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# taz.de -- Dokumentarfilm „Rise up“: Ermutigung zum linken Aufstand
> Das Videokollektiv, das mit dem Film „Hamburger Gitter“ über den
> G20-Gipfel bekannt wurde, will Mut machen für eine sozialistische
> Alternative.
Bild: Widerstand weltweit: Der Film bietet jede Menge interessante Bilder aus A…
Bremen taz | Das Ende der Menschheit kann man sich gut vorstellen.Das Ende
des Kapitalismus dagegen kaum. Das ist einer der Kernsätze in „Rise up“. Er
bringt einleuchtend auf den Punkt, warum ein fünfköpfiges Videokollektiv
diesen Film überhaupt gemacht hat: Sie haben die Hoffnung auf eine
sozialistische Veränderung der globalen Gesellschaft noch nicht aufgegeben.
Auch wenn es bis dahin, wie ebenfalls in einem Satz im Film gesagt wird,
„Generationen dauern könnte“. Dies ist also ein parteiischer Film, man kann
ihn auch Propaganda nennen: Er stellt Menschen vor, deren Beispiele andere
dazu inspirieren können, sich aufzulehnen und zu erheben.
Fünf Aktivist*innen, die bei gesellschaftlichen Umbrüchen der jüngeren Zeit
dabei waren, erzählen hier ihre Geschichte. Dass vier von ihnen Frauen sind
sowie der einzige Mann Afroamerikaner, ist sicher kein Zufall, sondern
Methode.
Shahida Issel war eine der Aktivist*innen gegen das Apartheid-Regime in
Südafrika und kämpft immer noch gegen soziale Missstände in ihrem
Heimatland. Camila Cáceres war eine der Organisatorinnen der feministischen
Millionen-Demos und Generalstreiks in Chile, die zu einer neuen Verfassung
führten. Kali Akuno kämpft gegen Rassismus und die soziale Benachteiligung
der Afroamerikaner in Los Angeles. Marlene Sonntag unterstützt die
kurdische Frauenbewegung in den Kriegsgebieten an der Grenze zwischen
Syrien und dem Irak. Und Judith Braband gehörte zur linken Opposition in
der ehemaligen DDR.
## Die Phasen des politischen Widerstands gleichen sich
Die fünf erzählen von ihrem Leben und ihrem politischen Kampf in
Interviewpassagen, die in Kapiteln gebündelt sind, die dem Film einen
einzigen dramaturgischen Bogen geben. Die Phasen des politischen
Widerstands scheinen immer die gleichen zu sein, und im Film werden sie auf
kurze Stichworte reduziert. Es gibt Akte mit den Titeln „Rise“, „Contra�…
„Hope“ – immer schön plakativ in roten Lettern über das Bild geschriebe…
Plakativ soll der Film offensichtlich sein, und die englischen Titel machen
deutlich, dass dies kein Film für Deutschland, sondern für die ganze Welt
sein will.
Die Geschichten der Protagonist*innen fließen ineinander, wenn sie etwa
davon erzählen, unter welchen Gefahren sie sich für ihre Sache eingesetzt
haben, welche Hochgefühle ihre Siege bei ihnen auslösten und wie groß ihre
Enttäuschung war, als es dann doch nicht zu den von ihnen angestrebten
radikalen Veränderungen kam. Details werden weitgehend ausgespart, und die
Filmemacher*innen rechnen mit einem gewissen Vorwissen des Publikums,
das etwa einordnen können sollte, wie die politische Situation im Chile des
Jahres 2019 war oder welchem Druck die Kurd*innen in den Kriegsgebieten
ausgesetzt sind. Die fünf erzählen subjektiv und im Film werden nur kurze
Ausschnitte aus offensichtlich viel längeren Interviews gezeigt.
Eine sechste Protagonistin des Films ist eine Erzählstimme, die zuerst
schildert, wie schwierig es ist, sich einen eigenen politischen Standpunkt
in der digitalen Welt anzueignen und ihn zu behaupten. Später werden ihre
Texte dann immer essayistischer, abstrakter und, böse gesagt,
geschwätziger. Hier kommt den Filmemacher*innen ihr
Mitteilungsbedürfnis in die Quere, und sie glauben, alles noch einmal
durchbuchstabieren zu müssen, was die fünf Aktivistinnen viel konkreter und
pointierter artikuliert haben. Interessant ist auch, dass zwar mit Marco
Heinig ein Mann diese Texte geschrieben hat und es im fünfköpfigen
Kollektiv nur eine Frau gibt, die Erzählstimme aber weiblich ist.
Es wird also viel erzählt in „Rise up“, aber die Filmemacher*innen
waren so klug, die Zahl der „Talking Heads“ so weit wie möglich zu
reduzieren. Die Protagonist*innen werden nur kurz in den
Interviewsituationen und stattdessen in ihrem persönlichem Umfeld gezeigt.
Vor allem aber bietet der Film eine Flut an Bildern, die ihn immer
interessant machen, weil der Bremer Steffen Maurer, der für die Bildregie
verantwortlich ist, ständig mit originellen, meist gut fotografierten
Bildern überrascht. Hier fehlt zwar jede Zuordnung, aber assoziativ
illustrieren die Aufnahmen oft einleuchtend das Gesagte. Maurer bedient
sich dabei an Aufnahmen aus verschiedenen Sammlungen und Archiven, hat aber
auch selbst viel hinter der Kamera gearbeitet. Mit schnellen Schnitten
sollen hier offensichtlich die Sehgewohnheiten eines jungen Publikums
bedient werden. Die Diskrepanz zwischen der textreichen Tonebene und den
Oberflächenreizen auf der Bildebene ist auffällig.
Aber bei den vielen Bildern gibt es dann doch einige, die wie Sinnbilder
wirken und im Gedächtnis bleiben. Etwa eine Einstellung in einem
nächtlichen Fitnessstudio, in dem Kundinnen sich auf Indoor-Bikes
abstrampeln, während man durch das Fenster eine Arbeiterkolonne sieht, die
gerade mit einem ähnlich großen körperlichen Einsatz eben diese Fenster
putzt.
Das Videokollektiv Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard und Luca
Vogel hatte mit ihrem ersten Langfilm „Hamburger Gitter“ über die
Ereignisse rund um den G20-Gipfel in Hamburg mit über 30.000
Zuschauer*innen in den Kinos einen für ihre Verhältnisse großen Erfolg.
Aber viele kritisierten auch die pessimistische Grundstimmung der
Dokumentation. Als Reaktion darauf wollten die vier mit „Rise up“ einen
trotz allem optimistischen Film machen. Viele Linke werden sich ihn wohl
gern ansehen, aber im Film sagen sie es ja selbst: Die Propaganda von
rechts ist noch immer viel effektiver.
31 Oct 2022
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Dokumentarfilm
Aufstand
Dokumentarfilm
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