soll sichergestellt werden, dass es für | |
die Kassen finanziell keinen Unterschied macht, wen sie versichern. Für | |
alte Menschen, die oft krank werden, bekommen die Kassen so etwa mehr Geld | |
als für junge, die seltener krank sind und deshalb auch weniger Kosten | |
verursachen. Es geht also nicht darum, wie viel Geld im Gesundheitsfond | |
insgesamt ist und ob das Geld ausreicht, sondern darum, nach welchem | |
Schlüssel das verteilt wird, was da ist. | |
Die neue Studie identifiziert nun als Problem, dass im RSA nicht | |
berücksichtigt wird, ob Versicherte pflegebedürftig sind, Hartz IV | |
erhalten, Erwerbsminderungsrente beziehen oder als Härtefälle gelten. Auch | |
diese Versicherten werden im Schnitt öfter krank, die dadurch höheren | |
Kosten werden den Kassen aber eben nicht ausgeglichen. | |
## Das System steht finanziell unter Druck | |
Bei den Pflegebedürftigen werden den Kassen so nur 86,2 Prozent der im | |
Schnitt entstehenden Kosten ausgeglichen, durchschnittlich 1.685 Euro zu | |
wenig. Bei Erwerbsminderungsrentner*innen sind es 829 Euro und bei | |
Hartz-IV-Beziehenden 123 Euro. „Das setzt Fehlanreize für die Versorgung“, | |
so Studienautor Jürgen Wasem. | |
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linkenfraktion im Bundestag, | |
Kathrin Vogler, sagte der taz: „Wenn es stimmt, dass die aktuellen | |
Regelungen noch immer Kassen bevorteilen, die überwiegend jüngere, | |
finanziell besser gestellte Menschen versichern, dann sollte die | |
Bundesregierung dringend handeln.“ | |
Die Ampel müsse dem Wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des RSA | |
die nötigen Kompetenzen geben, um eine Lösung für das Problem zu finden. | |
Ziel müsse es sein, „dass gesetzliche Krankenkassen, die sich um besonders | |
gesundheitlich benachteiligte Menschen kümmern, davon zumindest keine | |
Nachteile haben“. | |
Die in der neuen Studie identifizierten Probleme sind unabhängig von | |
jüngsten Debatten um höhere Beitragssätze. Das System der gesetzlichen | |
Krankenkassen steht finanziell unter Druck. Für 2023 wird [3][ein Minus von | |
17 Milliarden Euro erwartet]. Um das Loch zu stopfen, hat die | |
Bundesregierung eine Beitragserhöhung und eine Extraabgabe für die | |
Pharmaindustrie beschlossen. Das Gesetz wurde am 20. Oktober im Bundestag | |
verabschiedet. | |
26 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2022/index_25988.html | |
[2] /Abschied-von-Hartz-IV/!5878162 | |
[3] /Gesetzliche-Krankenkassen-in-Geldnot/!5867571 | |
## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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