# taz.de -- Affäre um „Graue Pässe“: Schleuser im Staatsdienst | |
> Angestellte des türkischen Konsulates in Hannover haben auf Schwindeleien | |
> bei der Einreise mit Dienstpässen hingewiesen. Dafür werden sie | |
> abgestraft. | |
Bild: Das türkische Generalkonsulat in Hannover war der letzte Einsatzort der … | |
Hannover/Hamburg taz | Mehmet Fidan steht mit seiner Frau Güler vor der Tür | |
des türkischen Konsulats in Hannover und klingelt. Er will persönliche | |
Dokumente abholen. Doch man verweigert ihm den Einlass. Ein Journalist der | |
[1][türkischsprachigen Plattform „Avrupa Postasi“] filmt das Ganze. | |
37 Jahre lang stand Mehmet Fidan im Dienst des türkischen Staates. Sein | |
letzter Dienstort war genau hier, in diesem Konsulat, auch seine Frau | |
arbeitete hier. Doch dann wagte Güler Fidan es, auf Unregelmäßigkeiten | |
aufmerksam zu machen – und fiel in Ungnade. Jetzt lässt man die beiden | |
nicht einmal mehr herein. | |
Der Videobericht davon sorgt im Netz und in der Türkei für Diskussionen – | |
schon einen Tag später veröffentlichte die regierungstreue Tageszeitung | |
Sabah einen Gegenbericht, in dem sie den Auftritt als falsch und inszeniert | |
bezeichnet. Offiziell äußern möchten sich aber weder das Konsulat noch das | |
Ehepaar Fidan gegenüber der taz. | |
Ein Vertrauter des Paares berichtet, dass mehrere Disziplinarverfahren | |
angestrengt wurden. Doch die beiden weigern sich, nach Ankara zurück zu | |
kehren. Derzeit sind sie vom Dienst suspendiert. Jetzt hofft Mehmet Fidan | |
auf seine Frühverrentung und dass er bei seinem erwachsenen Sohn in | |
Deutschland bleiben kann. Seine Frau muss eine andere Lösung finden. | |
## Schwunghafter Handel mit „grauen Pässen“ | |
Die Unregelmäßigkeiten, die den Fidans auffielen, stehen im Zusammenhang | |
mit einem Skandal, der in der Türkei schon seit fast einem Jahr für großen | |
Wirbel sorgt. Es geht um illegale Einschleusungen in die EU mit Hilfe von | |
staatlichen Stellen. Auch in Deutschland hat [2][es deshalb schon | |
Gerichtsverfahren gegeben]. | |
Zwischen Ende 2018 und März 2021 sollen mehrere tausend Personen mit | |
sogenannten „grauen Pässen“ nach Deutschland und in weitere Länder der EU | |
eingereist sein, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Die grauen | |
Dienstpässe sind eigentlich dazu gedacht, Angehörigen des öffentlichen | |
Dienstes die Einreise zum Beispiel zu Fortbildungen zu ermöglichen, ohne | |
dass sie umständliche Visaverfahren durchlaufen müssen. | |
Offensichtlich gab es aber in etlichen Gemeinden, vor allem in den | |
strukturschwachen Provinzen der Türkei, einen schwunghaften Handel mit | |
diesen Papieren. Zwischen 6.000 und 10.000 Euro sollen Personen für einen | |
solchen Pass gezahlt haben – die meisten wohl in der Hoffnung, dann in | |
Deutschland arbeiten und Geld verdienen zu können. | |
Eine dieser Reisegruppen war Güler Fidan aufgefallen. Das Konsulat erhält | |
Meldungen darüber, wenn Menschen mit Dienst- oder Diplomatenpässen | |
anreisen. Doch diese Gruppe von 45 Menschen aus der Provinz Yesilyurt bei | |
Malatya kam ihr seltsam vor. | |
Angeblich wollten sie mitten in der Pandemie für eine Umweltfortbildung in | |
der Region Hannover anreisen. Dort wusste auf Nachfrage aber niemand etwas | |
davon. Auf ihre Nachfragen in der Türkei erhielt sie nur ausweichende und | |
unstimmige Antworten. | |
## Viele der Gemeinden werden von Erdogans AKP geführt | |
Sie war nicht die einzige, die irgendwann misstrauisch wurde. In Bayern | |
begannen Grenzschützer bei den grauen Pässen genauer hinzusehen. In der | |
Türkei begannen Oppositionspolitiker*innen mit parlamentarischen Anfragen | |
nach dem Verbleib diverser Reisegruppen zu forschen. | |
So hat es zumindest der Hamburger Rechtsanwalt Mahmut Erdem in den Akten | |
gelesen. Er hat in Deutschland mehrere Menschen vertreten, die deshalb in | |
Schwierigkeiten geraten sind. Zum Beispiel Ersit Kilit, der vom Amtsgericht | |
Hannover zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt wurde, weil er über | |
seine Baufirma die Einladung zu der erfundenen Umweltfortbildung | |
ausgestellt hatte, mit der dann wiederum graue Pässe beantragt wurden. | |
Der Anwalt geht allerdings davon aus, dass die wahren Hintermänner bisher | |
gar keine Konsequenzen zu spüren bekommen haben. „Das waren nicht ein paar | |
kleine Schlepper, dahinter steckt eine große Organisation. Da wurden Busse | |
angemietet, Personenbeförderungsscheine beantragt, Hotelübernachtungen | |
gebucht und in der Pandemie sogar die notwendigen Coronatests für die | |
Einreisenden organisiert“, berichtet er. | |
In der Türkei wurden zwar Aufsichtsverfahren gegen 90 Gemeinden | |
eingeleitet. Konsequenzen gab es bisher jedoch, abgesehen von ein paar | |
Versetzungen, kaum. Die Opposition glaubt, dass dies vor allem etwas damit | |
zu tun hat, dass der überwiegende Teil der Gemeinden von Bürgermeistern | |
geführt wird, die der Regierungspartei AKP angehören. Nur drei der | |
betroffenen Gemeinden sind der oppositionellen CHP und eine der | |
prokurdischen HDP zu zuordnen. | |
Ausländerrechtlich haben die so eingereisten Menschen allerdings ein | |
Problem, denn ein Bleiberecht, geschweige denn eine Arbeitserlaubnis haben | |
sie natürlich nicht. Im Gegenteil: Wenn sie auffliegen, müssen sie mit | |
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren rechnen, und zwar sowohl in | |
Deutschland als auch in der Türkei. | |
Rechtsanwalt Erdem sagt, es habe einzelne Fälle gegeben, in denen die | |
illegal Eingereisten nachträglich Asyl beantragt haben, aber die | |
Erfolgsaussichten schätzt der erfahrene Anwalt nicht sehr hoch ein – auch | |
wenn natürlich jeder Einzelfall sehr genau geprüft werden muss. Die meisten | |
Betroffenen würden wohl versuchen unterzutauchen, Schwarzgeld zu verdienen | |
und dann unauffällig in die Türkei zurückzukommen, vermutet er. | |
20 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.avrupa-postasi.com/almanya/konsolos-ve-esi-hannover-baskonsolos… | |
[2] /Illegale-Einreise-mit-Behoerdenhilfe/!5813259 | |
## AUTOREN | |
Adil Yigit | |
Nadine Conti | |
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