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# taz.de -- Mögliche Legalisierung von Cannabis: Kifferrepublik Deutschland?
> Endlich geht das Gesundheitsministerium die Legalisierung von Cannabis
> als Genussmittel an. Der deutsche Weg könnte eine Blaupause für andere
> werden.
Bild: Schon mal sanft anfangen: ein Hanfbauer bei Kronach in Bayern
Es wirkt, als gewinne der Prozess nun an Fahrt: Am Dienstag hat im
Bundesgesundheitsministerium die Expertenanhörung zur Legalisierung
von Cannabis begonnen. Thema der nichtöffentlichen ersten Runde sollen
Gesundheits- und Verbraucherschutz sein. Wenn da alles klappt, könnte
Deutschland bald Vorreiter in Sachen Kiffen werden: beim Anbau, beim
Handel, beim Konsum. Endlich!
Denn auch wenn Burkhard Blienert (SPD), Drogenbeauftragter der
Bundesregierung, den Beginn der Anhörung als einen „erfreulichen
Augenblick“bezeichnet, mussten er und viele andere jahrelang darauf
hinarbeiten, dass in Deutschland womöglich endlich die Kriminalisierung von
Konsumentinnen und Konsumenten aufhört und der Staat stattdessen mit einer
modernen, gesundheitsorientierten Cannabispolitik beginnt. Kommt jetzt also
Geschwindigkeit in die Sache?
Zumindest ist ein rascher Ablauf geplant. Nach der ersten Anhörung kommen
bis Ende Juni noch vier weitere zu den Themen Jugendschutz und Prävention,
Lieferketten, ökologische und wirtschaftliche Fragen. Außerdem soll es um
Strafbarkeit, Kontrollmaßnahmen und die Lizenzierung gehen und um
internationale Erfahrungen. Wenn die mehr als 200 Experten und Expertinnen
aus Suchtmedizin, Suchthilfe, Rechtswissenschaften, Wirtschaft und
Verbänden sowie Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen dann durch sind
mit ihrem Programm, soll auf dieser Basis ein Eckpunktepapier des
Drogenbeauftragten und der Bundesministerien folgen, das als Grundlage für
den geplanten Gesetzentwurf genutzt werden kann.
Das alles zeigt: Zumindest im zuständigen Ministerium ist nach einer
weitgehenden Pause wegen Pandemie und Ukrainekrieg endlich wieder die im
Koalitionsvertrag vereinbarte „kontrollierte Abgabe von Cannabis an
Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ ein Thema. Selbst
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, lange Zeit nach eigenem
Bekenntnis ein Gegner des Vorhabens, drückt jetzt auf die Tube: Hatte er im
Februar noch in einem Interview erklärt, dass die Legalisierung dieses Jahr
nicht auf der Vorhabenliste seines Ministeriums stehe, so ruderte er
zuletzt zurück: Noch in der zweiten Jahreshälfte werde ein Gesetzentwurf
vorgelegt, erklärte er. Er habe seine Meinung zur Legalisierung
mittlerweile geändert.
## Großes Umschwenken
Zuletzt bekam Lauterbach auch fachlicherseits überraschende Unterstützung.
Denn unerwartet hat sich sogar die [1][Bundespsychotherapeutenkammer
für die Freigabe von Cannabis] ausgesprochen. In der Vergangenheit hatten
Ärzte und Wissenschaftler dagegen immer wieder vor den Gefahren von
Cannabiskonsum, insbesondere bei Heranwachsenden, gewarnt. Trotz des
neuerlichen Richtungswechsels: Gleichzeitig betonte der Verband die
Gefahren von Cannabis und Alkohol, beide Substanzen sollten zukünftig nur
noch in lizenzierten Fachgeschäften vertrieben werden.
Aber selbst wenn sich nun die Beurteilung einer Legalisierung durch
Fachleute langsam dreht und die Bundesregierung mit ihren Anhörungen
vorprescht – die Hürden bleiben riesig. Anbau, Lieferung und Verkauf, all
das erfordert ein groß angelegtes und reguliertes System, das auch für das
Vorbild Kanada bei der Einführung erhebliche Probleme mit sich brachte.
