Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Johnny Depp vs. Amber Heard: Am Rande des Nervenzusammenbruchs
> Der Fall Heard vs. Depp sprengt gängige Schablonen, die für Betroffene
> vorgesehen sind. Dabei sind Menschen immer mehr als bloß Opfer oder bloß
> Täter.
Bild: Johnny Depp grüßt seine Fans vor dem Gericht in Faifax
Ich liebe die Filme von [1][Pedro Almodóvar]. Seit Ende der 1970er Jahre
hat der spanische Filmemacher in seinen Werken so vielseitige Frauenfiguren
erschaffen wie kaum ein anderer. Almodóvars Frauen sind mal verletzlich und
zart, mal aufbrausend und unzuverlässig, sie sind liebevoll und loyal, sie
sind gemein und manipulativ. Was diese erfundenen Charaktere jedoch alle
miteinander vereint, ist, dass sie allesamt in einer ständigen Krise
stecken.
Wie sollte es auch anders sein in einer patriarchalen Gesellschaft, deren
Gewalt gleichermaßen von Kirche und Staat ausgeht wie von Vätern,
Liebhabern, Vorgesetzten und leider eben auch anderen Frauen. Wichtig ist
jedoch, dass die Frauen in seinen Filmen alle sehr unterschiedlich mit
ihren Krisen und der Gewalt umgehen, die sie erfahren. Sie wehren sich oder
sie unterwerfen sich, manche verbünden sich, manche werden selbst zu
Täterinnen. Sie sind eben widersprüchlich und inkonsequent. Und damit
glaubwürdiger als das Frauenbild, welches heute noch die gesellschaftlichen
Diskurse im Mainstream prägt.
Zuletzt zeigte sich das im Fall von US-Schauspielerin Amber Heard. Sie
wurde von ihrem Ex-Mann, dem US-Schauspieler Johnny Depp, wegen Verleumdung
verklagt, weil sie in einem Meinungsbeitrag in der Washington Post 2018
berichtete, häusliche Gewalt erfahren zu haben. Depps Namen nannte Heard
nicht. Dennoch soll Depp daraufhin millionenschwere Aufträge verloren
haben. Eine ähnliche Klage gegen die britische Sun hatte Johnny Depp im
Jahr 2020 verloren. Die Zeitung durfte ihn weiter „wifebeater“ nennen.
Damals urteilte ein Richter. Beim Prozess diese Woche in Virginia eine
Jury, und [2][die gab ihm diesmal recht.]
Seit Wochen wird Heard in einer großangelegten Kampagne zu einem
skrupellosen Monster stilisiert. Nicht nur Depp-Fans auf Titok machten mit,
indem sie in Videos Amber Heard demütigten und als eigentliche Täterin
diffamierten, weil ihre Aussagen und Handlungen Unstimmigkeiten aufwiesen.
Auch Feministinnen, denen man eigentlich zutrauen würde, Nuancen
anzuerkennen, betrachten Gewaltspiralen in toxischen Beziehungen nun wie
einen allzu schlecht geschriebenen Psychothriller, wo es nur einen bösen
Täter und ein tadelloses Opfer geben kann.
## Nicht jeder Missbrauchsfall gleicht dem anderen
So schrieb Linke-Politikerin Julia Schramm einen ganzen [3][Blogartikel]
darüber, wie Gesten, Mimik und Rhetorik von Amber Heard ganz klar für sich
sprächen: „Insbesondere Opfer von häuslicher Gewalt sind auf Social Media
laut und entschieden. Denn sie erkennen ihre Täter oder Täterinnen in Amber
Heard wieder, sie erkennen sich selbst in Johnny Depp wieder.“ Es scheint
ganz so, als würden hier schauspielerische Qualitäten aneinander gemessen
anstatt Beweise, die zumindest belegen, dass Amber Heard ebenfalls
physische und psychische Gewalt erfuhr. Doch dass auch sie gewalttätig
gegenüber ihrem Partner war, sprengt die gängigen Schablonen, die für
Betroffene vorgesehen sind. Dieser Logik zufolge kann Heard nur Täterin
sein. Und Johnny Depp, der sympathische Filmpirat und Multimillionär, der
in SMS an einen Freund davon fantasierte, Heard zu verbrennen und ihre
Überreste zu vergewaltigen, das eigentliche Opfer.
Die Textnachrichten seien bloß Boomer-Humor, so Schramm. Wer dies nicht
anerkenne, den zählt Schramm zum „liberalen Feminismus“, der nicht in der
Lage sei, auch in Männern Missbrauchsopfer zu erkennen. Dabei ist das
Problem doch ein anderes: Nicht jeder Missbrauchsfall gleicht dem anderen.
Und wir können Frauen wie Männern wie allen anderen Personen Millionen
andere Handlungen und Positionen zugestehen, als bloß Opfer oder bloß Täter
zu sein – und zwar ohne dabei die strukturelle Gewalt im Patriarchat zu
untermauern. Aber vielleicht ist das zu kompliziert. Das Leben ist
schließlich kein Almodóvar-Film.
3 Jun 2022
## LINKS
[1] /Pedro-Almodovar/!t5613178
[2] https://www.bbc.com/news/world-us-canada-61673676
[3] https://juliaschramm.de/log/2022/05/25/boys-dont-cry/
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Kolumne Red Flag
Feminismus
Patriarchat
Sexualisierte Gewalt
Kolumne Gossip Girl
BDS-Movement
Gerichtsprozess
Kolumne Red Flag
Schwerpunkt #metoo
## ARTIKEL ZUM THEMA
Britney Spears, Amber Heard und wir: Popkultursoziologie muss sein
Celebrity-Kultur und Gossip müssen ernst genommen werden. Denn sie zeigen
uns, wo wir gesellschaftlich stehen.
Debattenkultur der Documenta: Deutsche Gastfreundschaft
Der Umgang der Documenta mit ihren Kurator_innen wirft eine Frage auf: Wozu
ruft man Gäste, die man nicht hosten kann?
Amber Heard und Johnny Depp: Beide Seiten schuldig gesprochen
Im Verleumdungsprozess zwischen den SchauspielerInnen befindet ein Gericht
beide für schuldig. Depp wird jedoch deutlich mehr Entschädigung
zugesprochen.
Diskussion über Menstruationsbeschwerden: Bloody Mary am Pool
„Menstruationsurlaub“ ist ein absurdes Wort. Als würde man auf Kosten des
Arbeitgebers mit einem Cocktail am Pool liegen, statt furchtbare Schmerzen
zu haben.
Protesttermine in Berlin: Nicht zum Lachen ​
Selten werden Sexualstraftäter:innen verurteilt. Damit sie trotzdem
nicht weitermachen können wie bisher, ist Protest wie am 19. Mai nötig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.