# taz.de -- Umstrukturierung des RTL-Konzerns: Journalismus-Offiziere | |
> Die neue Struktur des RTL-Konzerns ist kompliziert. Und zeigt | |
> Top-down-Strukturen, bei denen Journalist*innen nicht das letzte Wort | |
> haben. | |
Bild: Der langjährige „Stern“-Chefredakteur Henri Nannen im Oktober 1990 | |
„Um die volle Kraft des Sterns zu entwickeln, braucht es einen | |
ganzheitlichen Ansatz als journalistische Marke“ – mit diesen Worten | |
kündigte im Juni vergangenen Jahrs das damalige Chefredakteur*innen-Duo | |
Florian Gless und Anna-Beeke Gretemeier eine neue Redaktionsstruktur an. | |
Bei der Reform ging es darum, der Trennung zwischen dem gedruckten Magazin | |
und den verschiedenen Online-Publikationsformen entgegenzuwirken. Man | |
installierte sogenannte Kanalmanager, die sich darüber den Kopf zerbrechen | |
sollten, über welche Kanäle man welches Thema wie am besten veröffentlicht. | |
Mit der „neuen Organisation“ werde man „als Gesamtmarke wirken“, hieß … | |
damals. | |
Diese Reformen klingen aus heutiger Sicht, als lägen sie schon sehr lange | |
zurück – unter anderem, weil Florian Gless gerade den Stern verlassen hat. | |
Vor allem aber, weil der „ganzheitliche Ansatz“ schon wieder perdu ist. Der | |
TV-Konzern RTL, [1][der sich im August 2021 Gruner + Jahr und damit den | |
Stern einverleibte], hat kürzlich eine neue redaktionelle | |
Organisationsstruktur vorgestellt mit fünf übergeordneten Themenbereichen, | |
die zum Beispiel „Reportage, Dokumentation & Investigativ“ heißen und von | |
14 Oberchefredakteuren regiert werden. In dieser Konstruktion sind Stern | |
und stern.de voneinander getrennt. | |
Das gedruckte Magazin ist im erwähnten Bereich „Reportage, Dokumentation & | |
Investigativ“ untergebracht, stern.de dagegen bei „Nachrichten & | |
Gesellschaft“ (zusammen etwa mit den Sendungen „RTL Aktuell“ und „RTL | |
Direkt“). Der Strukturneubau bringt es zum Beispiel mit sich, dass Gregor | |
Peter Schmitz, der neue Vorsitzende der Stern-Chefredaktion, keine | |
Entscheidungsgewalt bei stern.de hat. Dass die Zeit der „Gesamtmarken“ | |
vorbei zu sein scheint, gilt nicht nur für die alten G+J-Titel. Auch der | |
Sender n-tv und die Website ntv.de wurden in verschiedene Bereiche | |
hineingruppiert. | |
## Ein bürokratisches Monstrum | |
Die Struktur ist nicht nur für Außenstehende schwer verständlich, auch | |
viele Beschäftigte des einverleibten Verlags in Hamburg rätseln. Zumal | |
nicht klar ist, wie viel Macht künftig jene Chefredakteur*innen haben, | |
die es nicht in die 14-köpfige Champions League geschafft haben. Aber in | |
diesen Zustand mischt sich auch eine gewisse Lethargie, denn Journalisten, | |
die schon sehr lange bei Gruner + Jahr sind, haben schon viele | |
Aufbruchstimmungskanonen mit großen Reformen in die Bütt gehen sehen. | |
Wer die neue Struktur als bürokratisches Monstrum wahrnehme, schaue nicht | |
genau hin, meint RTL-Sprecher Frank Thomsen. „Wir haben bei RTL 1.500 | |
Journalistinnen und Journalisten. Das ist keine kleine Redaktion. Dafür | |
braucht man eine Organisationsstruktur“, sagt er. | |
Dass stern.de bei „Nachrichten & Gesellschaft“ eingruppiert wurde, erklärt | |
RTL damit, dass eine stärkere Zusammenarbeit der Hamburger mit RTL.de und | |
vor allem ntv.de gewünscht wird. „Wir sind digital sehr stark, ohne dass | |
wir aus drei Angeboten eines machen“, sagt Thomsen. | |
Befürchtungen, dass dies zumindest mittelfristig geschieht, gibt es bei | |
Mitarbeitenden dennoch. Eine stärkere Zusammenarbeit ist konzernintern auch | |
bei Stern TVangestrebt. Unter dem Label gibt es im RTL-Programm | |
mittlerweile drei Sendungen: Neben dem bereits seit 1990 bestehenden | |
Magazin am Mittwoch läuft seit April das Gesprächsformat „Stern TV am | |
Sonntag“. | |
Und unregelmäßig gibt es seit Kurzem unter dem Titel „Stern TV Spezial“ | |
auch noch eine monothematische Sendung am Donnerstag („Das | |
Gehaltsexperiment: Was verdienst Du – was bleibt übrig?“). | |
Im Einsatz sind hier gleich drei Teams, die unter einen Hut gebracht werden | |
