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# taz.de -- Football in den USA: „Weiße Besitzer, schwarze Spieler“
> Der Sportjournalist David Zirin hat einen Film über die Footballliga NFL
> gedreht. Seit Jahren kritisiert er die Zustände im US-Sport.
Bild: „Ist es weiße Suprematie, wenn weiße Fans gucken, wie schwarze Körpe…
taz: David Zirin, Sie waren ein enthusiastischer Footballfan, nun pflegen
Sie eine kritische Distanz zu diesem Sport. Genießen Sie ihn manchmal
dennoch?
Dave Zirin: Es ist für mich schon sehr schwer geworden, den Sport einfach
zu genießen. Ich weiß zu gut, was alles hinter dem Produkt steckt. Ich weiß
zu gut, was die Spieler durchmachen, um sich jeden Sonntag für das Spiel
fit zu machen. Ich weiß zu viel über den Schmerz, der mit dem Spiel
zusammenhängt. Trotz allem ist es natürlich noch immer eine formidable Form
der Unterhaltung und vielleicht das einzige, was noch immer das ganze Land
kulturell zusammenbringt. [1][Football] ist so allgegenwärtig, dass man als
Journalist nicht daran vorbeikommt, vor allem nicht, wenn man, wie ich,
über Sport und Politik schreibt. Wenn man Football nicht wahrnimmt, kann
man nicht wirklich an unseren gesellschaftlichen Debatten teilnehmen.
Was hat der Football, das er alle Amerikaner anspricht?
Der Sport ist in [2][vielerlei Hinsicht Amerika]. Es hat mit großem Erfolg
seine Kultur exportiert, egal ob man von Hollywood, Popmusik oder auch von
Basketball spricht. Doch Football bleibt auf eine sture Art rein
amerikanisch. Ich denke, der Sport bildet auf grundlegende Weise die
amerikanische Erfahrung ab. Oder besser: die weiße amerikanische Erfahrung
von der Besiedlung und Eroberung des Kontinents und der Idee, dass man sich
durch Gewalt beweisen und erneuern kann. Die Nachfolgegenerationen der
Siedler können das auf dem Footballplatz jedes Wochenende noch einmal
durchleben. Football ist ein Substitut für den verlorenen amerikanischen
Westen, für die „Frontier“, aber auch für alle anderen Kriege der
amerikanischen Geschichte. In vielerlei Hinsicht ist Football eine
pubertäre Vision des Krieges und somit durch und durch amerikanisch. Alles
ist heroisch und glanzvoll, aber es stirbt niemand. Im Fernsehen sieht man
ja nicht einmal die Verletzungen, wenn ein Spieler sich weh tut, dann kommt
die Werbepause.
Dieser Mythos der „Regeneration durch Gewalt“, den der Kulturkritiker
Richard Slotkin schon in den 1970er Jahren beschrieben hat, wirkt nach wie
vor?
Auf jeden Fall. Man muss sich nur die Anzahl der Waffen im Land anschauen
oder die Art und Weise, wie das Land auf die vielen Schulmassaker reagiert.
Ich denke Football reflektiert diese Akzeptanz der Gewalt.
Eine der zentralen Thesen Ihres Films ist, dass es keinen unpolitischen
Sport gibt. Wie würden Sie die Politik beschreiben, welche die NFL
vertritt?
Ich bin froh, dass Sie die Frage so stellen. Wenn man sonst über Politik in
der NFL spricht, dann wandern die Gedanken der Leute sofort zu [3][Colin
Kaepernick] und zu den Spielerprotesten. Die Reaktion der Kommentatoren auf
diese Proteste, die leider oft darin besteht zu sagen: „Haltet euer Maul
und spielt“, ist ja nur eine andere Art zu sagen, der Sport sei eigentlich
apolitisch und diese politisierten Athleten würden das verderben. Aber die
Realität ist natürlich, dass der Sport selbst eine sehr politische Entität
ist. Die Politik, die der Football traditionell vertritt ist eine des
Hypernationalismus, des Hypermilitarismus und der Männlichkeit. Es geht
darum, was einen echten Mann ausmacht. Und weil die NFL eine so mächtige
kulturelle Kraft ist, ist es wichtig, dass wir das analysieren und
dekonstruieren. Sonst sickern Militarismus und toxische Männlichkeit, die
dieser Sport verkörpert, immer tiefer in unsere Kultur ein.
War diese Ideologie von Anfang an Teil des Football?
