| # taz.de -- Nadine Conti Provinzhauptstadt: Stadtbewohner sind wie Katzen | |
| > Hannovers Dornröschenbrücke ist heiß geliebt. Deswegen sollen Abriss und | |
| > Neubau nun möglichst schnell aufeinander folgen. | |
| Bild: Seltsame Art von Gemeinschaft: die Dornröschenbrücke nach der Gemüsesc… | |
| Als Hannover vor einiger Zeit bekannt gab, dass die Dornröschenbrücke | |
| abgerissen und ersetzt werden müsse, [1][gab es einen Aufschrei]. Das liegt | |
| natürlich nicht daran, dass diese schlichte 50er-Jahre Spannbetonbrücke | |
| eine architektonische Schönheit ist. Das liegt vor allem daran, dass diese | |
| Brücke im Zentrum einer Reihe von seltsamen Marotten steht, die man | |
| Zugezogenen erst einmal erklären muss. | |
| Da wäre zum Beispiel die legendäre Gemüseschlacht. Seit Anfang der | |
| 2000er-Jahre treffen sich hier immer im September Nordstädter und Lindener, | |
| um sich gegenseitig mit Tomaten und anderem Gematsche zu bewerfen. Die | |
| Schlacht ist Ausdruck einer mit Hingabe gepflegten lokalpatriotischen | |
| Konkurrenz, deren Ursprünge im Dunkeln liegen. Beide Stadtteile waren | |
| einmal Arbeiterviertel, wurden dann von Studierenden und Migranten | |
| besiedelt, kämpfen heute mit Gentrifizierung, Hipsterisierung und damit, | |
| dass auch Leute, die früher einmal cool waren, alt werden und anfangen, | |
| über Leben und Lärm zu meckern. | |
| Die Dornröschenbrücke ist für Fußgänger und Radfahrer die kürzeste und | |
| schönste Verbindung zwischen diesen Stadtteilen und so stark frequentiert, | |
| dass sie beweist, dass diese Feindschaft nur Pose ist. Im Frühjahr gehört | |
| sie zu den ersten und im Spätherbst zu den letzten Plätzen, an denen Leute | |
| draußen sitzen. Natürlich könnte man sich auf Grünflächen ringsum, im | |
| zauberhaften Georgengarten oder entlang des Ihmeufers viel bequemer fläzen. | |
| Sie sitzen aber trotzdem auf der Brücke, trinken Bier, reden und hören | |
| Musik aus scheppernden Boomboxen, wenn nicht noch jemand Trommeln oder die | |
| Klampfe auspackt. | |
| Angeblich ist der Blick auf den Fluss von dem harten Betonboden mit dem | |
| unbequemen Geländer im Rücken besser, vor allem bei Sonnenuntergang. | |
| Vielleicht geht es auch einfach darum, seine Marotten zu pflegen und eine | |
| seltsame Art von Gemeinschaft zu zelebrieren. Die Hannoversche Allgemeine | |
| Zeitung veröffentlichte jedenfalls sentimentale Abschiedsreportagen, in der | |
| natürlich unweigerlich der Satz „Das ist doch mein Wohnzimmer“ vorkommen | |
| musste. | |
| ## Die Stadt hat ein Einsehen | |
| Die Stadt hatte ein Einsehen und hat die Baupläne geändert. Die neue Brücke | |
| soll nun unmittelbar neben der alten entstehen, die dann erst in letzter | |
| Minute abgerissen werden soll, um die Sockel und Fundamente freizumachen, | |
| auf die die neue Brücke geschoben wird. Auf diese Weise hofft man, die | |
| Sperrzeit auf ein Minimum verkürzen zu können. | |
| Der aktuelle Entwurf für die neue Brücke sieht sogar Bänke und Sitznischen | |
| vor, was eine andere Lokalredakteurin schon zu mahnenden Worten | |
| inspirierte, die Sitzenden müssten dann aber auch endlich Rücksicht auf die | |
| passierenden Radfahrenden nehmen. Vielleicht hat sich die Sache damit aber | |
| auch erledigt. Wer weiß, ob die neue Brücke denselben Spirit atmet. | |
| Vielleicht sind wohlmeinende Stadtplaner der sicherste Weg, das zu | |
| verderben, weil letztlich Stadtbewohner genauso sind wie Kleinkinder oder | |
| Katzen: Die wollen immer nur da sitzen, wo sie nicht sollen. | |
| 10 Apr 2022 | |
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| Nadine Conti | |
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