# taz.de -- Die Wahrheit: Missbrauchsopfer Führerschein | |
> Es ist soweit: Alte Jahrgänge, die noch den „Lappen“ haben, müssen auf | |
> Digital umstellen. Manche geben ihn aber besser gleich ab. | |
Bild: Und der Haifisch, der hat Zähne | |
Als dieser Tage die Aufforderung der Kfz-Ämter umging, nun bitte endlich | |
die alten Führerscheine in neue umzutauschen, war mir klar: Jetzt bin ich | |
dran. Schließlich zähle ich zu den 1950er Jahrgängen, um die es geht. Aber | |
mein grauer Lappen ist weg – und das schon seit über 40 Jahren. | |
Es kann zudem kein Zufall sein, dass neben dieser Pflicht zum Tausch jetzt | |
auch noch eine andere Nachricht kursierte. Darin war vom „Missbrauchsort | |
Fahrschule“ die Rede – und die ist mir persönlich plötzlich näher gegang… | |
als etwa die #MeToo-Debatte. Denn auf einmal war da eine Erinnerung, die | |
ins letzte Jahr meiner Gymnasialzeit fiel. Mich hatte nämlich ungefragt ein | |
Schulkamerad zum Führerschein bei einem frühpensionierten | |
Bundeswehr-Fahrlehrer angemeldet und die Gebühren über meinen Kopf hinweg | |
von meiner Mutter bezahlen lassen. Es sollte wohl eine Überraschung sein. | |
Und die war es auch, nämlich eine fürchterliche. Von Anfang an ließ uns der | |
Getriebepädagoge wissen, dass wir zwei, die wir immer gemeinsam unsere | |
Fahrstunden hatten, die „schlechtesten Burschen“ seien, die er jemals im | |
Auto sitzen gehabt habe – einschießlich „der alten Frauen“. | |
Bei der Abschlussprüfung nach 40 oder 50 Stunden kam mein Freund | |
überraschend auf Anhieb durch. Dann war ich dran. Nach ein paar Minuten | |
sollte ich links abbiegen. Dummerweise fuhr aber die ganze Zeit eine | |
Straßenbahn parallel zu mir und ich verpasste gleich mehrere | |
Abbiegemöglichkeiten. Nachdem der Prüfer plötzlich auf die Bremse trat, | |
weil ich fast unter einen Sattelschlepper mit wippendem Baudraht geraten | |
war, musste ich rechts ran und mir den Satz anhören: „Wenn Sie mal den | |
Führerschein haben, wovor uns Gott behüten möge, können Sie hinfahren, | |
wohin Sie wollen! Aber während der Fahrprüfung bestimme ich, wohin es | |
geht!“ Mein Freund auf der Rückbank lachte sich schlapp. | |
## 50 Fahrstunden mehr | |
Die nächsten vier Wochen waren die schrecklichsten meines Lebens. Ich fing | |
vor den nächsten 50 Fahrstunden, in denen ich nun allein mit dem | |
unangenehmen Kfz-Unteroffizier im Käfer saß, jeweils an, vor Aufregung | |
Zigarre zu rauchen. Die Fahrten waren eine Kette von Strafexpedition. Es | |
ging fast nur noch in dunkle Parkhäuser, in denen ich in möglichst enge | |
Lücken einparken musste. Immer wenn ich über einen der hohen Bordsteine | |
rumpelte, riss mir der Generalissimo den Lenker aus der Hand und brüllte: | |
„Mann, Mann, Mann! Er lernt es nicht!“ | |
Das stimmte ja auch, auch wenn ich die Wiederholungsprüfung bestand, wegen | |
der ich sogar die Abiturfeier versäumte. Erschöpft zu Hause angekommen, | |
empfing mich meine Oma und sah in meine Seele. Sie nahm den Führerschein | |
und legte ihn in ihren Kleiderschrank. Und da blieb er auch. Als sie starb, | |
muss er mit anderen Hinterlassenschaften irgendwo in der Verwandtschaft | |
gelandet sein. Und für Deutschlands Straßen war das auch das Beste. | |
19 Jan 2022 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Umbach | |
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