müssen: eines bei der Produktionsfirma I&U, die mittelbar mehrheitlich der | |
bei Springer mitregierenden Investmentgesellschaft KKR gehört, eines direkt | |
beim Sender und schließlich Redakteure der Zeitschrift Stern in Hamburg. | |
## Man muss Medienhäuser anders organisieren | |
Auch die neuen Oberchefredakteure von RTL haben noch einen Herrn über sich. | |
Offiziell lautet die diesbezügliche Formulierung: „Die | |
Chefredakteur:innen berichten an den RTL-NEWS-Geschäftsführer Stephan | |
Schmitter“. RTL hat ihm im Zuge der Reform auch noch den Titel „Chief | |
Journalistic Content Officer“ verliehen. | |
Schmitter war als Journalist für Radio Gong tätig, arbeitete im | |
Privatradiobereich dann ab 2004 als Geschäftsführer bei verschiedenen | |
Sendern oder Sendergruppen. Der Mann hat ganz gewiss viel auf dem Kasten, | |
aber warum es sich aufdrängt, dass er bei RTL nun das Amt des, frei | |
übersetzt: obersten Journalismusoffiziers bekleidet, erschließt sich nicht | |
unbedingt. | |
Die Redewendung „x berichtet an y“ ist zur Beschreibung von Hierarchien in | |
den Medien längst nicht mehr neu. Sie wirkt aber dennoch ein bisschen | |
aberwitzig, wenn man bedenkt, dass bei Gruner + Jahr [2][einst | |
Alphajournalisten wie Manfred Bissinger, Hermann Schreiber oder Michael | |
Jürgs als Chefredakteure amtierten]. Vermutlich hätten die zu ihrer Zeit | |
gesagt: „Ich berichte nicht an Geschäftsführer, ich berichte in meiner | |
Zeitschrift. Und wenn mein Geschäftsführer wissen will, was ich berichte, | |
soll er meine Zeitschrift aufschlagen.“ | |
Man muss Medienhäuser heute natürlich anders organisieren als zu Zeiten, | |
als der Stern noch siebenstellige Verkaufszahlen hatte, aber ein Grund für | |
das, was wir nun auch schon seit sehr vielen Jahren „Medienkrise“ nennen, | |
sind Management-getriebene Top-down-Strukturen, in denen nicht | |
Journalist*innen das letzte Wort haben. | |
Und so eine hat RTL ja nun wieder in die Welt gesetzt. Ausgerechnet just am | |
selben Tag, als RTL seine neue Redaktionsmatrix mit den 14 | |
Super-Chefredakteur*innen vorstellte und auch den Amtsantritt des neuen | |
Stern-Chefredakteurs Gregor Peter Schmitz offiziell bekannt gab, warf das | |
NDR-Reportageformat Strg_F einen neuen Blick [3][auf die | |
nationalsozialistische Vergangenheit des langjährigen Stern-Chefredakteurs | |
Henri Nannen] – unter anderem, indem es antisemitische und rassistische | |
Flugblätter zeigte, für die Nannen als Mitglied einer SS-Propagandakompanie | |
verantwortlich gezeichnet hatte. | |
Statt nur Pläne für die Zukunft des Sterns auszutüfteln, muss Schmitz sich | |
nun erst einmal mit dessen Vergangenheit befassen. In der ersten | |
Stern-Ausgabe, in der er im Impressum geführt war, schreibt er, dass diese | |
Flugblätter „seit den 2000ern verschiedentlich veröffentlicht wurden – nur | |
eben leider nicht vom Stern selbst“. Das darf man als Kritik an den vielen | |
Vorgängern verstehen, die „seit den 2000ern“ im Amt waren. | |
Zumindest entfernt erinnert das an die Situation Steffen Klusmanns, als | |
dieser Ende 2018 als Chefredakteur beim Spiegel antrat. Er musste sich | |
seinerzeit erst einmal mit dem Skandal um die Erfindungen des Redakteurs | |
Claas Relotius befassen, obwohl er selbst als gerade neu in die Redaktion | |
gekommene Führungskraft keinerlei Verantwortung dafür trug. | |
Man werde, so Schmitz, „in den kommenden Wochen im Stern offen um die Frage | |
ringen, […] ob einer der renommiertesten Medienpreise seinen Namen tragen | |
und ob Henri Nannen im Impressum unser Gründungsherausgeber bleiben soll“ – | |
was natürlich nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich dazu auch viele | |
Chefs des neuen großen RTL-Hauses zu Wort melden werden. Hilfreich wäre | |
allemal, wenn bis zum 22. Juni Klarheit herrschte. Dann wird der | |
Nannen-Preis 2022 verliehen. | |
29 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
René Martens | |
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