# taz.de -- Queerer Coming-of-Age-Roman: Der Welt einen Stoß versetzen | |
> In ihrem zweiten Roman „Die Eistaucher“ erzählt Kaśka Bryla von Unrecht | |
> und Eifersucht, Verbundensein und Verantwortung unter Jugendlichen. | |
Bild: Die Autorin Kaśka Bryla | |
Sie lernen sich an einer katholischen Privatschule kennen – Iga, Jess und | |
Ras, „die Eistaucher“. Während sie Mitschüler wie Rainer haben, der | |
Barbour-Jacken trägt und Rilke oder Bachmann rezitiert, sind die Eistaucher | |
queer, migrantisch und so vieles mehr, was man an diesem Ort zunächst nicht | |
erwarten würde: Über Iga schwebt die Drohung, zu ihrem Vater nach Polen | |
ziehen zu müssen, sollte sie sich einen weiteren Schulverweis einhandeln. | |
Darüber denkt sie nach, wenn sie auf dem Longboard in die Schule surft: | |
dass sie nicht nach Polen will, wo sie niemanden kennt und die Sprache | |
schlecht spricht. | |
Ras’ Familie kommt aus Russland und hat es dennoch geschafft, „aus dem | |
Nichts heraus“, wie er – Rasputin – immer wieder hört. Jess ist hübsch, | |
selbstbewusst und stets gut gekleidet, ihr Vater war Schneider, allerdings | |
lebt er nicht mehr. Das Geld kam erst mit dem Stiefvater Ernst. Dass sie | |
queer ist, stellt Kaśka Bryla, die Autorin, in keinem Moment als Problem | |
dar, im Gegenteil. | |
„Das Besondere zum Allgemeinen zu machen“, diesem Unterfangen widmete sich | |
Bryla bereits in [1][ihrem ersten Roman „Roter Affe“.] Bei den | |
„Eistauchern“ – ihrem zweiten Buch – führen fast alle Jugendlichen que… | |
Beziehungen, und nicht mal den unangenehm regelkonformen und | |
überengagierten Lehrer Hochleithner stört es. | |
## Opfer, Täter, Feigling | |
Bryla beschreibt drei Jugendliche, denen bewusst wird, wie ungerecht die | |
Welt ist, und die dieser teilweise auf naive Art und Weise einen Stoß | |
versetzen wollen, um die Dinge wieder zurechtzurücken. Dann passiert die | |
Sache mit Maja. Sie wissen, dass es nicht an ihnen ist zu richten, und | |
dennoch können sie es nicht hinnehmen. Allerdings ist ihnen nicht bewusst, | |
welches Ausmaß der Ruck haben wird, zu dem sie ausholen. | |
Zwanzig Jahre später betreibt Brylas Ich-Erzähler Saša einen Campingplatz | |
in einem Naturschutzgebiet, umgeben nur von Wald und Friedhöfen, im Winter | |
kommen die Wölfe. | |
Nach vielen Jahren in der Klinik blickt er zurück auf seine Geschichte und | |
die der Eistaucher und wie sie schließlich zusammenliefen: „Immer ist da | |
jemand, dem Unrecht angetan wird, und immer ist da jemand, der zusieht, | |
ohne einzuschreiten. Als Kind stellt man sich die Frage, wer man lieber | |
wäre. Das Opfer oder der Feigling. Als Kind habe ich mich nie gefragt, wie | |
es wäre, der Täter zu sein.“ | |
Saša war Igas bester Freund, bevor sie Jess und Ras kennenlernte. Jetzt | |
sind sie alle Familie füreinander. Aber Saša ist auch ein Täter, er hat | |
eine Frau vergewaltigt und nicht nur das. Teilweise ist es schwer zu | |
ertragen, dass dennoch er es ist, der die Geschichte erzählt, aus | |
feministischer Perspektive lässt sich diese Entscheidung kritisieren. | |
## Jahrhunderte toxischer Männlichkeit und Rape Culture | |
Aus Sašas Innenansichten sprechen Jahrhunderte von toxischer Männlichkeit | |
und Rape Culture. Was genau passierte, lässt Bryla bis zuletzt nicht | |
durchscheinen, außer, dass es entgleiste, dass zwei Polizisten im Spiel | |
waren, dass Molotowcocktails flogen und dass es brannte, mehr als erwartet. | |
Die Autorin macht es sich und den Lesenden mit ihren Figuren nicht leicht. | |
Sie sind ambivalent und widersprüchlich, vor allem Saša, aber auch | |
Franziska, die Französischlehrerin. Sie flirtet mit Iga und trifft sich | |
außerhalb des Unterrichts mit ihr. Missbrauch ist eine der ersten | |
Assoziationen mit katholischen Privatschulen. Wie verhält es sich, wenn | |
eine Lehrerin wie Franziska Fellbaum, jung, lässig und nahbar, eine | |
Beziehung zu einer Schülerin anfängt? | |
Bryla verwebt Fragen von Unrecht und Eifersucht, Verbundensein und | |
Verantwortung gekonnt in einen bis zur letzten Seite spannenden Plot. „Was | |
wäre eine Handlung wert, wenn man wüsste, dass man sie rückgängig machen | |
kann?“ Immer wieder stellt Saša solche Überlegungen an: „Wenn man weder e… | |
Risiko einzugehen bräuchte noch Schuld auf sich laden müsste?“ | |
Mit Igas altem Longboard reist er durch die Zeit, es bringt ihn an die | |
Wendepunkte seines Lebens zurück, in die Momente, in denen er sich anders | |
entscheiden könnte. Gewaltvoll wie feinfühlig verhandelt Bryla, woran wir | |
glauben, wenn wir jung sind, und was davon mit den Jahren noch übrigbleibt. | |
28 Mar 2022 | |
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[1] /Kaka-Brylas-Roman-Roter-Affe/!5728841 | |
## AUTOREN | |
Juri Wasenmüller | |
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