Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kriegs-PR in der Ukraine: Vorsicht, bissiger Briefträger
> Was den Humor betrifft, ist die Ukraine eskalationsfähiger als Russland.
> Selbst mit einem alten Kommunikationsmittel wie der Briefmarke.
Bild: Die nächste Sonderbriefmarke? – Selfie in Kiew vor dem Motiv der brenn…
Schenkt man dem Präsidenten der ukrainischen Post Glauben, dann ist es
wieder an der Zeit, eine neue patriotische Briefmarke herauszugeben, dieses
Mal mit dem Motiv der brennenden Brücke zwischen der von Russland
annektierten Halbinsel Krim und dem russischen Festland.
Das Ausgabedatum stehe noch nicht fest, schrieb (oder scherzte?) der
Geschäftsführer von Ukrposhta, Igor Smelyansky, kürzlich in seinem
[1][Telegram-Kanal.] Doch in der Innenstadt von Kiew wurden bereits
überlebensgroße Tafeln mit solchen Briefmarken aufgestellt, ein beliebtes
Selfie-Motiv für Bürger*innen.
Gar nicht zum Lachen war bekanntlich die bisherige Reaktion des Kreml auf
die Brücken-Havarie, Bombardements ukrainischer Städte, bei denen
Zivilist*innen ihr Leben lassen mussten. Doch ukrainische Briefmarken
mit patriotischen Motiven sind schon lange eine Begleiterscheinung des
Krieges – Ersttagsbriefe mit dem Motiv [2][„Russisches Kriegschiff – fick
dich“] etwa werden unter Philatelisten derzeit mit rund 160 Euro auf Ebay
gehandelt – und dort läuft auch bereits ein Vorverkauf für die noch gar
nicht endgültig entworfene Krimbrücken-Marke.
Den Anfang hatte besagtes russisches Kriegsschiff gemacht. Die Briefmarke
zeigt den im Frühjahr vor Odessa versenkten Raketenkreuzer „Moskwa“ und die
oben zitierte Aufschrift, ein überliefertes Funk-Zitat aus den ersten Tagen
des Krieges, als die „Moskwa“ vor der ukrainischen, strategisch wichtigen
Schlangeninsel aufgekreuzt war.
Außerdem abgebildet ist ein ukrainischer Soldat, der dem Schiff einen
Stinkefinger zeigt. Das Motiv wurde aus über 500 Vorschlägen ausgewählt, am
Ende hatte sich eine Illustration des Zeichners Boris Groh durchgesetzt.
Eine gewisse Berühmtheit erlangte auch jene Briefmarke, die einen Traktor
dabei zeigt, wie er einen russischen Panzer abschleppt. Versehen ist sie
mit der Aufschrift: „Guten Abend, wir sind aus der Ukraine“, ein
informeller Militärgruß, der häufig auch in patriotischen Onlinepostings
Verwendung findet.
Hundertausende Ukrainer*innen hatten über fünf verschiedene Designs für
dieses in normalen Zeiten doch etwas schräg anmutende Postwertzeichen
abgestimmt. Und als die Bögen mit den gedruckten Marken, jeweils sechs
Stück, schließlich in den Postämtern erhältlich waren, bildeten sich
Schlangen vor deren Schaltern.
## Tier- statt Personenkult
Aber was sind schon normale Zeiten: Während Briefmarken üblicherweise zur
wohlgefälligen und natürlich auch ein bisschen langweiligen
Selbstdarstellung von Staaten genutzt werden – statt [3][zerstörter
Brücken] feiert man da lieber das hundertjährige Bestehen eigener Brücken
–, scheinen sie in der Ukraine zu einem festen Bestandteil des durch den
russischen Angriffskrieg erst richtig in Gang gekommen Prozesses des
Nation-Building zu werden.
Und zu einem Propagandamittel, das die Erfolge der eigenen Armee und den
Durchhaltewillen der Bevölkerung beschwört. Neu daran ist vor allem, dass
hier nicht verbissen, sondern humorvoll vorgegangen wird – erneut zeigt die
Ukraine hier ihre Überlegenheit auf dem Feld der Public Relations, vor
allem natürlich im direkten Vergleich zu dem verlässlich auf das Reich des
Bösen abonnierten Russland.
Personenkult wie aus dem zuletzt so vertraut wirkenden 20. Jahrhundert
findet man (noch?) nicht im Sortiment der ukrainischen Post, stattdessen
feierte [4][Präsident Wolodimir Selenski] gemeinsam mit seinem Post-Chef
Smelyansky die Einführung einer Briefmarke, die das Antlitz eines Hundes
zeigt – wenn auch eines heldenhaften: Es handelt sich dabei um
„[5][Patron]“, einen Jack-Russell-Terrier und Minensuchhund, der nationale
Berühmtheit erlangt hat und dem im Beisein des kanadischen Premierministers
Trudeau auch bereits ein Orden von Selenski verliehen worden ist.
Und „im Westen“? Nichts Neues für Philatelisten, außer dass die Queen
allmählich von den Briefmarken des Vereinigten Königreichs wird
verschwinden müssen, um Charles Platz zu machen.
Keine guten Nachrichten für das dortige Postwesen. Wenn es auch in Europa
wieder Aufschwung erhalten könnte: In Zeiten, in denen man uns rät,
Taschenlampen und batteriebetriebene Radios vorzuhalten, kann auch ein
Vorrat an Briefmarken nicht schaden.
16 Oct 2022
## LINKS
[1] https://t.me/igorsmelyansky/1498
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Russisches_Kriegsschiff,_f***_dich_%E2%80%A6!
[3] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5886554
[4] /Biografie-ueber-Wolodimir-Selenski/!5879231
[5] https://www.instagram.com/patron_dsns/?utm_source=ig_embed&ig_rid=3257c…
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine-Konflikt
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine-Konflikt
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Iran in Krieg verwickelt?
Nach russischen Raketenangriffen sind hunderte Städte und Dörfer ohne
Strom. Ukrainische Getreide-Exporte haben im Oktober laut Kiew fast das
Vorkriegsniveau erreicht.
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Erste Russen für Truppe in Belarus
Laut Minsk fasst die gemeinsame Truppe mit Russland 9.000 Soldaten.
Anhaltende Kämpfe in Donezk und Luhansk. Frankreich will rund 2.000
ukrainische Soldaten ausbilden.
+ + Nachrichten im Ukraine-Krieg + +: Erbitterte Kämpfe bei Cherson
Andrij Melnyk hat Deutschland verlassen, russische Reservisten müssen sich
Schutzwesten selbst kaufen und Anton Hofreiter findet die SPD mal wieder zu
lahm.
Festival „Goethe-Institut im Exil“: Simulation einer Bombardierung
Interkultureller Austausch: In Berlin gewährte das Festival
„Goethe-Institut im Exil“ Einblicke in die auch im Exil produktive
ukrainische Kulturszene.
Folkpunkband Gogol Bordello: Irgendwie am Leben bleiben
Siegesgewiss, trotz des Krieges: die ukrainisch-amerikanische Folkpunkband
Gogol Bordello und ihr neues Combat-Rock-Album „Solidaritine“.
Rassismus gegen Russen im Ukraine-Krieg: Kein Ork-Volk
Die Gewalt der russischen Armee erschüttert. Doch auch in Russland gibt es
sehr verschiedene Menschen, von denen viele selbst denken können.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.