| # taz.de -- Die Wahrheit: Putins Pudel im Palast des Bösen | |
| > Wie ich einmal mit Hilfe von Gerhard Schröder an einem langen Wochenende | |
| > den Krieg in der Ukraine kurzerhand beendete. | |
| Endlich Wochenende. Drei Tage frei. Ich hatte nichts Besonderes vor, nur | |
| die Welt zu retten. Dafür fuhr ich nach Hannover. Am Rande des Zooviertels | |
| kramte ich aus meinem Koffer ein Pop-up-Umkleidezelt, dass ich nun | |
| aufbaute, um darin zu verschwinden und mich zu verwandeln – in Gerhard | |
| Schröder. | |
| In den Tagen zuvor hatten die Fernseh-Militärexperten talk-auf, talk-ab | |
| erklärt, dass sich der Krieg in der Ukraine, nachdem [1][Wladimir Putin] | |
| all seine Ziele verfehlt hatte, nun in ein langwieriges, blutiges | |
| Abnutzungsgemetzel verwandeln würde. Die Ukraine sollte zum Vietnam oder | |
| Libanon der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts werden, hieß es. | |
| „Och nö!“, rief ich empört aus und nahm die Sache selbst in die Hand, ich | |
| würde ganz oben ansetzen. Denn wenn der Kremlführer, wie es landläufige | |
| Meinung war, der einzige Mensch auf Erden war, der den Krieg beenden | |
| konnte, dann musste ich ganz nah ran an Putin. | |
| Es würde allerdings nicht leicht werden, an den Kriegsherrn heranzukommen. | |
| Dazu benötigte ich Gerhard Schröder. Zwar war der Altkanzler inzwischen der | |
| Paria der deutschen Politik und, zumindest was den Ansehensverlust betraf, | |
| zum Jimmy Savile der SPD geworden, doch seine ganze traurige Restexistenz | |
| war auf die eine trotzige Idee ausgerichtet, er sei als letzter | |
| verbliebener Freund Putins im Westen einer der wenigen, die noch Einfluss | |
| auf den neuen Zaren hatten. Selbst auf seinen Grabstein würde er sich | |
| dereinst meißeln lassen: „Mea culpa ist nicht mein Ding.“ | |
| Dabei war [2][Schröder] allenfalls Putins Pudel, der für ein hingeworfenes | |
| Stück öliger Hundekuchen jeden Befehl folgsam ausführte, weshalb er | |
| allerdings auch von Russlands Führer unterschätzt wurde, was wiederum mir | |
| in die Hände spielte. | |
| Um Schröder zu werden, nutzte ich eines der ältesten und kompliziertesten | |
| Mittel der Menschheitsgeschichte: Ich versetzte mich in ihn hinein. Seine | |
| Gedanken und Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale zu erkennen und | |
| zu verstehen, war einerseits simpel, war doch Schröders Persönlichkeit | |
| brutal schlicht gestrickt. Andererseits hatte ich vor einiger Zeit eine | |
| schwere Covid-Erkrankung überstanden, was ähnlich strapaziös war wie nun | |
| diese Verwandlung, die zur größten Kraftanstrengung meines Lebens werden | |
| sollte. | |
| Es dauerte eine kleine Weile in meinem gewaltig rumpelnden Pop-up-Zelt, nur | |
| langsam nahm ich die Gestalt und das Aussehen des Altkanzlers an. Eine | |
| wahrlich unangenehme Erfahrung, aber für den Weltfrieden muss man eben | |
| einiges in Kauf nehmen. | |
| ## Der abgeklärte Blick der Bodyguards sagte alles über Schröder | |
| So schritt ich, frisch geschrödert, mit einem zackigen „Morn!“ auf den | |
| Lippen an den Sicherheitsbeamten vorbei, die zwar verwundert schauten, weil | |
| sie ihren Schutzbefohlenen nicht außerhalb seines Domizils wähnten. Ihr | |
| abgeklärter Blick sagte mir jedoch, dass sie von Schröder einiges gewöhnt | |
| waren. | |
| Endlich stand ich dem leibhaftigen ehemaligen Staatsgranden gegenüber, dem | |
| vor Schreck das Kinn nach unten fiel. Der Alkohol hatte tiefe, rote Kanäle | |
| in seine Gesichtslandschaft gegraben. Ich hätte das gleiche Ergebnis auch | |
| mit Unmengen Weißwein erzielen können, in drei Tagen allerdings war es | |
| schier unmöglich, derart viel Flüssigkeit aufzunehmen, ohne die Blase zum | |
