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# taz.de -- Kiewer Zoo im Ukrainekrieg: Antidepressiva für den Elefanten
> Russlands Krieg gegen die Ukraine trifft auch die Tiere im Kiewer Zoo.
> Dieser ist zugleich Zufluchtsort für Affe und Co. aus anderen
> Landesteilen.
Kiew taz | Bomben, Beschuss und Luftalarm: Der Beginn des russischen
Angriffskrieges auf die Ukraine hatte auch [1][den Kiewer Zoo] dazu
gezwungen, seine Arbeit einzustellen. Doch mittlerweile hat er seine Tore
für Besucher wieder geöffnet. Sowohl für die Mitarbeiter des Tierparks als
auch für die Tiere war es nicht einfach, diese Zeit zu überstehen. Dabei
hatten sie sich bereits auf einen möglichen Krieg vorbereitet. „Wir hatten
schon vorher kleine Vorräte an Trockenfutter angelegt. Dadurch konnten wir
die Tiere in den ersten zwei Wochen versorgen“, sagt Kirilo Trantin,
Generaldirektor des Kiewer Zoos und in der Ukraine ein bekannter
Umweltschützer.
Seit den ersten Kriegstagen wohnt er, wie auch die meisten anderen
Mitarbeiter, in dem Zoo. In den Räumlichkeiten des Aquariums, das noch
nicht fertiggestellt ist, jedoch dicke Wände und eine große Fläche hat,
wurde ein Unterstand eingerichtet. Dort konnten sich die Menschen vor den
Bombardierungen verstecken. „In einem großen Kessel auf dem Feuer haben wir
jeden Abend Brei für alle gekocht. Das nannten wir den ‚Barbecue-Bereich‘�…
sagt Trantin schmunzelnd und fügt hinzu, dass diese Krisensituation das
Team noch mehr zusammengeschweißt hat. Und er erzählt, dass allen
Mitarbeitern ein Gehalt im Voraus gezahlt worden sei.
Eines der größten Probleme des Zoos in den ersten Kriegswochen war jedoch
die Fütterung. Die Kampfhandlungen in der Ukraine unterbrachen viele
Lieferketten, sodass die Nahrung für die Zoobewohner nicht rechtzeitig
eintraf. „Einige Lieferanten brachten vorbei, was sie noch übrig hatten,
und überließen uns das Futter kostenlos. Auch Freiwillige brachten viel in
den Zoo. Polnische und deutsche Zoos gehörten zu den ersten, die uns ihre
Hilfe anboten“, sagt Trantin. Vor einigen Wochen habe der Kiewer Zoo 17
Tonnen Trockenfutter vom Berliner Zoo und dem dortigen Tierpark bekommen.
Auch der spanische Zoo Loro Parque in Puerto de la Cruz auf Teneriffa habe
Hilfsgüter geschickt.
Doch es blieb schwierig – vor allem mit Salat, Grünzeug und Bananen für
Primaten. Daher waren die Mitarbeiter gezwungen, alle [2][noch geöffneten
Supermärkte] in Kiew abzusuchen, um diese Produkte aufzutreiben. Um die
Situation zu entspannen, wurde beschlossen, im Zoo eigenen Salat zu ziehen.
Damit können jetzt 50 Prozent des Bedarfs gedeckt werden. „Das reduziert
spürbar Kosten in einer so schwierigen Zeit. Und auch Supermärkte geben uns
Obst“, sagt Trantin und greift nach einer halben Wassermelone. Einer wartet
bereits auf diesen Leckerbissen: Der Elefant Choras, der zu einem Symbol
für den Kiewer Zoo geworden ist.
Der 17-jährige Dickhäuter hat ein bemerkenswertes Schicksal. Er wurde im
Berliner Zoo geboren. Im Alter von drei Jahren wurde er dem Zoo im
russischen Rostow übergeben, einige Jahre später ging es weiter nach Kiew.
Während Trantin seine Geschichte erzählt, steckt sich Choras ein Stück
Wassermelone mit seinem Rüssel ins Maul. Nachdem er die Leckerei genussvoll
verspeist hat, wird der Elefant merklich munterer und hebt zum Zeichen der
Dankbarkeit den Rüssel in die Höhe. „Wir sind so froh, ihn jetzt so zu
sehen, denn er hat unter den Kämpfen viel stärker gelitten als die anderen
Tiere“, sagt Trantin. Die Mitarbeiter des Zoos seien gezwungen gewesen,
Choras und der Zebrafamilie Antidepressiva für Menschen ins Trinkwasser zu
mischen.
Besonders der Elefant habe heftig auf den ständigen Luftalarm und die
Explosionen reagiert. „Die erste Woche war für Choras sehr schwer, er war
ständig unter Stress. Er verstand nicht, was vor sich ging und was dieser
Lärm bedeutete. Unsere Mitarbeiter haben einen ganzen Monat lang bei ihm
übernachtet. Er hatte Bewegungsstörungen und es war notwendig, ständig mit
ihm zu kommunizieren. Wir haben ihm verschiedene Leckereien gegeben – Äpfel
und Bananen“, sagt der Zoodirektor.
## Durch Luftalarm verschreckt
Erst am 21. Tag des Krieges brachten die Mitarbeiter den Elefanten zum
ersten Mal wieder nach draußen. Etwa eine Woche dauerte es, ihm
beizubringen, wie er sich bei Alarm oder dem Einsatz der ukrainischen
Luftabwehr in der Nähe des Zoos verhalten sollte – der Elefant lernte in
nur zwei Minuten in seinen Unterstand zu laufen. Als sich die Situation in
Kiew stabilisierte, begann Choras, wie viele Menschen in der Stadt auch,
sich ruhiger zu verhalten. „Jetzt beibt er, wenn es Luftalarm gibt, einfach
stehen. Er hat sich ein wenig daran gewöhnt. Wenn es richtig laut wird und
Kiew wieder angegriffen wird, wird er aber nervös“, sagt Trantin.
