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# taz.de -- Frauenfeindliche Energiesparmaßnahmen: Frieren für die Männer
> Immer noch werden in erster Linie Frauen Unannehmlichkeiten abverlangt,
> damit Männer Krieg führen können. Das fängt beim Energiesparplan an.
Bild: Wie wäre es mit Tempo- statt Temperaturlimit?
So, jetzt mal doch die verhasste Biologie. Denn manche Maßnahmen, die
frauenfeindlich sind, sind dies, weil sie sich sehr direkt aufs körperliche
Wohl- oder Unwohlbefinden auswirken – auf physiologische, geschlechtlich
markant voneinander abweichende Phänomene. Zum Beispiel der
Kabinettsbeschluss zum Energiesparen; er ist frauenfeindlich.
Das Beleuchtungsverbot wird von manchen bereits so gelesen, natürlich
zuallererst von der gebeutelten Lichtverschmutzungs-, vulgo
Leuchtreklameindustrie. Wegen des subjektiven Sicherheitsempfindens und so.
Und auch darüber wäre in einer besseren Welt sicher nachzudenken. Aber hart
und durch mehrere empirische Studien objektiviert betrifft die Absenkung
der Bürotemperatur Frauen: Im Durchschnitt haben weibliche menschliche
Körper weniger Blut, sie haben weniger Muskelmasse, und sie haben dünnere
Haut.
Die Differenz der mittleren Wärmeenergieproduktion haben die
niederländischen Forscher Boris Kingma und Wouter van Marken Lichtenbelt
von der Universität Maastricht [1][vor ein paar Jahren auf 12 Watt pro
Quadratmeter Körperfläche beziffert]. Das bedeutet: Frauen frieren
schneller. Und wer friert, wird schneller krank.
Schon die aktuellen gesetzlichen Standards sind [2][wie so vieles komplett
am Bedürfnis männlicher Körper ausgerichtet]. Die können optimal bei rund
22 Grad Raumtemperatur arbeiten, bei Frauen sind es zwei bis drei Grad
mehr. Eine auf den Sommer bezogene geschlechtergerechte Energiesparmaßnahme
wäre insofern das Verbot gewesen, die Räume per Klimaanlage auf
Temperaturen unter 24 Grad zu kühlen. In your face, Putin. Um das zu
diskutieren, ist es natürlich jetzt zu spät.
Zum Ärgernis wird die Maßnahme aber im Hinblick darauf, was gleichzeitig an
möglichen Maßnahmen nicht verordnet wird. Das prominenteste und
effizienteste Beispiel ist die [3][Komplettverweigerung, ein Tempolimit
einzuführen]. Dass Rasen auf der Autobahn ein mehrheitlich von Personen an
den Tag gelegtes Verhalten ist, die sich gerne besonders männlich gelesen
sehen, ist auch durch Zahlen und Figuren statistisch unterfüttert.
Ja, anderes Ressort, aber dasselbe Kabinett – und eben eine Schnittstelle
der Kompetenzen. Weil ja doch der Energieverbrauch Sache Robert Habecks
(Grüne) und nicht des Ministers für Essensfotobeschränkung,
Schildermangel und Kraftfahrzeuge Volker Wissing (FDP) ist. Dass der
Gescheitere nachgibt, begründet die Weltherrschaft der Dummheit, hat die
schlaue, aber heute vergessene Marie von Ebner Eschenbach mal festgestellt.
Das wäre so weit normal, fast wie ein Naturgesetz und darum nicht der Rede
wert, wenn sich diese Beschlusslage nicht durch eine besondere
Geschlechterasymmetrie auszeichnen würde. Denn während die Absenkung der
Mindesttemperatur negative gesundheitliche Auswirkungen insbesondere für
Frauen haben kann, ist das Gegenteil bei einem Tempolimit der Fall, wie
die Verkehrstotenzahlen nachdrücklich belegen. Darüber hinaus wäre es ja
sogar so, dass auch die seelische Gesundheit derjenigen, die meinen, sie
müssten sich durch besonders tollkühnes Schnellfahren in ihrer
geschlechtlichen Identität beweisen, dank Tempolimit entlastet werden
könnte.
Es gibt ja Männer, vielleicht sind es alle, die unter diesen obszönen
Forderungen ihres Rollenbildes leiden (wenn auch meist nur heimlich). Zu
denen im Übrigen auch die nach der Fähigkeit gehört, besonders kalt duschen
zu können und ohnehin temperaturunempfindlich zu sein und erst bei minus
20 Grad darüber nachzudenken, ob ein Pulli überm T-Shirt sinnvoll ist: Mann
ist schließlich keine Memme, sondern Bürohengst. Ich rede hier übrigens nur
von mir selbst.
Nein, 19 Grad sind nicht unmenschlich, die Absenkung wird zu deutlich
weniger Toten führen, als ein Tempolimit verhindern würde, also alles im
grünen Bereich, höhö. Aber die triste Wahrheit ist, dass die
Bundesregierung maximal unsensibel ein altes, reaktionäres Narrativ
fortsetzt mit diesen Beschlüssen: Immer noch werden in erster Linie Frauen
Opfer abverlangt, damit Männer Krieg führen können – und sei es ersatzweise
nur auf der Autobahn.
25 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.nature.com/articles/nclimate2741
[2] /Gender-und-Wissenschaft/!5685021
[3] /Vorwuerfe-gegen-Christian-Lindner/!5867139
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Sexismus
Energiekrise
Tempolimit
Energiesparen
Durchschnittstemperatur
Energiekrise
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