| Platzen zu bringen. | |
| Stattdessen zersprang plötzlich neben uns mit einem leisen Klirren der | |
| Spiegel an der Wand. Schröders verwittertes Antlitz in doppelter Ausführung | |
| war offenbar zu viel für ihn. Das brachte mich auf eine grandiose Idee. Ich | |
| fesselte den Altkanzler und seine Gattin und verfrachtete beide in den | |
| Keller, damit sie mir in den nächsten Tagen nicht im Weg sein würden, aber | |
| auch damit So-yeon Schröder-Kim nicht wieder ein verstrahltes Heiligenfoto | |
| von sich selbst schießen konnte, wie zuletzt im Moskauer Hotel gegenüber | |
| dem Kreml. Noch ein schmalziges Insta-Selfie der Koreanerin würde die | |
| kriegsgeplagte Menschheit nicht ertragen. | |
| Dann verstaute ich den zersplitterten Spiegel, drei Cohiba-Zigarren und | |
| Schröders Diplomatenpass in meinem Koffer, ließ mich zum Flughafen | |
| Langenhagen fahren, flog mit der nächsten Maschine nach Istanbul, wo ich in | |
| der Altstadt einen gewöhnlichen Eimer erwarb, und düste weiter nach | |
| Sotschi, um dort in einer Tierhandlung das letzte Objekt meiner diffizilen | |
| Mission zu erstehen. | |
| In Putins Palast des Schreckens ging dann alles sehr schnell. Wladimir | |
| Wladimirowitsch saß wie immer im Bunker tief unter dem luxuriösen | |
| Riesenanwesen an der Schwarzmeerküste vor einer ganzen Batterie von | |
| Bildschirmen und winkte mich mit leicht unwilliger Geste heran. Offenbar | |
| störte ich ihn bei seiner Spezialoperation. Seine Leibwächter, die ich mit | |
| den Cohibas bestechen wollte, hatten mich und mein Gepäck gar nicht erst | |
| kontrolliert. Ihr abgeklärter Blick sagte mir, dass sie von Schröder | |
| einiges gewöhnt waren. | |
| Ich hätte auch versuchen können, mich ohne den Umweg über Hannover direkt | |
| in den russischen Präsidenten zu verwandeln, aber hinter dem seltsam | |
| glatten Haifischgesicht Putins war nichts als Leere, die ich nicht deuten | |
| konnte. Ich war schließlich kein Kremlologe aus dem deutschen Fernsehen, | |
| sondern nur ein einfacher Held und Kundschafter des Friedens. | |
| ## Der Aberglaube der Russen sollte Putin zum Verhängnis werden | |
| Viel mehr vertraute ich der Idee, auf die ich im inspirierenden Hannover | |
| gekommen war: Russen sind das abergläubischste Volk der Welt. Am meisten | |
| fürchten sie Vorboten kommenden Unheils. Also öffnete ich nun meinen Koffer | |
| und verpasste Wladimir Putin gleich drei böse Omen: Ich hielt ihm den | |
| zerbrochenen Spiegel hin, stellte einen leeren Eimer vor ihn und ließ eine | |
| schwarze Katze auf seinen Schoß springen, sodass er vor Schreck vergaß, | |
| dreimal über seine Schulter zu spucken. Er wusste: Mindestens sieben Jahre | |
| Pech sowie Tod und Teufel waren ihm sicher. | |
| Kochend vor Wut, dass er so problemlos mit urrussischen Mitteln | |
| übertölpelt werden konnte, lief Putin dunkelrot an und drohte, jeden Moment | |
| zu explodieren. Also stürzte ich mich durchs nächstbeste Fenster ins Meer | |
| und schwamm ans andere Ufer, um von dort aus in sicherer Entfernung zu | |
| beobachten, wie sich Putin und sein Palast mit einer gigantischen Explosion | |
| in Luft auflösten. Krawumm! Aus! Sense! Das war’s. | |
| Mit Putins Ende war auch der Krieg sofort vorbei, es war bereits | |
| Sonntagabend, als ich heimkehrte und mich in mein gutes, altes Selbst | |
| zurückverwandelte. Ich schaltete den Fernseher ein, um beim „Tatort“ und | |
| einem kühlen Bier das Wochenende ausklingen zu lassen. Morgen würde es | |
| wieder ein arbeitsreicher Montag werden … | |
| 21 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Ringel | |
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