Der Zoo hatte auch Verluste zu verzeichnen. In diesem Jahr haben die
Pelikane erstmals ihre Eier nicht ausgebrütet. Dabei hätten Küken schlüpfen
sollen. Aber das Weibchen, verschreckt durch das Heulen des Luftalarms,
zerdrückte drei Eier. „So haben wir drei Pelikane verloren. Das war schwer
für uns. Zwei Jahre lang haben wir Bedingungen geschaffen, damit sie ihre
Eier ausbrüten können, und sie ausschließlich mit lebendem Fisch
gefüttert“, sagt Trantin.
Auch die Familie der Lemuren hatte Schwierigkeiten. Das Lemurenweibchen,
das bereits während der Kämpfe Nachwuchs bekommen hatte, war so gestresst,
dass es sich weigerte, eines ihrer Jungen zu füttern. Daher musste der Zoo
das Jungtier alleine großziehen. Ein Mitarbeiter versorgte das Äffchen zwei
Monate lang alle paar Stunden mit Nahrung. „Jetzt ist er munter und
fröhlich. Wir haben ihn nach der türkischen Kampfdrohne benannt und ihm den
Namen Bairaktar gegeben“, sagt Trantin und lacht. Ankara hat der Ukraine
mehrmals Drohnen mit diesem Namen geliefert.
## Angespannte Situation an der Frontlinie
Unter den gegebenen Umständen war der Kiewer Zoo gezwungen, auch Tiere aus
anderen Zoos in der Ukraine zu retten. In den ersten Wochen des Krieges
gelang es, viele Tiere dorthin zu bringen – insgesamt wurden 141 gerettet.
Darunter waren auch Schlangen, Papageien, Affen, Schildkröten und große
Raubtiere. „Wir haben beschlossen, so viele zu retten, wie wir unterbringen
konnten. Da waren Tiere aus dem Besitz von Privatleuten, aber auch aus
privaten Zoos“, sagt Trantin und geht auf ein großes Gehege mit einem Tiger
zu.
Dort lebt die Tigerin Dalila. Sie ist 12 Jahre alt und wurde aus dem
zerbomten Zoo in Charkiw evakuiert. Ihr jetziger Zustand, so Trantin, sei
nicht mit dem zu vergleichen, als sie angekommen war. Dalila wurde unter
Beschuss aus einem Privatzoo evakuiert, der vollständig zerstört wurde.
Viele Tiere starben dort. Der Umstand, dass es Dalila bis nach Kiew
geschafft hat, grenzt an ein Wunder. Denn die großen Raubtiere aus dem
Charkiwer Zoo sollten eingeschläfert werden, wenn für sie kein neues
Zuhause gefunden würde. Schließlich gelang es den Tierärzten, die Tigerin
emotional zu stabilisieren und ihre Wunden zu heilen. Jetzt ist Dalila Teil
einer neuen Familie geworden.
In vielen Zoos in der Ukraine, insbesondere in der Nähe der Frontlinie,
bleibt die Situation angespannt. Daher versucht man in Kiew, die Kollegen
in den Regionen auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen. Beispielsweise
wurden von den kürzlich erhaltenen 17 Tonnen Futter 14 Tonnen an andere
Zoos weitergegeben. Die größte Menge mit vier Tonnen ging an den Zoo von
Nikolajew.
## Rückkehr zur „Normalität“
Als der Zoo Mitte Mai wieder für Besucher geöffnet wurde, kamen viele
Menschen in den ersten Tagen. Nach Angaben des Direktors kommen aber etwa
50 Prozent Besucher weniger als vor dem Krieg. „Aber auch das ist gut. Wir
heißen alle willkommen!“, sagt Trantin. Viele Mitarbeiter sagen, dass das
Leben für sie am 24. Februar aufgehört habe. Doch als die Menschen wieder
in den Zoo gekommen seien und das Lachen von Kindern zu hören gewesen sei,
hätten sie das als Rückkehr ins Leben und zur „Normalität“ empfunden.
Gleichzeitig vergisst hier niemand, dass der Krieg weitergeht, auch wenn
keine russischen Truppen mehr in der Region Kiew sind. „Die Sirenen ertönen
weiterhin jeden Tag und Menschen sterben an der Front. Mehrere unserer
Mitarbeiter haben einen Monat während der Besatzung in Butscha und Irpin
verbracht, jetzt sind ihre Häuser zerstört. Einige unserer Kollegen sind in
den Kampf gezogen und wir versuchen sie zu unterstützen“, sagt der
Direktor.
Er betont, dass die Hauptaufgabe des Zoopersonals darin bestehe, dafür zu
sorgen, dass Kinder während ihres Besuchs möglichst viele positive
Emotionen aufnehmen und ihre Eltern von den Nachrichten abgelenkt würden.
„Wir bemühen uns um unsere Kinder, denn sie sind unsere Zukunft. Evakuierte
Kinder aus Mariupol sind hierher gekommen und wir haben ihnen die
Möglichkeit gegeben zu lächeln, nach all den Schrecken, die sie durchlebt
haben“, sagt Trantin. „In so einem Moment spürst du, dass du diesen Tag
nicht umsonst gelebt hast.“
Aus dem Russischen [3][Barbara Oertel]
4 Jul 2022
## LINKS
[1] /Berliner-Zoos-helfen-Ukraine/!5849889
[2] /Preissteigerungen-im-Ukraine-Krieg/!5856280
[3] /Barbara-Oertel/!a1/
## AUTOREN
Anastasia Magasowa
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