Zunächst gab es etwa zu wenige Geschäfte, in denen die psychotropen
Hanfprodukte an die Kund*innen gebracht wurden. Das, wie auch die hohen
Preise sorgten in Kanada dafür, dass der Schwarzmarkt weiter florierte.
Auch die Frage des angemessenen Preises und der Besteuerung ist in
Deutschland bisher nicht geklärt. Zudem fordern Aktivisten wie der Deutsche
Hanfverband bis heute, dass – damit der Rausch erschwinglich bleibt –
zumindest eine gewisse Anzahl von Hanfpflanzen auch auf dem heimischen
Balkon erlaubt sein müsse, was weiteren Diskussionsstoff mit sich bringt.
Denn es ist ein Widerspruch zu einem regulierten Markt, bei dem die
Produkte besteuert werden.
Ebenso dürfte es [2][verkehrsrechtlich noch zahlreiche Hürden] geben. Bis
heute werden Konsumenten, obwohl sie lange nüchtern sind, mit verkehrs- und
verwaltungsrechtlichen Sanktionen belegt. Doch die Diskussion darüber, was
ein angemessener Höchstwert für den Cannabiswirkstoff THC im Straßenverkehr
ist, ist noch lange nicht beendet. Zuletzt forderte Helmut Trentmann,
Präsident des Bundes gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr, eine
0-Nanogramm-Regel für Cannabis. Allerdings fordert er auch 0.0 Promille für
Alkohol im Straßenverkehr. Realistisch ist das sicher nicht.
Doch vor allem stünde eine Legalisierung von Cannabis im Widerspruch zum
europäischen [3][wie internationalen Recht]. Sollte es gelingen, sich zügig
auf einen Gesetzentwurf zu einigen, so wäre Deutschland rechtlich
weitgehend ein Vorreiter. Im internationalen Recht gibt es derzeit immerhin
ein Beispiel für einen Staat, der psychotrope Substanzen mit einer sauberen
juristischen Lösung legalisierte, anders als Kanada, das internationales
Recht gebrochen hat und dafür mehrfach gerügt worden ist: Bolivien hat das
2012/2013 mit den Kokablättern getan.
Doch in Europa ist das anders. Selbst in Holland ist Cannabis nicht legal.
Es wird geduldet im Rahmen eines Modells, von dem Experten sagen, dass es
die Drogen- und Bandenkriminalität fördert, weil es eben nicht legal und
damit kontrolliert ist.
## Vorreiter Deutschland
In Luxemburg, Malta oder Italien existieren ebenfalls Modelle, die keine
wirkliche Legalisierung bedeuten. Als Vorlage für den juristischen Weg, den
Deutschland auf EU-Ebene einschlagen könnte, gilt der Entwurf eines
Cannabiskontrollgesetzes von 2017, von den Grünen eingebracht, von der
Linken unterstützt, aber mit der Mehrheit von Union und SPD abgelehnt.
Das deutsche Vorgehen könnte zu einer Blaupause für andere europäische
Länder werden. Es geht dabei um die Auslegung und Neubewertung einzelner
Paragrafen, aber auch um die Frage, inwieweit spezifisch nationale
Sonderlösungen möglich sind. Dieser Prozess dürfte allerdings nach
Einschätzung von Juristen viele Monate dauern, womöglich Jahre.
Vorreiter in Europa wäre Deutschland – wenn die legalen Hürden dann erst
einmal überwunden sind – aber auch bei der Distribution. Geplant ist ein
lückenloses System, das vom frischen Keimling bis zum Joint in der Hand der
Endkonsument*in alles kontrolliert.
Mit einem Aspekt des Kiffens dürfte es angesichts absehbar gründlicher
deutscher Regulierungen aber endgültig vorbei sein: Anarchisch ist es dann
nicht mehr so wirklich, sich einen Joint anzuzünden.
14 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.bptk.de/cannabis-legalisieren-alkohol-verteuern-hilfsangebote-a…
[2] /Legalisierung-von-Cannabis/!5829880
[3] /Legales-Kiffen/!5841874
## AUTOREN
Oliver Schulz
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