In seinen Anfängen im 19. Jahrhundert war der Football ein Werkzeug, um
Studenten der Elite Universitäten zu echten Männern zu erziehen. Es gab
nach dem Bürgerkrieg unter der herrschenden Klasse das Gefühl, dass es eine
Krise der Männlichkeit gibt, weil junge Männer nicht mehr die Erfahrung der
Eroberung des Westens und des Krieges hatten. Das waren die Ursprünge des
Sports und sie gingen einher mit vielen Todesfällen auf dem Spielfeld. Aber
zum zentralen Bestandteil der amerikanischen Psyche wurde Football erst mit
dem Anbruch des Fernsehzeitalters. Football ist wirklich der perfekte Sport
für das Fernsehen. Das hat viele Gründe. Es gibt die Spielunterbrechungen,
die perfekt für Werbepausen sind, es gibt das Überraschungsmoment, was wohl
passiert, wenn der Ball aus dem Kamerablickfeld hinausfliegt. Seit den
1950er Jahren, als sich das Fernsehen ausbreitete, gab es auch eine massive
Expansion des Footballsports.
In den 1960er Jahren wurde die NFL auch zu einem Propagandawerkzeug für den
Vietnamkrieg und für die Nixonregierung. Wie das?
Das ist vor allem Pete Rozelle zu verdanken, der damalige Commissioner der
NFL. Er hat nicht nur die Macht des Fernsehens erkannt, sondern auch die
Macht, die darin lag, sich mit dem amerikanischen Militär zu verbünden. Als
die Gegenkultur der 60er Jahre sich dann trotzdem in der NFL einnistete,
stellte er sicher, dass sie so sehr entpolitisiert wurde wie möglich. Man
erlaubte lange Haare und buschige Koteletten aber keine freie
Meinungsäußerung.
Die NFL hat also von Anfang an in dem Kulturkrieg, der Amerika bis heute
zerreißt, Stellung bezogen.
Ja, deshalb räume ich in meinem Film auch einem eher unbekannten Spieler
namens Dave Meggyesy großen Raum ein. Er hat seine Karriere damals aufs
Spiel gesetzt, weil er es nicht ertragen konnte, dass die Liga den
Vietnamkrieg unterstützt.
Und er wurde genauso kaltgestellt wie heute Colin Kaepernick heute.
Ja, die NFL hat eine lange Tradition, kritische Stimmen zum Schweigen zu
bringen.
Wer setzt diese ultrakonservative Haltung durch?
Das sind ganz sicher die Teameigner. Das sind beinahe durchweg sehr
konservative, sehr wohlhabende Männer. Pete Rozelle hat die Liga auf diese
Spur gehoben, aber er hatte sehr reiche und einflussreiche Unterstützer.
Die NFL-Besitzer repräsentieren das rechte Establishment der USA. Und weil
die Teams meist innerhalb der Familien vererbt werden, gibt es über die
Jahrzehnte auch eine starke politische Kontinuität innerhalb des Sports.
Eine Art von Oligarchie.
Ja, in der Tat. Die Oligarchie der NFL gibt es wirklich. Und wie jede
Oligarchie wird sie von Generation zu Generation intellektuell immer
schwächer.
Sie schlagen zum Ende des Films einen hoffnungsvollen Ton an, dass sich der
Sport doch wandeln kann. Verlieren die Besitzer an Macht?
Nun, sie widersetzen sich dem Wandel, aber es gibt eben auch eine neue
Generation rebellischer Athleten, die ein enormes Potenzial besitzen. Sie
haben begriffen, was für eine formidable Plattform der Sport ihnen bietet.
In dieser Hinsicht ist der Geist aus der Flasche. Die Tage, in denen
Spieler einfach nur das Maul halten und spielen, sind endgültig vorbei.
Woran liegt ’s?
Ich denke, dass Athleten sich von sozialen Bewegungen inspirieren lassen,
das hat es in der Geschichte oft gegeben. Die Black-Lives-Matter-Bewegung,
die ja weltweit verbreitet ist, hat die Spieler zutiefst verändert. Sie
hatten ganz stark das Gefühl, um es mit einer Sportmetapher zu sagen, nicht
nur an der Seitenlinie stehen zu können. Sie hatten das Gefühl, Teil dieser
Bewegung sein zu müssen und sie empfanden eine starke Solidarität mit den
Communities, aus denen sie stammen und denen sie ihren Wohlstand verdanken.
