# taz.de -- Regierungskrise in Montenegro: Fragiles Bündnis stürzt | |
> In Montenegro ist die Regierung nach nur 14 Monaten im Amt durch ein | |
> Misstrauensvotum abgewählt worden. Nun könnte eine Minderheitsregierung | |
> folgen. | |
Bild: Hat der eigenen Regierung den Gnadenstoß erteilt: Dritan Abazović, Chef… | |
Split taz | Am Wochenende freuten sich Tausende von Menschen in Montenegros | |
Hauptstadt Podgorica und anderswo. Sie feierten mit Parolen wie „für das | |
europäische Montenegro“ den Rücktritt der Regierung unter Ministerpräsident | |
Zdravko Krivokapić nach nur 14 Monaten im Amt. 43 von 81 Abgeordneten | |
sprachen Krivokapić bei einer Abstimmung im Parlament am Freitagabend das | |
Misstrauen aus. 11 Volksvertreter stimmten gegen den Misstrauensantrag. | |
Zur Abstimmung kam es, weil der kleinste Koalitionspartner, die | |
Bürgerbewegung URA, die als zivile Plattform Schwarz und Weiß 2020 mit nur | |
vier Abgeordneten ins Parlament gewählt wurde, das Bündnis mit Krivokapić | |
aufgekündigt hatte. Die linksgrüne Plattform versteht sich als progressive | |
und proeuropäische Kraft, in der regionale Kleinparteien, NGOs, | |
Intellektuelle und Menschenrechtsaktivisten zusammengefasst sind. | |
In der Regierungskoalition ist dieses Bündnis zwar der kleinste | |
Koalitionspartner, aber ohne ihre Stimmen hat Ministerpräsident Krivokapić | |
keine Mehrheit mehr. Nach einigen Querelen mit den | |
proserbisch-nationalistischen Kräften innerhalb der Regierung zog | |
[1][URA-Chef Dritan Abazović] die Reißleine. | |
Die unter Krivokapić angetretene Koalition, der es immerhin gelungen war, | |
die 30 Jahre regierende Demokratische Partei der Sozialisten zu stürzen, | |
war mit großen Hoffnungen angetreten. Vor allem ihre Kampagne gegen die | |
Korruption unter der sozialistischen Regierung des immer noch amtierenden | |
Präsidenten [2][Mile Đukanović] hatte 2020 zum Stimmungsumschwung auch bei | |
vielen proeuropäischen Wählern beigetragen. | |
Viele Wähler aus diesem Lager sind zwar Gegner des serbischen Nationalismus | |
und der serbisch-orthodoxen Kirche, doch wollten sie ebenfalls der | |
grassierenden Korruption in dem gerade einmal von 600.000 Menschen | |
bewohnten Kleinstaat ein Ende bereiten. | |
## Gesellschaft bleibt gespalten | |
Jetzt ist das Pendel zurückgeschlagen. Denn weder gelang es der | |
„Expertenregierung“, entscheidende Maßnahmen hin zur Rechtsstaatlichkeit | |
durchzusetzen, noch gelang es, die gespaltene Gesellschaft zu versöhnen. | |
Auf der Seite der proserbischen Fraktion steht vor allem die | |
[3][serbisch-orthodoxe Kirche], die um ihre Privilegien und Kirchenbesitz | |
fürchtet. Die alte Regierung wollte Teile des von der serbischen Kirche | |
1918/19 widerrechtlich angeeigneten Besitzes an die wiedererstandene | |
montenegrinisch-orthodoxe Kirche zurückgeben, was die serbische orthodoxe | |
Kirche mit allen Mitteln verhindern will. | |
Nachdem die proserbischen Kräfte, allen voran die Demokratische Front (DF), | |
zudem versucht hatten, die überparteilichen Minister der Expertenregierung | |
durch eigene Leute zu ersetzen und ein Minister sogar erklärte, der | |
Massenmord im bosnischen Srebrenica 1995 sei kein Genozid gewesen, war das | |
Maß für die linksgrünen Kräfte voll. Angesichts der serbischen Strategie, | |
ihren Einfluss auf die Nachbarländer auszudehnen, sind viele an das Projekt | |
„Großserbien“ vor 30 Jahren erinnert, das so viel Leid über die Nachbarn | |
Serbiens gebracht hat. | |
URA-Chef Dritan Abazović strebt nun eine Minderheitsregierung an, die von | |
der Sozialistenpartei DPS geduldet wird. Teile der bisherigen Regierung | |
stehen hinter seinem proeuropäischen und serbienkritischen Weg. Der | |
Menschenrechtsaktivist wird aber wohl hart mit den Sozialisten verhandeln | |
müssen, denn der Kampf gegen die Korruption ist weiterhin sein | |
Hauptanliegen. Falls das nicht klappt, will er Neuwahlen fordern. | |
Nach Expertenmeinungen könnte seine grünliberale Parteiengruppe mit großen | |
Stimmengewinnen im proeuropäischen Lager und auf Unterstützung von | |
westlichen Regierungen hoffen. | |
6 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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