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# taz.de -- Angebliches Coming Out von Iker Casillas: Witz, komm raus
> Der Ex-Torwart Iker Casillas erklärte auf Twitter, er sei schwul. Dann
> nahm er es wieder zurück. Der Fußball hinkt dem Fortschritt hinterher.
Bild: Torwart-Ikone Iker Casillas 2020 in Madrid
„Ich bin schwul.“ Das ist ein Satz, der heute nicht mehr die gleiche
Wirkung hat wie vor über 20 Jahren, als ihn der ehemalige Berliner
Bürgermeister Klaus Wowereit bei einem Parteitag der SPD ausgesprochen hat.
Er war damals der erste Spitzenpolitiker, der sich offen zu seiner
Homosexualität bekannt hat. Andere sind ihm gefolgt. Schwulsein hat 2022
nicht mehr dieselbe Brisanz wie 2001.
Aber ist es deshalb bereits eine Information ohne Nachrichtenwert? Ganz
normal, nicht weiter zu beachten? Schön wäre es, wenn man das so ganz ohne
Einschränkungen behaupten könnte. Leider hat der Fortschritt nicht in alle
Lebensbereiche gleichermaßen Eingang gefunden. Manche Teile der
Gesellschaft scheinen in den 60ern hängengeblieben zu sein.
Nehmen wir etwa den Profifußball, dessen heteronormativer und männlicher
Hegemonie man sich immer wieder vergewissern kann. Unter anderem dann, wenn
eine Nachricht hochgehängt wird, die eigentlich zu banal ist, um sie
überhaupt auszusprechen: dass Frauen zum Beispiel auch ganz toll Fußball
spielen können und dass es auch sehr viel Spaß macht, ihnen dabei
zuzuschauen, [1][wie es im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft in
England in diesem Sommer immer wieder hieß].
Am Sonntagnachmittag hat nun der spanische Welt- und Europameister sowie
Welttorhüter Iker Casillas, seit 2020 nicht mehr aktiv, getwittert: „Ich
hoffe, Sie respektieren mich: Ich bin schwul.“ Das erregte ebenso Aufsehen
wie die Antwort seines ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Carles Puyol,
der seine Karriere auch schon beendet hat. Der schrieb: „Es ist Zeit,
unsere Geschichte zu erzählen, Iker“, dazu ein Herz-und-Kuss-Emoji.
## Spekulationen laufen heiß
Bisher haben sich nur [2][Fußballprofis] aus weniger bekannten Ligen in
England und Australien zu ihrer Homosexualität öffentlich bekannt.
Und jetzt hat sich da gerade vielleicht der beste Torwart der Welt als
schwul geoutet? Und ist das, was einer der besten Verteidiger der Welt
darunter kommentiert hat, gleich das zweite Coming-out? Sind die beiden ein
Paar? Ist das am Ende eine orchestrierte Aktion der beiden, um möglichst
viel Aufmerksamkeit für das Thema zu erreichen – damit endlich auch die
Fußballwelt im Jahr 2022 ankommt?
Die Tweets lösten viele Spekulationen aus. Spanische Medien dagegen
mutmaßten, dass der Account von Casillas gehackt worden sei.
Andere waren einen Schritt weiter und vermuteten, dass der Torwart mit dem
Tweet einfach nur ironisch auf Medienberichte über sein Privatleben
reagiert hatte – um neugierige Fans und die Presse an der Nase
herumzuführen. Gleichzeitig entlud sich im Netz die Homophobie von Fans in
den Kommentaren unter dem Zehntausende Male geteilten Tweet. Casillas
folgen knapp 10 Millionen Menschen.
## Gehackt oder gewitzelt?
Keine Stunde später löschte Casillas den Tweet. Wiederum eine Stunde später
twitterte er eine Entschuldigung: „Gehackter Account. Entschuldigung, an
alle meine Follower. Und natürlich noch mehr Entschuldigungen an die
LGTB-Community.“ Auch Puyol entschuldigte sich. Noch am Sonntagabend sprach
er widersprüchlicherweise von einem „ungeschickten Witz“. Er habe einen
Fehler gemacht: „Ich verstehe, dass es Empfindlichkeiten verletzt haben
könnte. Mein ganzer Respekt und meine Unterstützung für die LGTBIQA+
Gemeinschaft“.
Der schwule australische Fußballprofi [3][Joshua Cavallo reagierte
verärgert]: „Witze zu reißen und sich darüber lustig zu machen, sich im
Fußball zu outen, ist enttäuschend.“ Die Entschuldigung Puyols ließ auch
viele Fußballfans in den sozialen Medien an Casillas’ Darstellung zweifeln:
Wurde er wirklich gehackt? Oder ist er zu feige, um den schlechten Witz
einzugestehen?
So oder so: Der Fall zeigt, dass das eben nicht egal ist. Die Fußballwelt
hat es auch an diesem Sonntag nicht ins Jahr 2022 geschafft. Vielleicht ist
sie sogar noch ein paar Jahre zurückgefallen. Die Empfehlung des ehemaligen
deutschen Nationalspielers [4][Philipp Lahm aus dem Jahr 2021], sich
während der aktiven Karriere besser nicht als schwul zu outen, scheint
weiter den Geist der Branche zu treffen. Und wenn er dann doch irgendwann
kommt, der erste wirkliche Wowereit-Moment des Profifußballs, dann wird das
deshalb weiterhin ganz großen Nachrichtenwert haben.
10 Oct 2022
## LINKS
[1] /Frauenfussball-als-Goodwill-Projekt/!5867893
[2] /Coming-out-im-englischen-Fussball/!5852144
[3] https://twitter.com/JoshuaCavallo/status/1579111094106218498
[4] https://www.zeit.de/sport/2021-02/philipp-lahm-coming-out-schwul-homosexual…
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Homosexualität im Profisport
Fußball
Coming-Out
Fußball
Frauenfußball
Homophobie
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