Aber es war nicht nur Black Lives Matter, es war auch die Verbreitung der
sozialen Medien. Die Athleten konnten auf einmal die klassischen Medien
umschiffen, die im Sport dazu neigen, sehr konservativ zu sein. Sie haben
es als Befreiung empfunden, direkt mit den Fans sprechen zu können. Was man
schließlich auch nicht vergessen darf, ist, dass Courage ansteckend ist.
Erst sagt ein Spieler etwas, dann ein zweiter und plötzlich hat man eine
kollektive Stimme.
Man kann also die Wirkung von Colin Kaepernick gar nicht überschätzen?
Sein großer Beitrag war es, dass er für den Kampf um Bürgerrechte eine neue
Methode des Protestes gefunden hat. Er hat durch seinen Kniefall Protest
machtvoll, authentisch und wichtig wirken lassen und hat damit eine ganze
Generation von Sportlern geprägt. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass das
alles schon sechs Jahre her ist, obwohl wir darüber reden, als sei es erst
gestern gewesen. Es gibt Athleten, die damals 16 waren, die heute Profis
sind. Für sie war Colin Kaepernick von Anfang an ein Vorbild.
Die NFL selbst bekennt sich ja nun auch immer mehr zu Inklusion und
Bürgerrechten. Wie ernst darf man das nehmen?
Es ist das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche, das es gibt, seitdem es
Bosse und Arbeiter gibt. Auf der einen Seite gibt es Leute wie Kaepernick
und Megyessey, die die Peitsche bekommen. Auf der anderen Seite schreibt
man „End Racism“ auf Werbetafeln und lässt Snoop Dogg beim Superbowl
auftreten. Letztlich geht es nur darum, die Spieler davon abzuhalten, den
Mund zu weit aufzumachen.
Im Kern hat sich die NFL also nicht verändert?
Richtig. Sie ist nur in ihren Mitteln, mit Widerspruch umzugehen,
raffinierter geworden.
Wenn wir über Kaepernick und Black Lives Matter reden, müssen wir auch über
„race“ im Football sprechen. Sie sagen, dass der Sport in seinem Kern
zutiefst rassistisch ist.
In den Jahren 1930 bis 1947 waren schwarze Spieler komplett von dem Sport
ausgeschlossen. Das Ganze wurde vorangetrieben von einem bestimmten
Teambesitzer, der ein offener Rassist war, George Preston Marshall. Er
weigerte sich für sein Team, die Washington Redskins, bis in die 1960er
Jahre, schwarze Spieler aufzustellen. John F. Kennedy hat ihn schließlich
dazu gezwungen.
Wie das?
Das Washingtoner Stadion steht auf Land des Bundes. Kennedy hat gedroht,
Marshall von dem Land zu jagen, wenn er keine Integration seiner Mannschaft
zulässt.
Ist die NFL Ihrer Meinung nach im Kern rassistisch?
Sie müssen sich doch nur anschauen, wer die Teams besitzt und wessen Körper
zerstört werden. Es ist eine Liga, die zu 100 Prozent weißen Besitzern
gehört und zu 70 Prozent schwarze Spieler hat. Es ist eine Liga, in der
Besitzer Teams erben, während Spieler schnell reich werden müssen, weil sie
aus der Armut kommen und nur ein paar Jahre Zeit haben. Also gibt es hier
einen Geruch der weißen Suprematie? Hat es etwas mit weißer Suprematie zu
tun, wenn weiße Fans sich anschauen, wie schwarze Körper sich gegenseitig
zerstören? Natürlich ist das eine Vereinfachung, es gibt auch weiße
Spieler, es gibt auch schwarze Fans. Aber im Kern ist etwas dran an der
These vom Spektakel der Zerstörung schwarzer Körper zur Erbauung weißer
Zuschauer.
100 Prozent der Spieler tragen langfristige gesundheitliche Schäden davon.
Wie kann man diesen Sport noch seinen Kindern empfehlen?
Das ist ja das Erstaunliche. Die Popularität des Sports ist ungebrochen. Es
gibt keinen wirklichen Aufstand gegen die NFL. Es gibt nur meinen kleinen
Film. Aber ich glaube schon, dass die Leute langfristig von der NFL immer
mehr angewidert sein werden. Von der Gewalt, von der Korruption, der
Geldwäsche mit Staatshilfe. Der Sport wird von seinen Hardcorefans so lange
verteidigt werden, bis es keinen Sport mehr gibt.
24 Sep 2022
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## AUTOREN
Sebastian Moll
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Football
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